In den kommenden Monaten werden viele Firmeninsolvenzen in Deutschland befürchtet.
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Insolvenzen Warum so viele Firmen in Deutschland pleitegehen

Stand: 22.04.2025 09:02 Uhr

In der deutschen Wirtschaft mehren sich die Alarmsignale; Die Zahl der Insolvenzen ist stark angestiegen. Ein normaler Marktprozess oder doch Folgen der Standortbedingungen?

Eine Analyse von Axel John, SWR

Noch bis Ende April wird beim Türen- und Fensterspezialisten Meeth in Wittlich gearbeitet. Dann macht der Mittelständler dicht - zwangsweise. Die Firma ist zahlungsunfähig. 90 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Rechtsanwalt Alexander Jüchser muss die Firma als Insolvenzverwalter abwickeln. "Die Baubranche befindet sich auch 2025 in der Krise. Bereits im fünften Jahr in Folge gibt es aufgrund steigender Baupreise, Fachkräftemangel und dem Rückgang von Baugenehmigungen ein Minus. Wird weniger gebaut, werden auch weniger Fenster und Türen bestellt", erklärt Jüchser.

Aber es gab auch betriebsinterne Probleme in der Firma, so der Insolvenzverwalter. Die IT-Systeme arbeiteten fehlerhaft, was die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zusätzlich verschärfte. Die Suche des Insolvenzverwalters nach einem neuen Investor blieb ohne Ergebnis. Jetzt arbeiten die letzten Angestellten noch Aufträge ab, dann ist in ein paar Tagen Schluss - nach 40 Jahren. Der Belegschaft ist bereits gekündigt worden.

Ein Beispiel unter vielen

Die Firma Meeth ist ein trauriges Beispiel unter vielen. Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland bleibt weiter hoch. Die Zahl steigt seit zwei Jahren kräftig. So wurde im vergangenen Jahr mit knapp 22.000 der höchste Stand seit 2015 erreicht. Im März dieses Jahres lag sie mit 1.459 und zwei Prozent höher als im Vormonat, so das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Im ersten Quartal dieses Jahres lagen die Insolvenzzahlen sogar so hoch wie seit dem Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 nicht mehr. In wichtigen Wirtschaftsbranchen wie Industrie, Bauwesen und Handel sei ein absoluter Höchststand erreicht worden, so das IWH. Dazu kommt noch, dass die Zahl der Firmengründungen auf niedrigem Niveau bleibt. Wie schlimm steht es also um den Standort Deutschland?

Nachholeffekte und Strukturkrise

Tobias Wahl kennt die neuesten Zahlen genau. Der 57-Jährige ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Kanzlei Anchor. Er leitet die Niederlassung in Mannheim. Seit mehr als 25 Jahren ist Wahl tätig, sucht auch nach neuen Investoren für Unternehmen, die vor dem Aus stehen. "Derzeit sehen wir einen deutlichen Anstieg von Insolvenzen", so Wahl und schränkt aber gleich ein: "Die Situation ist nicht ganz so dramatisch, wie sie auf den ersten Blick scheint. In den Corona-Jahren konnten sich viele eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen noch am Markt halten. Grund waren die Finanzhilfen des Staates. Wir sehen also einerseits einen Nachholeffekt", so Wahl.

Zum anderen stecke die deutsche Wirtschaft in einer Strukturkrise. "Das sieht man etwa bei den Automobilzulieferern und den energieintensiven Betrieben, die stark betroffen sind. Dazu kommen noch politische und wirtschaftliche Unsicherheiten." An eine schnelle Änderung glaubt der Insolvenzexperte nicht. "Ich schätze, wir werden in diesem und auch im nächsten Jahr noch viel Arbeit haben."

Auch Insolvenzexperte Jüchser sieht ein grundsätzliches Problem am Standort Deutschland: "Viele - insbesondere produzierende - Unternehmen in Deutschland leiden unter hohen Energiekosten, gestiegenen Rohstoff- und Materialkosten, Fachkräftemangel, hohen Lohnabschlüssen und gestiegenen Zinsen. Wenn es den Unternehmen nicht gelingt, die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterzureichen, wird es eng."

Wirtschaft wartet weiter auf Zeitenwende

Die deutsche Wirtschaft ist auch wegen der hohen Zahl von Insolvenzen in Sorge. Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI veröffentlichte Anfang des Monats eine Erklärung von mehr als 100 Verbänden. Sie wandten sich mit deutlichen Worten an Union und SPD, die damals noch den Koalitionsvertrag verhandelten. "In den vergangenen Wochen hat sich die wirtschaftliche Lage dramatisch zugespitzt. Die Fakten sind unbestreitbar. Deutschland steckt in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass diese Krise vor allem hausgemacht ist", hieß es in der Erklärung.

Nach Vorstellung des Koalitionsvertrages zeigt sich der BDI an vielen Stellen enttäuscht. "Steuerpolitisch bleibt die Koalition hinter dem Notwendigen zurück. Hier muss jeder Spielraum künftig genutzt werden, um Unternehmen zusätzlich zu entlasten, damit die Steuerbelastung schnell international wettbewerbsfähig wird", so Tanja Gönner, BDI-Hauptgeschäftsführerin. "Der Vertrag formuliert zurecht eine ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, der aber jetzt auch eine entschlossene Umsetzung [... ] folgen muss. Unter dem Strich werden wir die Bundesregierung daran messen, ob sie den Staat effizienter macht und modernisiert."

Überangebot im Auktionshaus

Bei ihm kommen die Reste der insolventen Firmen unter den Hammer: Jürgen Philippi. Er ist öffentlich bestellter und vereidigter Auktionator. Er schreibt auch Gerichtsgutachten für Insolvenzberater. Philippi ist seit 30 Jahren im Geschäft. "In der Finanzkrise 2008 und Folgejahre war viel los. Jetzt ist es aber noch schlimmer. Immer mehr Branchen sind betroffen. Das habe ich noch nicht erlebt", erzählt Philippi, der inzwischen schon Anfragen von Insolvenzberatern ablehnen muss.

Es sind zu viele. Fast jeden Tag würde ihm ein neues Verfahren angeboten, so Philippi. Neben immer mehr Firmenpleiten gebe es auch eine große Zurückhaltung bei Käufern auf den Auktionen. Es herrsche überall große Unsicherheit. "Ich beobachte zunehmend, dass Geschäftsführer ihre angeschlagenen Firmen gar nicht weiterführen wollen, obwohl es noch Marktchancen gibt. Ihre Begründung: zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie. "Das tue ich mir nicht mehr an" - das höre ich immer öfter", sagt Philippi.

Kommt das Schlimmste erst noch?

Der Auktionator warnt sogar: Das Schlimmste komme erst noch. "Hart ist es vor allem in der Automobilindustrie und der Baubranche. Jetzt erwischt es die Zulieferbetriebe. Wer kein Haus baut, der braucht auch keine Dachpfannen, Rollläden, keine Speditionsfirmen und so weiter. Das schlägt wie ein Dominoeffekt auf alle Bereiche durch", zieht Philipp eine traurige Bilanz.

Und die neue Bundesregierung und ihr Koalitionsvertrag? "Da habe ich keine Hoffnung. Es fehlen grundlegende Reformen und Vertrauen in die Wirtschaft. Ich fürchte: Die Strukturkrise wird sich verschärfen. Mit diesem Programm wird die neue Bundesregierung die Legislaturperiode nicht überstehen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Dezember 2024 um 17:18 Uhr.