Chemnitz: Die Teilnehmer der Demonstration von AfD und dem ausländerfeindlichen Bündnis Pegida (Archivbild vom 01.09.2018)

Datenanalyse Wie über Ostdeutschland berichtet wird

Stand: 22.04.2025 16:39 Uhr

Eine aktuelle Datenauswertung zeigt: Ostdeutschland wird in den Medien vor allem als Problemfall thematisiert. Es mangelt an kontinuierlicher und differenzierter Berichterstattung.

Von Martin Hoffmann, mdr

Deutschland ist wieder geteilt, daran schienen die Schlagzeilen nach der Bundestagswahl im Februar keinen Zweifel zu lassen: "Der Osten ist blau", lautete der beherrschende mediale Befund. Journalistisch untermauert wurde er von einer Deutschlandkarte, welche die Wahlkreise in die Farbe der stärksten Partei einfärbte - bemessen nach den Zweitstimmen. 35 Jahre nach dem Mauerfall teilt sie Deutschland exakt entlang der ehemaligen Zonengrenze: den Westen in CDU-schwarz, den Osten in AfD-Blau.

Diese Karte bereite richtige Fakten auf, sagt der Leipziger Politikwissenschaftler Christopher Pollak. "Der Osten ist AfD-blau - das stimmt auch erstmal so. Aber was bei der Karte nicht mittransportiert wird, sind alle folgenden Parteien."

Die Karte steht damit beispielhaft für ein prägendes Muster: Die Berichterstattung über Ostdeutschland in den überregionalen Medien ist nicht falsch, aber häufig zu wenig differenziert und bedient oftmals Stereotype. Eine Karte, welche die Zweitstimmenanteile aller Parteien abbildet, hätte eine detailliertere Darstellung der Wahlergebnisse ermöglicht. Die Zuschreibung, der "Osten sei nun blau", wäre so pauschal kaum möglich.

Dass die überregionale Berichterstattung über den Osten von wenigen, zumeist seit Jahrzehnten etablierten Negativ-Themen dominiert wird, belegt eine Datenanalyse der Universität Leipzig und der Produktionsfirma Hoferichter & Jacobs. Dafür wurden Millionen Beiträge automatisiert ausgewertet, die zwischen 1990 und 2024 in überregionalen Zeitungen erschienen sind. Im Anschluss wurden die Begriffe, die bei der Ostdeutschland-Berichterstattung stark überrepräsentiert waren, in den Fokus genommen.

Darstellung als rechte Hochburg

Der Osten wurde danach überdurchschnittlich häufig als abgehängter und armer Landesteil abgebildet - vor allem aber als rechte Hochburg. Die Analyse untermauert, dass in Beiträgen über Ostdeutschland deutlich häufiger Begriffe rechter Ideologie vorkamen als im gesamtdeutschen Mittel, wie "Pegida", "völkisch", "Lügenpresse" oder "ausländerfeindlich". Aus heutiger Sicht überraschend ist, dass in den 1990er Jahren noch deutlich weniger Begriffe mit rechtem Bezug in der Ostdeutschland-Berichterstattung überrepräsentiert waren als in späteren Jahrzehnten. Seit den 2000er Jahren nahm ihr Anteil stark zu.

Ein genauerer Blick auf die in den 2010er Jahren erschienen Beiträge zeigt zudem, dass die AfD schon in ihren Anfangsjahren als Ostpartei beschrieben wurde, obwohl sie in dieser Dekade zwei Drittel der Wählerstimmen in westdeutschen Bundesländern erhielt. Danach wurde der Begriff "AfD" 13-mal häufiger in Artikeln thematisiert, wenn darin auch der Begriff "ostdeutsch" enthalten war.

Die medialen Gräben vertiefen sich

Angesichts einhelliger soziologischer Befunde und höherer Stimmanteile für die AfD im Osten ist offenkundig, dass in den ostdeutschen Bundesländern ein ausgeprägteres Rechtsextremismus-Problem existiert als in den westdeutschen.

Die Analyse zeigt aber, dass die Beschreibung ostdeutscher Realitäten überdurchschnittlich häufig in Verbindung mit dieser Problematik erfolgt. Ostdeutschland wird seit Jahrzehnten vor allem als Problemfall thematisiert, und weniger als vielfältige Lebens- und Alltagswelt wie die Regionen Süd, Nord- oder Westdeutschlands.

Olaf Jacobs, einer der Autoren, konstatiert: "Durch das offensichtliche Fehlen einer kontinuierlichen differenzierten Thematisierung erfolgt in den letzten Jahren zumindest zu Teilen in den analysierten Medien eher eine Verstärkung und Verstetigung von Mustern als ihre Überwindung". Oder kurz: Die medialen Gräben zwischen West und Ost vertiefen sich.

"Ossi-Wochen" im Herbst

Die Auswertung bildet die Datengrundlage für die ARD Story "Abgeschrieben? - Der Osten in den Medien".  Darin analysieren Expertinnen, Journalisten und Protagonisten, welche medialen Zuschreibungen der letzten drei Jahrzehnten das mediale Image des Ostens geformt haben. Der Film widmet sich auch dem Phänomen der "Ossi-Wochen". So bezeichnen einige Journalistinnen und Journalisten intern die Phasen, wenn die Aufmerksamkeit nach Wahlen oder zu Einheitsjubiläen in Richtung Osten geht.

Denn Ostdeutschland findet vor allem rund um den 3. Oktober medial statt, belegt die Datenauswertung. Überregionale Medien berichteten danach nicht kontinuierlich, sondern häufig anlassbezogen. Zudem bekam der Osten vor Bundestagswahlen unterdurchschnittlich wenig mediale Aufmerksamkeit. Dafür wurde er aber überdurchschnittlich nach Wahlen thematisiert - so wie im Nachgang der Bundestagswahl 2025, als "blauer Osten". 

Frust und Medienmisstrauen

Viele Ostdeutsche fühlen sich medial negativ dargestellt: 77 Prozent der Befragten stimmten in einer nicht-repräsentativen Erhebung unter mdr-Usern dieser Wahrnehmung zu. Der Frust über das mediale Negativ-Image hat inzwischen auch Teile der ostdeutschen Politik erfasst.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte auf den Mitteldeutschen Medientagen Anfang April öffentlich, dass er sich abgewöhnt hätte, Deutschlandfunk zu hören, wegen "persönlicher Erfahrungen, was rausgepickt wurde". An den Wahlkampfständen bekomme er überdies mit, "dass die Ossis sich inzwischen eingereiht sehen in eine Population, die abgegrenzt wird, die sich einfach abgrenzen lässt oder abgegrenzt wird von dem Deutschen, wie er zu sein hat. Das ist, was die Leute verrückt macht".

Zwar übersetzt sich eine als undifferenziert wahrgenommene Berichterstattung nicht direkt in Misstrauen gegenüber medialer Berichterstattung, aber sie kann Folgen haben, analysiert der Politikwissenschaftler Christopher Pollak. Wenn eigene Erfahrungen und Einstellungen über längere Zeit nicht oder weniger vorkämen, entwickele sich über die Zeit eine gewisse Distanz: "Wenn wir nach den Medien fragen, dann sind das 81 Prozent im Westen, die den Medien vertrauen, und 65 Prozent im Osten."  

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der ARD Story "Abgeschrieben? - Der Osten in den Medien" in der Mediathek oder heute um 22.50 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 03. April 2025 um 16:17 Uhr.