Poilievre und Carney geben sich bei einem Fernsehduell die Hand.

Neuwahl in Kanada Liberaler Bankmanager gegen konservativen Heißsporn

Stand: 27.04.2025 18:21 Uhr

Kanada wählt ein neues Parlament. Premier und Ex-Zentralbankchef Carney hofft auf Rückenwind für die Verhandlungen mit Trump. Oppositionsführer Poilievre strebt einen Machtwechsel an.

Eigentlich schien ein Regierungswechsel in Kanada längst ausgemacht. Oppositionschef Pierre Poilievre, ein begnadeter Rhetoriker und konservativer Heißsporn, füllte große Hallen mit unzufriedenen Bürgern.

Nach zehn Jahren Regierung unter Justin Trudeau fiel für viele Kanadier die Bilanz der Liberalen negativ aus: hohe Inflation, zu viele Einwanderer und als Folge Wohnungsnot. Poilievres wichtigster Satz auf seinen Wahlkampfveranstaltungen: "Können wir uns eine vierte liberale Amtszeit mit steigenden Preisen und höherer Kriminalität leisten?"

Stimmungsumschwung durch Trump

Noch im Januar gab es in Umfragen eine klare Wechselstimmung in Kanada. Dann aber kamen Trumps Strafzölle und seine Annexionsgelüste, Kanada zum 51. US-Bundesstaat zu machen. Gleichzeitig drängten die Liberalen Trudeau zum Rückzug und machten den politisch unerfahrenen Bankenmanager Mark Carney zu ihrem neuen Partei- und Regierungschef.

Trumps Attacken und Trudeaus Rücktritt veränderten die politische Stimmung in Kanada innerhalb weniger Wochen deutlich. Für den konservativen Herausforderer Poilievre ein Dilemma, erklärt Darrell Bricker, Chef des Meinungsforschungsinstituts Ipsos in Toronto: "Sein ganzer Wahlkampf zielte auf die Liberalen unter Trudeau ab. Wie geschwächt das Land nach zehn Jahren liberaler Regierung dastand und was er verändern würde."

Mangelnde Wirtschaftskompetenz kann Poilievre dem Nachfolger von Trudeau kaum vorwerfen. Carney ist ausgewiesener Finanzexperte und kein typischer Politiker. Im Gegenteil: Wenn er spricht, bleibt er sachlich und ruhig.

Kein Anheizer, sondern Pragmatiker

Als Anheizer großer Massen kann man sich Carney nur schwer vorstellen. Tatsächlich verzichtet er weitgehend auf große Wahlkampfveranstaltungen. Er vermittelt den Eindruck, es gäbe Wichtigeres zu tun. Es müssten Lösungen für die drängendsten Probleme her.

In der TV-Debatte der Spitzenkandidaten betonte er, die Kanadier stünden vor der größten Krise ihres Lebens: "Donald Trump versucht die Weltwirtschaft und den Handel fundamental zu verändern. Was er aber wirklich mit Kanada tut: Er versucht uns zu brechen - damit die USA uns besitzen können."

Carney versucht mit seiner Kompetenz zu punkten und erwähnt bei öffentlichen Auftritten gerne, dass er krisenerprobt ist. In der Finanzkrise 2008 war er Chef der kanadischen Zentralbank. Seinen Job machte er so gut, dass er im Anschluss direkt den nächsten Top-Posten bekam: Als erster Ausländer überhaupt wurde er Chef der Bank of England und navigierte das Land durch die turbulenten Brexit-Jahre.

Ein "Trump light" als Gegenspieler

Dagegen ist Pierre Poilievre ein klassischer Berufspolitiker. Schon als 25-Jähriger wurde er als einer der jüngsten Abgeordneten ins kanadische Unterhaus gewählt. Seit drei Jahren ist er Vorsitzender der Konservativen und Oppositionschef.

Inhaltlich steht Poilievre für konservativen Mainstream. Er ist für freien Handel und gegen Zölle, für niedrigere Steuern und weniger Regulierung. Für eine starke NATO und gegen Putin. Ein Trumpist ist Poilievre nicht. Allerdings hat er wie Trump ein Talent für populistische Zuspitzung, weshalb ihn die Liberalen als "Trump light" angreifen.

Führungsstärke ist gefragt

Trumps Attacken auf Kanada haben Poilievres Wahlkampfthemen Inflation, Wohnungsnot und Kriminalität in den Hintergrund gerückt. Carney aber ist plötzlich Mann der Stunde. Wie gemacht für die existentielle Herausforderung, in der sich Kanada behaupten muss, sagt Meinungsforscher Darrell Bricker: "Plötzlich ging es im Wahlkampf nicht mehr um die Wechselstimmung. Sondern - aufgrund der Bedrohung durch die US-Regierung - ging es nun um Führungsstärke."

Diese Führungsstärke will Carney auch im Zollstreit mit Donald Trump beweisen. Auf dessen Strafzölle antwortet er mit Vergeltungszöllen und kündigt an: "Wir werden unsere Arbeiter und die meisten Unternehmen schützen. Und wir werden die stärkste Volkswirtschaft aufbauen."

Herkunft seht unterschiedlich

Seinen Kampfgeist hat sich der 60-Jährige möglicherweise aus der Zeit bewahrt, als er Eishockey gespielt hat - für das Team der Oxford-University, wo er studiert hat. Dort traf er auch seine Frau. Eine britische Volkswirtin, mit der er vier Töchter hat.

Dagegen kommen Poilievre und seine Frau beide aus einfacheren Verhältnissen. Seine Mutter war bei seiner Geburt 16 und gab ihn zur Adoption frei. Seine Frau kam als achtjähriges Flüchtlingskind mit ihrer Familie aus Venezuela nach Kanada.

Konnte sich Poilievre im Januar noch über einen Umfrage-Vorsprung von mehr als 20 Prozentpunkten freuen, liegt kurz vor der Wahl Carney vorn. Ironie der Geschichte: Ohne Trump wäre ein erneuter Wahlsieg der Liberalen in Kanada kaum möglich.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. April 2025 in der Sendung "Informationen am Mittag" um 13:20 Uhr.