Bundestagswahl 2025
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Koalitionen und Kandidaten Diese fünf Lehren lassen sich aus der Wahl ziehen
Nach diesem Wahlabend ist klar: Koalitionen werden komplizierter, der Kandidatenfaktor wird wichtiger - und Totgesagte leben manchmal tatsächlich länger. Fünf Erkenntnisse aus der Bundestagswahl.
1. Vorgezogene Neuwahl schafft zumindest teilweise Klarheit
Das Scheitern der Ampel-Regierung und die danach von Bundeskanzler Olaf Scholz herbeigeführte Vertrauensfrage wurde von ihm auch damit begründet, die Wählerinnen und Wähler seien jetzt dran, ihren Willen aufzuzeigen.
Tatsächlich geht nun einer der beiden Konkurrenten ums Kanzleramt deutlicher gestärkt hervor - dieses Mal die Union. Bei der Bundestagswahl 2021 lagen SPD und Union mit 25,7 und 24,1 Prozent noch fast gleichauf: Olaf Scholz bildete aus einer von vorneherein schwachen Position heraus mit zwei sehr verschiedenen Koalitionspartnern das Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP.
Nun können CDU und CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz eine Regierung deutlicher führen, der Abstand zur SPD ist wesentlich größer geworden. Die Sozialdemokraten sind von den Wählenden etwa auf die Größe des Grünen-Ergebnisses aus dem Jahr 2021 geschrumpft worden.
Deutlich gestärkt wurde jedoch auch die in Teilen rechtsextreme AfD nicht nur in den Vorwahlumfragen - sie konnte ihr Wahlergebnis von 2021 nun verdoppeln. Einen Regierungsauftrag kann die Partei hier jedoch nicht hineininterpretieren, da Wählende vorher wussten, dass keine andere Partei mit ihr koalieren wird.
2. Starke AfD macht Zweierbündnisse schwieriger
Zeichnete sich in Umfragen vor dieser Bundestagswahl lange ein Zweierbündnis aus Union und SPD als sichere Variante ab, steht diese Option am Wahlabend nur noch auf wackeligen Füßen. Ein Grund: Mit dem deutlichen Erstarken der AfD und einer weiteren Streuung von Stimmen auf FDP, Linkspartei und die Neugründung BSW hatten sich die Wahlentscheidungen wesentlich breiter verteilt - und damit die politische Mitte geschwächt.
Die parlamentarische Regierungsmehrheit ist damit voraussichtlich äußerst dünn - und schnell ein Risiko für einen Regierungschef. Denn gerade die SPD-Fraktion zeichnet sich durch ein inhaltlich zuweilen sehr eigenwilliges und plurales Auftreten aus. Dies zeigte sich in der vergangenen Legislaturperiode in außenpolitischen Fragen wie etwa den Waffenlieferungen an die Ukraine.
Die Unions-Spitze betont jedoch häufig, es brauche jetzt eine handlungsfähige, stabile Regierung, auch wegen der außenpolitisch fragilen Weltlage. Die Regierungsmehrheit liegt bei 316 Stimmen. Selbst wenn Schwarz-Rot am Ende 329 Sitze im Bundestag hätte, wäre das kaum eine verlässliche Mehrheit. Stabil regieren ließe sich damit vermutlich nicht.
Der Trend im Mehrparteiensystem geht also weiterhin zu Dreier-Konstellationen - außer die AfD würde als Koalitionspartner herangezogen. Dies wird jedoch von allen anderen ausgeschlossen. So hat die AfD mit ihrem Wahlerfolg Dreierbündnisse sogar noch befördert.
3. Misserfolg der Ampelkoalition baden nur zwei von drei Parteien aus
Im Vergleich zu SPD und FDP kommen die Grünen bei Bundestagswahl-Stimmverlusten mit einem blauen Auge davon. Die Kanzlerpartei erlebt historische Tiefstwerte nicht nur im Wahlergebnis, sondern auch beim Kandidatenfaktor und bei ihren Kompetenzwerten. Gerade bei den ihr selbst wichtigsten Kernthemen soziale Gerechtigkeit und "Altersversorgung" schreiben ihr die Wählenden deutlich weniger Kompetenz zu.
