Ein Prüfmeister steht an einer Ladesäule auf dem Betriebshof Hamburg-Bergedorf der vhh.mobility (Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH).

Wirtschaft und Klimaschutz Wie Klimaneutralität finanziert werden könnte

Stand: 19.02.2025 14:47 Uhr

Neben der Verteidigung entwickelt sich der Klimaschutz in Deutschland zur finanziellen Großbaustelle. Doch woher das Geld für Investitionen kommen soll, ist nicht klar. Ein Ansatz wäre die Schuldenbremse.

Von Judith Kösters, HR

Wie klappt der Umbau zum klimaneutralen Wirtschaften? Auch wenn sich die Antworten auf diese Zukunftsfrage unterscheiden, ist eines klar: Um einige große staatliche Investitionen kommt Deutschland kaum herum, etwa für Stromleitungen, E-Ladesäulen oder ein modernes Schienennetz. Dafür braucht es in den nächsten Jahren mehrere hundert Milliarden Euro. Darin sind sich sogar Forschungsinstitute einig, die sonst oft gegensätzliche Meinungen vertreten, etwa das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

In einer gemeinsamen Analyse kamen die Forscherinnen und Forscher im vergangenen Jahr auf mindestens 600 Milliarden Euro Extra-Investitionsbedarf in den kommenden zehn Jahren, um die "öffentliche Infrastruktur und Wirtschaft zukunftsfähig zu machen", macht 60 Milliarden Euro pro Jahr. Andere Institute kommen sogar auf rund 100 Milliarden jährlich. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt eines Jahres beträgt aktuell 450 Milliarden Euro.

"Kredite für Klimaschutz aufnehmen"

Ulrich Klüh, Ökonomie-Professor an der Hochschule Darmstadt und Leiter des Zentrums für nachhaltige Wirtschafts- und Unternehmenspolitik, hält diese Schätzungen sogar noch für zu konservativ. Aus seiner Sicht bräuchte es noch mehr Geld für den Klimaschutz. Es sei absolut sinnvoll, dafür am Finanzmarkt Kredite aufzunehmen - also Staatsschulden zu machen, argumentiert er im Gespräch mit dem ARD-Kompetenzcenter Klima. "Alle reden im Moment davon, dass Deutschland in der Krise ist - aber wenn man auf die globalen Finanzmärkte schaut, ist davon keine Rede". Im Gegenteil: Deutschland zahle sehr niedrige Zinsen auf seine Schulden. "Das heißt, die Finanzmärkte vertrauen uns in höchstem Maße. Das ist eine Stärke, die wir ausnutzen können, um eine Wirtschaft aufzubauen, die nicht nur klimaneutral und grün ist, sondern auch zukunftsträchtig", so Klüh.

Geld für Klimaschutz ist gut angelegt

Für eine starke Wirtschaft brauche es starken Klimaschutz - das betont auch Matthias Kalkuhl, Ökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Professor für Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Entwicklung an der Universität Potsdam. Jetzt bei den Kosten für die nötigen Investitionen zu sparen, hält er für unklug. Denn je höher die Erderwärmung, desto größer die Klimaschäden "und damit die Risiken politischer Instabilität und großer wirtschaftlicher Krisen, in Europa und weltweit".

Selbst wenn Deutschland beim Klimaschutz auf die Bremse treten wollte - viele Weichen für den Pfad zur Klimaneutralität sind auf EU-Ebene bereits fest gestellt. Am Ende, sagt Matthias Kalkuhl, würde eine "Weniger-Klimaschutz-Politik" spätestens in einigen Jahren viele Bürgerinnen und Bürger teuer zu stehen kommen. "Wenn Deutschland jetzt nicht investiert, wird das Risiko steigen, dass wir sehr hohe CO2-Preise haben, sprich: dass Heizöl, Gas und Benzin extrem teuer werden, weil von 2027 an der europäische Emissionshandel auf den Gebäude- und Verkehrssektor ausgeweitet wird. Je weniger Elektroautos bis dahin fahren und je weniger Wärmepumpen installiert sind, desto mehr steigt dann der CO2-Preis."

