
Reaktionen in Europa auf Eklat Nach der Fassungslosigkeit geht der Blick nach vorn
Nach dem Eklat im Weißen Haus erfährt der ukrainische Präsident Selenskyj vor allem aus Europa Rückhalt. Allerdings gibt es auch hier Stimmen, die fordern, den Gesprächsfaden mit den USA wieder aufzunehmen.
Die europäischen Solidaritätsbekundungen für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sein Volk nach dem beispiellosen Eklat im Weißen Haus halten an. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der direkt nach dem abgebrochenen Treffen mit Selenskyj telefoniert hatte, wies Vorwürfe von US-Präsident Donald Trump und dessen Vize JD Vance zurück. "Wenn irgendjemand einen dritten Weltkrieg riskiert, ist sein Name Wladimir Putin", sagte Macron dem portugiesischen Nachrichtensender RTP bei einem Besuch in Lissabon über den russischen Präsidenten.
In einem Interview mit La Tribune Dimanche bezeichnete er den Disput zwischen Trump und Selenskyj als "schief gelaufene Pressekonferenz". Er denke, dass jeder über den Ärger hinaus zur Ruhe, zum Respekt und zur Anerkennung zurückkehren müsse, damit man konkret voranschreiten könne, denn das, worum es geht, sei zu wichtig.
Macron zeigte sich überzeugt, dass auch die Vereinigten Staaten langfristig keine andere Wahl haben, als die Ukraine weiterhin zu unterstützen. "Das offensichtliche Schicksal der Amerikaner besteht darin, auf der Seite der Ukrainer zu stehen, daran habe ich keinen Zweifel", sagte er. Zudem erklärte er, dass das bisherige Engagement der USA in der Ukraine im Einklang mit ihrer diplomatischen und militärischen Tradition stünde.
Annette Dittert, ARD London / Tina Hassel, ARD Brüssel, über Reaktionen in Großbritannien und Europa
Baerbock: "Keine Zeit zu verlieren"
In Berlin forderte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock umgehend ein entschlossenes Handeln Deutschlands und Europas. "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren", sagte sie. "Wir müssen jetzt schnell handeln, europäisch und national."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief angesichts des Eklats zu einer zügigen Koalitionsbildung auf. Die Szene im Weißen Haus habe ihm den Atem stocken lassen. "Nie hätte ich geglaubt, dass wir einmal die Ukraine vor den USA in Schutz nehmen müssen", sagte er. "Wir müssen verhindern, dass die Ukraine eine Unterwerfung akzeptieren muss. Deshalb braucht unser Land jetzt schnell eine starke Regierung."
Milliarden aus London für die Ukraine
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Antonio Costa schrieben bereits kurz nach Selenskyjs Abgang aus dem Weißen Haus: "Sie sind nie allein lieber Präsident Selenskyj. Wir werden weiterhin mit Ihnen für einen gerechten und dauerhaften Frieden arbeiten." Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte: "Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht."
Der britische Premier Keir Starmer positionierte sich derweil als Brückenbauer. Für Sonntag hat er europäische Staats- und Regierungschefs zu einem Ukraine-Gipfel eingeladen. Mit Selenskyj traf er sich bereits am Abend - und sagte der Ukraine der Ukraine einen Kredit über 2,74 Milliarden Euro zur Stärkung der Verteidigung zu. Die beiden Finanzminister Rachel Reeves und Serhii Marschenko unterzeichneten die Vereinbarung in einer Online-Zeremonie. Der Kredit sei ein Zeichen der "unerschütterlichen Unterstützung für das ukrainische Volk", hieß es.
Am Donnerstag will die EU zudem zu einem Sondertreffen zusammenkommen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schlug darüber hinaus einen sofortigen Gipfel zwischen Europa und den USA vor. "Jede Spaltung des Westens macht uns alle schwächer und begünstigt die, die den Untergang unserer Zivilisation herbeiführen wollen", mahnte sie. Die rechtsgerichtete Politikerin gilt im Kreis der europäischen Regierungschefs als eine der wichtigsten Ansprechpartnerinnen der neuen US-Regierung.
Ungarn droht mit Blockade bei EU-Gipfel
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban forderte die EU indes zu direkten Gesprächen mit Russland über eine Feuerpause in der Ukraine auf. Außerdem drohte er mit einer Blockade möglicher neuer Unterstützungsbemühungen für die Ukraine. In einem Brief an EU-Ratspräsident Costa schreibt Orban, er könne einer gemeinsamen Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag nicht zustimmen.
Es gebe "strategische Unterschiede in unserem Ansatz gegenüber der Ukraine, die nicht durch Entwürfe oder Kommunikation überbrückt werden können". Damit ist unwahrscheinlich, dass die EU bei dem Sondergipfel am Donnerstag neue Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine beschließen kann. Nach Vorstellung des Auswärtigen Dienstes der EU sollte es dort im Idealfall eine Grundsatzeinigung auf ein neues EU-Paket mit Militärhilfen für die Ukraine geben.
Rutte: Selenskyj sollte Gesprächsfaden wieder aufnehmen
NATO-Generalsekretär Mark Rutte forderte Selenskyj indes zu einer Wiederaufnahme des Gesprächsfadens mit Trump auf. "Es ist wichtig, dass Präsident Selenskyj einen Weg findet, seine Beziehung zum amerikanischen Präsidenten und zum amerikanischen Führungsteam wiederherzustellen", sagt Rutte der BBC. Dies habe er Selenskyj am Freitag in einem Telefonat gesagt. Das Treffen beider Präsidenten im Weißen Haus sei "unglücklich" verlaufen.
Der polnische Präsident Andrzej Duda legte Selenskyj ebenfalls eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den USA nahe. Außer den USA gebe es weltweit keine andere Macht, die die russische Aggression gegen die Ukraine stoppen könne, erklärt Duda. Polens Ministerpräsident Donald Tusk schrieb auf X: "Liebe ukrainische Freunde, ihr seid nicht allein."