Als Arbeiterpartei kann sie sich derzeit wohl nicht mehr bezeichnen: In der Gruppe der Arbeiterinnen und Arbeiter wählten laut dem ARD-Wahlexperten Jörg Schönenborn mehr Menschen die AfD als die SPD.
Die FDP verlor deutlich bei den ihr wiederum wichtigsten Kompetenzwerten Finanzen und Wirtschaft. Klar ist: Auf alten Selbstverständlichkeiten können sich die Parteien nicht mehr ausruhen, sie müssen ihre Kompetenzen immer wieder neu erarbeiten.
4. Parteien sollten Kandidatenfaktor künftig stärker berücksichtigen
Wenn Parteien sich vervielfältigen und traditionelle Parteibindungen bei den Wählenden ohnehin stetig abnehmen, bekommt der Kandidatenfaktor mehr Gewicht. Der Unionstraum von Werten deutlich über 30 Prozent ging offenbar auch deswegen nicht auf, weil ihrem Kanzlerkandidaten nur gerade mal jeder dritte Wahlberechtigte das Kanzleramt zutraute.
Seine Sympathiewerte lagen unter denen des amtierenden Bundeskanzlers und Wahlverlierers Scholz. Und dieser wiederum hatte seine Werte bei der Frage, ob er dem Kanzleramt gewachsen sei, seit 2021 glatt halbiert.
Dass es mit höherem Kandidatenfaktor anders gehen kann, zeigen Wahlerfolge von SPD und CDU in den Bundesländern, etwa von CDU-Politiker Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen oder Anke Rehlinger im Saarland, die sogar für die SPD eine alleinige Regierungsmehrheit erhalten hat.
Bei der Bundestagswahl half der Kandidatenfaktor bei der Spitzenkandidatin der Linkspartei, Heidi Reichinnek. Sie konnte vor allem auch bei jungen Wählerinnen und Wählern punkten, ihre Partei schaffte auf den letzten Metern deutlich den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.
5. Totgesagte können sich auch mal neu erfinden
Den Überraschungserfolg des Wahlabends lieferte zweifellos die Linkspartei: Nachdem sich die Gruppe um die Parteiprominente Sahra Wagenknecht von ihr abgespalten und die Partei BSW neu gegründet hatte, schien die Ursprungspartei danach im parteipolitischen Nirwana zu verschwinden.
Die Fünf-Prozent-Hürde drohte sie aus dem Parlament zu spülen, weswegen sie zunächst mit der "Mission Silberlocke" mit drei prominenten älteren Kandidaten drei Direktmandate gewinnen wollte, um über die Grundmandatsklausel sicher in den Bundestag einzuziehen.
Am Ende profitierte die Partei von mehreren für sie wohl glücklichen Umständen bei dieser Wahl: Ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek konnte über ihre schon länger vorhandene Präsenz in sozialen Medien Jüngere erreichen, ihre Opposition gegen Friedrich Merz kam an, gerade seit er im Januar AfD-Stimmen im Bundestag in Kauf nahm, um für seine Migrationspolitik zu werben.
Hinzu kam: Taktische Wählerinnen und Wähler zogen aus dem rot-grünen Lager zu ihnen, die keine Koalition mit der Union mitwählen wollten. Diese hatten SPD und Grüne jedoch nicht ausgeschlossen.
Mit dem unerwarteten Erfolg der Linkspartei wird damit einmal mehr deutlich: Auch Totgesagte können sich berappeln. Im Parteiensystem ist mehr Bewegung drin als je zuvor - auch durch eine Wählerschaft, die sich spontaner neu besinnt und entscheidet.