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Wirtschaft im Wahlkampf Wem der Pessimismus nutzt
Neben der Migration ist die Wirtschaftslage ein zentrales Thema im Wahlkampf. Die Zahlen sind schlecht, die Stimmung düster. Wie berechtigt ist die Sorge vor einem Wohlstandsverlust, und wer profitiert von ihr?
Clemens Küpper ist Geschäftsführer einer Bielefelder Eisengießerei. Vor gut 40 Jahren hat er hier als Azubi angefangen - heute muss der 57-Jährige aufgrund der hohen Energiekosten sein Unternehmen neu aufstellen: von der großen, lukrativen Serienproduktion hin zu hochspezialisierten Sonderanfertigungen.
"Wir hatten keine besonders erfolgreichen Jahre in den letzten zwei Jahren, aber wir haben uns hier und heute mit der Belegschaft vorgenommen, wir tun jetzt was dagegen. Die Veränderung mehr zu mittleren Serien hat zu einer völlig veränderten Arbeitsweise geführt", sagt Clemens Küpper im Interview mit der ARD-Politikmagazin Report Mainz. "Wir müssen sehr viel akribischer hinter allen Aufträgen her sein, wir müssen uns intensiv um die einzelnen Produkte kümmern. Die Bauteile werden komplexer, viel komplizierter. Wir mussten dafür viel investieren."
Obwohl das Unternehmen mit rund 300 Angestellten jetzt mehr Kunden hat als früher, macht es weniger Gewinn. "Es bringt nichts, wenn man den ganzen Tag mit gesenktem Kopf durch das Unternehmen läuft. Aber wir merken es hier im Betrieb auch, dass sich die Leute Sorgen machen, dass die Unsicherheit steigt", so Küpper.
Warnung vor einfachen Lösungen
Er versucht, seine Belegschaft vor den einfachen Antworten, die manche Politiker im Bundestagswahlkampf auf die komplexen Probleme anbieten, zu warnen. Denn die Sorge um den Wohlstand und den Wirtschaftsstandort Deutschland ist bei den Parteien eines der Top-Wahlkampfthemen - nicht immer nur faktenbasiert, wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, kritisiert. "Wir sehen im Bundestagswahlkampf, dass die Parteien diese wirtschaftlichen Sorgen der Menschen aufgreifen und leider instrumentalisieren", so Fratzscher.
"Es wird ein Wahlkampf mit der Angst geführt: Ihr Arbeitsplatz ist gefährdet, Sie werden noch weniger Kaufkraft haben, die Wohnung wird verschwinden, die Inflation wird hoch bleiben. Viele Parteien versuchen, diese Ängste zu schüren, um die Wähler für sich zu gewinnen. In der Realität haben wir in der Vergangenheit gesehen: Die Hauptgewinner eines solchen Wahlkampfs, der von Populismus und Angst geprägt ist, ist die AfD", erklärt Fratzscher weiter.
Katastrophalen Szenarien und der politische Rand
Denn Menschen, die sich überdurchschnittlich große Sorgen machen, tendieren an der Wahlurne zur AfD. Das hat eine Personenbefragung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) ergeben, deren Ergebnisse Report Mainz exklusiv vorliegen.
"Die politischen Ränder leben vom politischen Angebot, welches katastrophale Szenarien an die Wand malt und Untergangsszenarien beschreibt", sagt der Ökonom Matthias Diermeier im im Interview mit Report Mainz. "Das geht über ganz viele Themen, zum Beispiel: Wir werden überrannt von der Migration. Die deutsche Wirtschaft ist am Ende. Und das erlaubt mir als Individuum, mir ganz, ganz viele Sorgen zu machen."
Laut der IW-Personenbefragung aus dem Dezember 2024 machen sich AfD-Anhänger weit überdurchschnittlich "große Sorgen" um das Thema Migration (87,2 Prozent der AfD-Anhänger versus 49,5 Prozent aller anderen Befragten im Durchschnitt). Darüber hinaus geben sie in überdurchschnittlichem Maße an, sich große Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Lage (65,9 Prozent versus 46,3 Prozent) zu machen. Das eigene Leben, also die eigene wirtschaftliche Situation, wird hingegen von AfD-Anhänger nicht viel schlechter eingeschätzt als von anderen Wählern im Durchschnitt. (39,75 Prozent versus 27,9 Prozent).
Düstere Gefühlslage in Deutschland
Den Pessimismus und die Sorgen untersucht das Marktforschungsunternehmen Ipsos seit Jahren im internationalen Vergleich - die Studie "What worries the world?" (übersetzt: "Was die Welt besorgt"), zeigt: Die Gefühlslage in Deutschland sieht düster aus. Waren vor gut zehn Jahren noch mehr als 70 Prozent der Deutschen mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage zufrieden, waren es im vergangenen Dezember nur noch 27 Prozent. Ein neuer Negativ-Rekord.
Diese schlechte Stimmung könnte der deutschen Wirtschaft nun aber noch größeren Schaden zufügen, warnt Fratzscher: "Die wirtschaftliche Situation in Deutschland heute ist schwierig, gar keine Frage. Aber die Stimmung ist deutlich schlechter als die Realität. Wir haben Rekordbeschäftigung in Deutschland, wir haben erfolgreiche Unternehmen. Wenn wir in diesem Pessimismus verbleiben, dann schaden wir uns selbst", sagt der Ökonom. "Denn wenn Unternehmen nicht investieren, Menschen nicht konsumieren, dann schwächt sich die Nachfrage ab. Da liegt die Verantwortung zum Teil bei der Politik, klare Angebote zu unterbreiten, die wirklich konstruktiv sind, aber eben auch bei der Gesellschaft und bei den Unternehmen selbst."
Clemens Küpper will sein Unternehmen weiterhin zukunftsfähig halten, den Standort Deutschland erhalten und seinen Mitarbeitern Sicherheit bieten - für die Zeit nach der Wahl hat er aber eine klare Forderung: günstigen Strom. "Wir sind ja eine transformationsgetriebene Branche - alle Produkte, die wir hier machen, sind für moderne Technologien. Wir stellen zum Beispiel Wärmepumpen her mit dreifacher Energiesparratings. Und deswegen ist es aus unserer Sicht ein bisschen unfair, wenn man uns die Chance dafür nimmt, indem man genau das, was wir eigentlich protegieren wollen, nämlich CO2-freien Strom, so teuer macht, dass wir am Ende weniger Produkte für unsere Kunden herstellen."
Mehr zu diesem und anderen Themen sehen Sie heute um 21:45 Uhr bei Report Mainz im Ersten.