Menschen in Istanbul übernachten in einem Park aus Sorge vor weiteren Erdbeben

Menschen schlafen draußen Weitere Nachbeben versetzen Istanbul in Angst

Stand: 25.04.2025 12:03 Uhr

Nach dem Erdbeben in Istanbul versuchen die Menschen, in den Alltag zurückzufinden. Doch noch immer gibt es Nachbeben und Sorge vor heftigeren Erdstößen. Derweil streitet die Politik über Versäumnisse bei der Sicherheit.

Am frühen Morgen bebte die Erde in Istanbul erneut. Nicht ganz so heftig wie am Mittwoch: eine Stärke von bis zu 4,5 meldete die Katastrophenschutzbehörde Afad. Erneut verbrachten Menschen die Nacht im Freien aus Sorge vor einem noch stärkeren Beben. Die Millionenmetropole am Bosporus kommt nicht zur Ruhe. Und trotzdem versuchen die Menschen, ihren Alltag so gut es geht zu gestalten. Die Rückkehr zur Normalität ist auch eine Reaktion vieler auf Alternativlosigkeit: In der Stadt sicher zu leben oder wegzuziehen, ist für die meisten Menschen unmöglich.

Die Türkei plagt eine Wirtschaftskrise, der starke Anstieg der Preise etwa von Lebensmitteln hat viele Menschen nicht nur in Istanbul in die Armut gedrängt. Aus der Stadt wegzuziehen und irgendwo anders einen Job zu finden, dürfte für viele keine Option sein. Istanbul ist die Wirtschaftsmetropole des Landes. Auch ein Umzug in ein erdbebensicheres Gebäude in der Stadt ist wegen der hohen Mieten für die wenigsten eine bezahlbare Option. 

Opposition: "Die Menschen leben in Särgen, nicht in Wohnungen"

Die Menschen Istanbuls machen fast 20 Prozent der türkischen Bevölkerung aus. Um die Metropole dauerhaft sicher zu machen, fordern zahlreiche Stimmen aus der Politik mehr Maßnahmen - und prangern fehlende Bemühungen vonseiten der Regierung an. Mehr als eine Million Gebäude in Istanbul gelten als nicht erdbebensicher. Ein Politiker der nationalkonservativen Oppositionspartei Iyi sagte im Parlament mit Blick auf die schlechte Vorbereitung der Stadt, die Menschen würden "in Särgen und nicht in Wohnungen" leben. Der politische Analyst Levent Gültekin kritisierte in einem Video: "Wir warten auf das Erdbeben wie die Schafe auf das Schlachten."

Die Verantwortung dies zu ändern liegt zu einem großen Teil bei der Zentralregierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, aber auch bei der Stadtregierung der größten Oppositionsregierung CHP - bislang unter Führung des mittlerweile abgesetzten und inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu. Immer wieder warf er der Regierung vor, seine Vorhaben zu blockieren.

Schlechte Bausubstanz, fehlende Evakuierungspläne

Die Regierung wiederum macht ihm und seiner Partei den gleichen Vorwurf. Mit Imamoglu wurde vor einem Monat auch der Chef der Istanbuler Stadtplanungsbehörde IPA festgenommen. IPA ist zentraler Akteur bei der Aufgabe, aus Istanbul eine für das große Beben gewappnete Stadt zu machen. Nicht nur die Gebäudesubstanz ist ein großes Risiko in der Metropole, in der ein Beben mit der Stärke von mehr als sieben laut vielen Experten seit langem überfällig ist. In der Stadt fehlt es etwa auch an Evakuierungsplanung und -infrastruktur sowie an Aufklärung der Öffentlichkeit.

Mängel bei der Bauaufsicht und Korruption sind ebenfalls weit verbreitet. Zudem wurden in der Vergangenheit immer wieder - und nicht nur in Istanbul - Tausende illegal errichtete Gebäude nachträglich über Bauamnestien legalisiert. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, solche Tage seien nicht dazu da, "Politik zu machen", sondern sich an die "Einheit und Brüderlichkeit" zu erinnern. Er wolle an solch sensiblen Tagen nicht diskutieren und sehe das als "Respektlosigkeit gegenüber dem Volk".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. April 2025 um 07:39 Uhr.