Eine Frau hält ein Bild von Papst Franziskus in den Händen. Darauf steht auf Italienisch: "Lebe wohl, Franziskus. Danke. Heute weinen alle Menschen um dich."
interview

Bilanz von Papst Franziskus "Sehnsucht nach Stabilisierung ist groß"

Stand: 21.04.2025 16:33 Uhr

Frauen in Leitungsämtern, mehr Mitsprache der Gläubigen: Franziskus wollte die Kirche sanft verändern - für einige zu sanft. Dass nun ein entschiedenerer Reformer Papst wird, ist jedoch unwahrscheinlich, sagt Kirchenexperte Breitmeier.

tagesschau24: Als Papst Franziskus sein Amt antrat, waren die Hoffnungen groß, dass er die katholische Kirche modernisieren würde. Wie fällt nun die Bilanz seines Pontifikats aus?

Florian Breitmeier: Papst Franziskus hat sicherlich für eine Internationalisierung der römisch-katholischen Kirche gesorgt. Er war der erste Nicht-Europäer seit 1.200 Jahren auf dem Stuhl Petri - und der erste Lateinamerikaner. Er hat viele Kardinäle aus sämtlichen Gegenden der Weltkirche berufen. Er hat auch wabei kurialen Entscheidungsprozessen eine Öffnung vollzogen. Jemand, der auch Laien, der auch Frauen bei Synoden beispielsweise Stimmrecht gegeben hat.

Allerdings hat Papst Franziskus sicherlich auch viele enttäuscht. Gerade diejenigen, die auf dieses Momentum nach seiner Papstwahl im Jahr 2013 gesetzt hatten, die vielleicht gehofft hatten, dass es vielleicht auch Veränderungen in der Sexualmoral gibt oder dass auch die Weihe von Diakonninen ermöglicht wird. Da ist er dogmatisch und eher konservativ geblieben. Er war ein Papst, der die Nähe der Menschen, der das Individuum gesehen hat - und weniger die Institution.

Florian Breitmeier, NDR Redaktion Religion und Gesellschaft, zur Bilanz des Pontifikats von Papst Franziskus

tagesschau24, 21.04.2025 13:00 Uhr

tagesschau24: Wie groß ist nun die Zäsur für die katholische Kirche?

Breitmeier: Die ist sehr groß, weil Franziskus eben ein Papst der Nähe gewesen ist, der einfach den Kontakt zu den Menschen gesucht hat. Als er 2013 gewählt wurde, gab es eine ganze Reihe von Skandalen - Vatileaks und auch die Finanzwirtschaft des Vatikans mit einer Kurie, der auch Machtversessenheit vorgeworfen wurde. Das dürfte dann auch zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI. geführt haben.

Franziskus hat ein ganz anderes Bild gezeigt. Er war ein Mann, der mit ausgetretenen schwarzen Schuhen die Gangway zum Flughafen und zu Flugzeugen hochgegangen ist, der selber seine Aktentasche getragen hat, der Rechnungen bezahlt hat, der im Bus gefahren ist und sich in die Domus Sanctae Marthae (Anm. d. Red.: lateinisch "Haus der heiligen Martha" - das Gästehaus der Vatikanstadt) hat führen lassen, das Gästehaus, wo er gewohnt hat. Das ist ein bescheidenes Bild, das er gezeichnet hat.

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Zur Person
Florian Breitmeier ist Journalist beim NDR. Seit 2011 ist er Redakteur für Themen aus dem Bereich "Religion und Gesellschaft". 2017 übernahm er die Leitung der Redaktion.

Jetzt bleibt spannend, wie es weitergeht. Wird der künftige Papst vielleicht ein kirchliches Oberhaupt, das auf Reformen setzt? Wird es wieder konservativer werden? Es gibt viele offene Fragen, die, nachdem die Trauerfeierlichkeiten stattgefunden haben, sicherlich auch mit Wucht die römisch-katholische Kirche beschäftigen werden.

tagesschau24: In welche Richtung wird sich denn die Kirche voraussichtlich weiterentwickeln? Welche Kräfte könnten sich da nun durchsetzen?

