Ein Stapel mit verschiedenen Tageszeitungen liegt auf einem Tisch

Presseschau Wie das Ausland auf die Kanzlerwahl schaut

Stand: 07.05.2025 10:43 Uhr

"Merz beschädigt", "verantwortungsloses Spiel mit der Stabilität der deutschen Demokratie": Auch das Ausland schaut mit Interesse auf die dramatische Kanzlerwahl. Einige Kommentare im Überblick.

Ein halbes Jahr nach dem Ampel-Aus hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Das wird auch im Ausland mit Interesse verfolgt. Die unerwartet dramatische Kanzlerwahl von Friedrich Merz ist deshalb ein großes Thema in zahlreichen Kommentaren. Eine Auswahl:

Die Zeitung Die Presse aus Wien schreibt: "Das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Aber zumindest die Reaktion war bekannt. Denn die Abstimmungspleite zur 'Staatskrise' und zur 'Katastrophe für Deutschland' (CDU-Sozialflügel) hochzujazzen ist typisch deutsch. Ein Akt der kollektiven Hyperventilation. Sechs Stunden dauerte diese angebliche deutsche 'Staatskrise' letztlich, bevor Merz im zweiten Anlauf doch noch gewählt wurde. Aber selbst wenn man die vielen Übertreibungen abzieht: Dieser Dienstag wird Deutschland noch länger in den Knochen stecken. Der neue Kanzler ist beschädigt."

"Es geht um die Zukunft Europas"

Der Schweizer Tages-Anzeiger meint: "Die Merz-Gegnerinnen und -Gegner aus den eigenen Reihen spielten im ersten Wahlgang in verantwortungsloser Weise mit der Stabilität der deutschen Demokratie. Ein halbes Jahr ist seit dem Bruch der vorherigen Koalition schon vergangen, nicht nur Deutschland wartete seither auf eine handlungsfähige Regierung. Ganz Europa wartete. Die Weltlage ruft nach schneller Neuorientierung, weil Donald Trump die Hilfe für die Ukraine und den Schutz für Europa infrage stellt und die Welt in einen Handelskrieg verwickelt. In diesem Ringen der Mächte geht es um nicht weniger als um die Zukunft Europas."

Bei Les Échos aus Frankreich heißt es: "Die politische Linie, die Friedrich Merz bislang vertreten hat, verspricht eine gute Übereinstimmung mit Emmanuel Macron. Obwohl es immer lange gedauert hat, bis sich ein deutsch-französisches Paar gebildet hat (...), ist dies zwischen dem derzeitigen französischen Präsidenten und Olaf Scholz nie gelungen."

"Großes Geschenk an die Opposition"

Die polnische Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna schreibt: "Die Auftaktniederlage von Merz - sei es allein durch das Fehlen von Abgeordneten oder durch den tatsächlichen, wenn auch stillschweigenden Widerstand gegen den Abschluss der Koalition - ist ein großes Geschenk an die Opposition, die sich im derzeitigen Bundestag hauptsächlich aus rechts- und linksextremen Parteien zusammensetzt. Die AfD und die Linke machten keinen Hehl aus ihrer Zufriedenheit über den Fehlstart der großen Koalition. Die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, forderte sogar vorgezogene Neuwahlen, was in Berlin allerdings niemand ernst nahm."

Die italienische Tageszeitung La Stampa begrüßt Deutschlands neuen Kanzler mit einem "Willkommen zurück in der Politik, Friedrich Merz. So viele Jahre außerhalb des Parlaments und in den Kreisen der Großfinanz haben sicherlich dazu beigetragen, seine Fähigkeiten und seinen Blick zu erweitern. Aber sie haben ihn sicherlich auch jener harten Konfrontation im Tiefflug entwöhnt, ohne Rücksicht auf Benchmarks und Aktien-Portfolios, bei der keineswegs sicher ist, dass Untergebene den Anweisungen der Chefs folgen. So aber geschah es.

Dass Merz sich im parlamentarischen Betrieb nicht wohlfühlt, war schon bei seinen ersten Auftritten klar - etwa als das Gesetz zur Begrenzung des Migrantenzustroms nach dem Tabubruch des Bündnisses mit der AfD abgelehnt wurde. Das war nicht nur ein Scheitern in der Gesetzgebung, sondern auch in der Politik. Damals wie heute überraschte, wie leichtsinnig und politisch schlecht vorbereitet die Abstimmung war."

"Politische Stabilität nicht zu erwarten"

Die Moskauer Tageszeitung Kommersant meint: "Wie dem auch sei, die turbulenten Ereignisse des vergangenen Tages haben gezeigt: Politische Stabilität ist in Deutschland nicht zu erwarten. Die Bestätigung von Herrn Merz für das Kanzleramt erst beim zweiten Versuch blendet die Schwäche der "Großen Koalition" schon zu Beginn ein. Der offenbarte Mangel an Einheit und das geringe Niveau von gegenseitigem Vertrauen der Partner werden die Hauptprobleme, die die Regierung lösen muss, bis sie anfängt, den früher angedachten politischen Kurs umzusetzen."

Kommentare nach dem ersten Wahlgang

Schon gleich nach dem ersten Wahlgang kommentierte die ausländische Presse die unerwartete Niederlage für Merz mit drastischen Worten:

Die dänische Zeitung Politiken schrieb: "Merz stolpert. Europa schaut äußerst besorgt zu, während Deutschland von einem unerwarteten politischen Drama erschüttert wird. Es schafft Unsicherheit um die Führung des Kontinents in einer turbulenten Zeit, in der sich die Probleme anhäufen."

Von einem "unerwarteten und ernüchternden Rückschlag für Merz" spricht die New York Times und sieht "Deutschland zunehmend unter Druck - wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und außenpolitisch."

Libération aus Frankreich meint: "Im Moment ist es also ein Fehlstart für den Gewinner der Parlamentswahlen im Februar, der in Europa mit Hoffnung erwartet wird und versichert, dass "Deutschland wieder auf Kurs ist."

"Die Niederlage der CDU kommt für Deutschland zu einem kritischen Zeitpunkt", meint Polityka aus Polen. "Nach der Entscheidung des Verfassungsschutzes, die AfD zur extremistischen Partei zu erklären, ist die politische Szene in Aufruhr. Die AfD ist derzeit die populärste Partei in Deutschland. Sollte es nicht gelingen, eine neue Koalition zu vereinbaren, könnte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, die die AfD gewinnen könnte."

Und der italienische Corriere della Sera: "Ein solcher Fehlschlag hat noch keinen Präzedenzfall: Deutschland ist in einer noch nie dagewesenen Situation, aus der Merz stark geschwächt hervorgeht. Es sollte ein Triumph werden - im Bundestag waren sogar ausländische Delegationen anwesend, um dem neuen Kanzler zu gratulieren -, doch stattdessen ist es ein Tag des Chaos, der Deutschland fassungslos und die europäischen Verbündeten verwirrt und besorgt zurücklässt."