
Studie des IW Wer gehört zur Mittelschicht?
Während die "Mittelschicht" gerne von Parteien umworben wird, bleibt ihre Definition schwammig. Das IW Köln hat den Begriff auf Basis des Einkommens nun wissenschaftlich abgegrenzt - und bietet einen interaktiven Rechner.
Wer ist "arm" und ab wann darf man als "reich" gelten? Und wer kann sich zur gefühlten Mehrheit, der "Mittelschicht" zählen? Das ist naturgemäß nicht immer klar zu sagen. Das hindert die Parteien aber nicht daran, um die "Mittelschicht" zu werben, der sich nach Umfragen eine Mehrheit der Deutschen zugehörig fühlt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln bietet dazu eine wissenschaftlich fundierte Definition, die sich in Einkommensgrenzen ausdrücken lässt. Dafür gingen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in zwei Stufen vor: "Zunächst wird anhand verschiedener Kriterien von Bildung und Erwerbstätigkeit eine soziokulturelle Mitte definiert und in einem zweiten Schritt untersucht, welche Einkommensbereiche diese Merkmale dominieren", so die Studienautoren Judith Niehues und Maximilian Stockhausen.
Bezugspunkt ist dabei das mittlere Einkommen der Gesellschaft, der so genannte Median. Im Ergebnis gehöre eine Person zur Mittelschicht im engen Sinne, "wenn ihr bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen zwischen 80 Prozent und 150 Prozent des Medians liegt", so die Ökonomen.
Art des Haushalts spielt maßgebliche Rolle
Gemäß der EU-Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) lag dieser Median im Jahr 2022 bei 2.312 Euro monatlich. Dabei wurden auch Mietvorteile bei selbstgenutztem Wohneigentum berücksichtigt. Um dieses Einkommen zu bestimmen, griffen die Forschenden auf die Summe aller Erwerbs-, Kapital-, Renten- und Transfereinkommen zurück, zogen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab und verteilten dieses Haushaltsnettoeinkommen bedarfsgewichtet auf die Haushaltsmitglieder.
"Durch das Konzept der Bedarfsgewichtung wird berücksichtigt, dass das Leben günstiger wird, wenn mehrere Menschen zusammenleben, und dass Kinder weniger Geld benötigen als Erwachsene", erläutert das IW. Ob ein Haushalt zur Mittelschicht zähle oder nicht, hänge somit auch maßgeblich von seiner Größe und Zusammensetzung ab.
"Reich" ab 5.780 Euro netto
Im Ergebnis zählt ein Single mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 1.850 Euro und 3.470 Euro zur Mittelschicht im engen Sinne. Für eine vierköpfige Familie lagen die Einkommensgrenzen zwischen 3.880 Euro und 7.280 Euro. "Insgesamt zählten im Jahr 2022 knapp 48 Prozent - also ungefähr jeder Zweite - zur eng definierten Einkommensmittelschicht", so das IW.
Wer mehr als 250 Prozent des Medians im Monat zur Verfügung hat, zählt zur Gruppe der relativ Einkommensreichen: Für Singles gilt das ab 5.780 Euro, für eine vierköpfige Familie ab einem monatlichen Haushaltseinkommen von 12.140 Euro. Insgesamt gehörten nur rund vier Prozent der Menschen in Deutschland zu dieser Oberschicht, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Ergebnis decke sich nicht mit der Wahrnehmung der Menschen in Deutschland. Frühere Befragungen zeigten, dass der geschätzte Anteil einkommensreicher Menschen bei 25 Prozent liege. "Reich sind in der eigenen Wahrnehmung zumeist die anderen", folgert Studienautorin Niehues.
Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem interaktiven Einkommensrechner zugänglich gemacht. Wer etwa wissen will, ob er nach wissenschaftlicher Definition zu den Top-Verdienern gezählt werden kann, kann dies unter Angabe der relevanten Kriterien erfahren und sich mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen vergleichen.