Breitmeier: Es gibt viele offene Frage: Papst Franziskus hat viele Kardinäle aus der gesamten Welt berufen, die sich untereinander noch gar nicht kennen. Viele werden sich jetzt zum ersten Mal in dieser Konstellation bei der Generalkongregation - das Vorkonklave (Anm. d. Red.: die Versammlung bereitet die Papstwahl vor) - überhaupt in Rom treffen und dann muss man zunächst einmal klären: Was für ein Profil braucht denn der neue Papst? Geht es darum, dass man den Reformkurs von Franziskus fortsetzt. Gibt es vielleicht auch eine Stimmung innerhalb des Konklaves? Werden die Kardinäle auf ein konservatives Verständnis des Papstamtes setzen?

Offen ist auch, welche Rolle Europa spielen wird. Franziskus hat die europäischen Länder oft kritisiert - unter anderem mit Blick auf die Migrationskrise. "Europa hat das Weinen verlernt", sagte er einst, als er an die Ertrunkenen im Mittelmeer gedacht hat.

Wird es ein Papst, der stärker auf die Internationalisierung der römisch-katholischen Kirche setzt? Aus welcher Weltgegend soll er kommen? Es ist wirklich schwierig, da eine Prognose zu geben, wo der Kurs hingeht und aus welcher Region der neue Papst kommen wird.

tagesschau24: Was bedeutet der Tod von Franziskus für die deutschen Katholiken und auch für den hier eingeschlagenen synodalen Weg?

Breitmeier: Für viele ist heute sicherlich ein Tag der Trauer - übrigens auch für viele, die nicht römisch-katholischen Glaubens sind, die vielleicht sagen: 'Diesen Papst habe ich gemocht. Wie der aufgetreten ist, wie der mit einem Kleinwagen tatsächlich vorgefahren ist.' Er hat eben nicht auf die Macht gesetzt.

Was den Reformkurs in der römisch-katholischen Kirche hierzulande angeht, gab es durchaus Konflikte mit dem Papst. Franziskus mahnte stets, nicht zu weit zu gehen. Das Verhältnis mit der deutschen Ortskirche war in vielen Punkten aus diesem Grund nicht spannungsfrei.

Allerdings lagen die römisch-katholische Kirche und die Deutsche Bischofskonferenz in vielen Punkten auf einer Linie mit Franziskus, wenn es beispielsweise darum ging, Entscheidungsfindungen zu weiten. Der Papst soll nicht mehr alleine entscheiden - auch wenn er das de facto weiterhin tun kann. Doch Franziskus wollte, dass auch darauf gehört wird, was das Gottesvolk sagt. Welche unterschiedlichen Perspektiven werden eingebracht? Ist in manchen Weltgegenden vielleicht sogar mehr möglich als in anderen? Das ist etwas, was Papst Franziskus zweifelsohne angestoßen hat.

Er war nicht derjenige, der jetzt einen Masterplan verfolgt hat, der mit einer konsequenten Stringenz jetzt radikale Reformen durchgeführt hätte. Am Ende war die Furcht vor einem Auseinanderbrechen der römisch-katholischen Kirche stärker als der Mut der Veränderung, den sich hier sicherlich in Deutschland viele Katholikinnen und Katholiken nach seiner Wahl 2013 erhofft hatten.

tagesschau24: Was bleibt von Papst Franziskus? Was kann er seinem Nachfolger mitgeben?

Breitmeier: Franziskus steht für eine bescheidene Kirche, die sich nicht abschotten will, sondern die Nähe zu den Menschen sucht. Er stieß an, dass Frauen wichtige Leitungsämter übernehmen können. Das wird schwer, da wieder zurückzugehen. Das gibt er seinem Nachfolger also mit.

Manchmal trat der Papst sehr erratisch auf und war immer wieder für Überraschungen gut. Mit einem Satz, mit einem Spruch konnte er für Kontroversen sorgen, die dann das vatikanische Presseamt wieder einfangen musste.

Inwieweit die Sehnsucht danach besteht, jetzt einen entschiedeneren Reformer als Papst Franziskus auf den Stuhl Petri zu setzen und zu wählen, ist unklar. Es könnte sein, dass die Sehnsucht nach einer Stabilisierung des Papstamtes groß ist. Damit ist nicht gemeint, dass es jetzt einen konservativen oder auch sehr traditionalistischen Rollback innerhalb der römisch-katholischen Kirche geben wird - das glaube ich nicht. Vermutlich wollen die Kardinäle aber die Kirche stabilisieren nach sehr aufregenden Jahren mit Franziskus.

Das Interview führte Kirsten Gerhard. Für die schriftliche Version wurde das Gespräch gekürzt und sprachlich geglättet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 21. April 2025 um 13:00 Uhr.