Auf einem Holztisch steht ein Wasserglas und daneben liegen vier Tabletten.

Schmerztherapie Neues starkes Schmerzmittel ohne Suchtgefahr?

Stand: 20.02.2025 06:15 Uhr

Starke Schmerzen lindern, ohne dass man nach dem Wirkstoff süchtig wird - das verspricht ein Mittel in den USA. Die Arzneimittelbehörde FDA hat nun grünes Licht für die Zulassung dort gegeben.

Von Irina Kliagina, SWR

Ende Januar hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ein neuartiges Medikament (Suzetrigin) zur Behandlung mäßiger und starker akuter Schmerzen zugelassen. Es handelt sich um ein grundsätzlich neues Arzneimittel, das im Gegensatz zu Opioiden nicht abhängig machen soll. Wissenschaftler haben es über zwei Jahrzehnte entwickelt.

Neues Medikament wirkt anders als andere Schmerzmittel

In der Medizin gab es bisher zwei Strategien, Schmerzen zu lindern. Zum einen sind es Medikamente, die am Schmerzort wirken - dazu gehören Antirheumatika wie Ibuprofen oder Aspirin. Die zweite Strategie zielt auf das zentrale Nervensystem, sie wirken im Gehirn. Dazu gehören Opioide wie Codein und Morphin, die bei starken, langanhaltenden Schmerzen eingesetzt werden. Opioide bergen jedoch das Risiko einer Abhängigkeit. Der neue Wirkstoff Suzetrigin mit dem Markennamen Journavx beeinflusst dagegen die Weiterleitung der Schmerzsignale und soll sie stoppen, bevor sie das Gehirn erreichen.

Martin Dusch, Leiter des Schmerzzentrums der Universitätsmedizin Mannheim, spricht von einem Durchbruch. "Der grundsätzliche Unterschied ist der, dass der Wirkstoff einen völlig neuen Weg geht. Es gibt keine andere aktuelle Schmerzmedikation, die pharmakologisch den gleichen Weg beschreitet."

Auf der Suche nach dem Wirkstoff

Die Geschichte der Entwicklung von Suzetrigin begann Ende der 1990er-Jahre mit grundlegenden Forschungen von Stephen Waxman von der Yale University. Er untersuchte, wie Nervenzellen Schmerzsignale vom Körper zum Gehirn weiterleiten. In den Nervenzellen gibt es neun verschiedene Natriumkanäle, die für die Weiterleitung der Schmerzsignale verantwortlich sind. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf zwei Kanäle mit den Bezeichnungen Nav1.7 und Nav1.8. Mit der Blockierung dieser Kanäle sollte die Weiterleitung der Signale unterbunden und der Schmerz beseitigt werden, ohne das Gehirn zu beeinträchtigen und ohne Abhängigkeitsrisiko.

Unterstützt wurde dieser strategische Ansatz durch die Beobachtung von "Schmerz-Exoten", etwa durch die Mitglieder einer pakistanischen Familie, die überhaupt keine Schmerzen empfanden. Sie werden in ihrem Land "Feuerläufer" genannt, weil sie auf heißen Kohlen laufen können, ohne Hitzeschmerzen zu spüren. Bei ihnen wurde eine Mutation festgestellt, die den Natriumkanal Nav1.7 hemmt. Erfolgreich waren die Forschenden letztlich beim Natriumkanal Nav 1.8. Die Substanz Suzetrigin stabilisiert den geschlossenen Zustand des Kanals und unterbricht so die Weiterleitung des Schmerzsignals.

Wie sich Suzetrigin in der Praxis bewährt hat

Zwei klinische Studien mit über 2.000 Patienten mit mäßigen oder starken Schmerzen zeigten, dass Suzetrigin akute Schmerzen ebenso gut lindert wie Opioide. In einer Studie wurde es nach einer Bauchdeckenstraffung getestet, in einer anderen nach einer Fußknochenkorrektur. Die Nebenwirkungen - Juckreiz, Krämpfe und Hautrötungen - waren nicht stärker als bei Opioiden.

Ob sich Suzetrigin tatsächlich eignet, um das Problem der Opioid-Abhängigkeit bei chronischen Schmerzen zu lösen, ist noch nicht abzusehen. Denn derzeit ist es nur für den kurzfristigen Einsatz bei akuten Schmerzen zugelassen. In solchen Fällen führen Opioide selten zu Abhängigkeit, da sie nur für wenige Tage eingenommen werden.

Martin Dusch erklärt den Unterschied zwischen akutem und chronischem Schmerz: Ersterer ist zunächst durch eine Verletzung bedingt. Der Schmerz verschwindet in der Regel spätestens nach einigen Tagen oder Wochen, wenn die Verletzung geheilt ist. Demgegenüber stehe, so Dusch, der chronische Schmerz, bei dem es keine Verbindung mehr zwischen einer Verletzung und dem empfundenen Schmerz gebe. Deshalb kann ein Medikament, das die Weiterleitung von Schmerzen unterbindet, beim chronischen Schmerz nicht wirken. Vermutlich wird Suzetrigin deshalb bei chronischen Schmerzen Opioid-haltige Medikamente nicht ersetzen können.

Wann das neue Medikament in Europa zugelassen wird, ist noch unklar. Der Hersteller sagt: "Wir konzentrieren uns derzeit auf die Vermarktung von Journavx (Suzetrigin) in den USA und werden auch künftig potenzielle Möglichkeiten für eine geografische Expansion prüfen." Dusch erwartet nach der Zulassung durch die FDA in Amerika auch ein entsprechendes Zulassungsverfahren für diesen Wirkstoff in Europa.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. Januar 2025 um 16:36 Uhr.