Fehlende Investitionen jetzt würden sich also rächen - gerade auch für Privatleute. "Wenn man in einem alten, schlecht sanierten Haus mit einer Ölheizung wohnt, dann kommt es da zu richtig hohen Kosten", so Kalkuhl. Es brauche deshalb jetzt dringend Förderung und Unterstützung für den Umbau.

Nur: Was ist mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, die es dem Staat aktuell praktisch verbietet, die nötigen Milliarden-Investitionen über Kredite zu finanzieren?

Klimaschutz als Generationenaufgabe

Die Linke will die Schuldenbremse abschaffen. Die Grünen betrachten Klimaschutz laut Wahlprogramm als "Generationenaufgabe", vor der Deutschland stehe, "die entscheidend für das langfristige menschliche Leben auf diesem Planeten ist und die deshalb teilweise auch über Kreditaufnahme finanziert werden sollte". Sie wollen an der Schuldenbremse festhalten, sie aber reformieren, genau wie SPD und auch das BSW.

Union, FDP und die AfD schreiben in ihren Wahlprogrammen, dass sie an der Schuldenbremse festhalten wollen. Union und FDP sind - anders als die AfD - grundsätzlich für Klimaschutz. Unions-Parteichef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz spricht allerdings viel über Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum und kaum übers Klima. Eine starke Wirtschaft, erklärte er bei der Vorstellung des Wahlprogramms, sei nun mal "die Grundlage für alles" - auch für "eine gute Umwelt- und Klimaschutzpolitik". Statt auf neue staatliche Kredite setzt die Union auf Wachstum.

Dafür wollen FDP und Union auch einige Umwelt-Vorgaben lockern. Die Logik: Wenn Unternehmen hohe Gewinne machen und die Wirtschaft stark wächst, bedeutet das am Ende auch Mehreinnahmen für den Staat. Also erst die Wirtschaft, dann das Klima? Aus Sicht von Karen Pittel, Ökonomie-Professorin und Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen in München, funktioniert das so einfach nicht. Sie sagte kürzlich in der ARD-Sendung "Mitreden - Deutschland diskutiert", es sei grundsätzlich verkehrt, Wirtschaft und Klima als getrennte Themen zu behandeln und gegeneinander auszuspielen, "damit werden wir niemals weiterkommen". Und: Jetzt auf Klimaschutz zu verzichten, mache mittel- und langfristig "alles massiv teurer", und das sei am Ende schlecht für die Wirtschaft.

Besondere Situationen brauchen Sondervermögen

Sowohl SPD als auch Grüne planen einen "Deutschlandfonds", der Investitionen in Schulen, in Klimaschutz-Technologien, Stromnetze oder die Bahn ermöglicht über Kredite, die der Staat parallel zum regulären Staatshaushalt aufnimmt. So ähnlich wie es die Regierung zuletzt zum Beispiel auch beim "Sondervermögen" für die bessere Ausstattung der Bundeswehr beschlossen hatte.

Aktuell zeichnet sich immer klarer ab, dass Deutschland genau wie seine europäischen Nachbarn nicht um höhere Verteidigungsausgaben herumkommen wird. Neben der Klima-Transformation also eine zweite finanzielle Großbaustelle. Möglicherweise wird sich eine neue Regierungskoalition also auf zweckgebundene neue Sonder-Schulden für beide Zwecke einigen - sozusagen auf ein "Sondervermögen Klimaschutz und Sicherheit."

Dann lieber auf direktem Weg, findet Makroökonom Ulrich Klüh von der Hochschule Darmstadt - also komplette Abschaffung der Schuldenbremse statt neuer Sonder-Haushalte: "Warum soll man etwas Gutes wie eine sinnvolle Verschuldung, die unseren Kindern zugutekommt, nicht in den normalen Staatshaushalt stellen", so sein Argument. Aktuell jedenfalls gebe es eine riesige Lücke zwischen dem, was an Investitionen in Deutschlands Klima-Zukunft nötig sei und dem was tatsächlich aufgebracht werde.