Eine Lachmöwe mit weißem Gefieder und dunklem Kopf sitzt am Riether Werder im Gras und schaut ihre beiden Küken an.

Mecklenburg-Vorpommern Lachmöwen in MV: Seevogel des Jahres im Sinkflug

Stand: 06.06.2025 15:08 Uhr

Über Jahre wurde die Lachmöwe als Problemvogel gesehen, gezielt vergiftet und getötet. Hierzulande gibt es aktuell noch rund 16.000 Brutpaare. Viele Tiere sind auch an der Vogelgrippe gestorben.

Von Franziska Drewes

Zahlreiche Lachmöwen, eindeutig erkennbar an ihren dunkelbraunen Köpfen, kreisen über dem Riether Werder (Landkreis Vorpommern-Greifswald), suchen nach Nahrung für ihre Küken. Die Vogelschutzinsel bietet den Lachmöwen nahezu paradiesische Bedingungen. 2003, also vor 22 Jahren, siedelte sich hier die Möwenart an. Der Riether Werder entwickelte sich zur größten Lachmöwenkolonie Deutschlands mit zwischendurch 12.000 Brutpaaren.

Paradiesische Bedingungen am Oderhaff

Christof Herrmann befasst sich seit über 20 Jahren mit der Lachmöwe. Er leitet die Arbeitsgemeinschaft Küstenvogelschutz Mecklenburg-Vorpommern.

Das Besondere am Riether Werder ist, dass es das Beispiel ist, an dem gezeigt werden kann, was Engagement und menschliche Schutzbemühungen erreichen können. Hier wird sich kontinuierlich gekümmert, dass Fuchs und Marderhund nicht die Herrschaft übernehmen. Gerade der Fuchs ist ein sehr effizienter Prädator. Wenn dort auf so einer Insel eine Fähe mit Jungen ist, dann ist das sehr kritisch.

Aktuell leben auf der kleinen Insel an der Grenze zu Polen noch 5.500 Brutpaare. Viele Tiere sind nach Polen auf kürzlich geschaffene künstliche Brutinseln abgewandert. Aber das ist nicht der alleinige Grund, warum die Population stark zurückgegangen ist.

Vogel mit Negativ-Image

Lange hatte die Lachmöwe einen schlechten Ruf. Sie galt als Fischräuber. Um 1920 protestierten die Fischer auf der Insel Poel (Landkreis Nordwestmecklenburg), weil sie ihre Existenz durch die Lachmöwe gefährdet sahen. Zudem wurde sie lange als Nistplatzkonkurrent für andere Küstenvogelarten, insbesondere die zierlichen Seeschwalben, eingestuft. Dieses Kapitel begann, als um 1910 auf dem heutigen Territorium von Mecklenburg-Vorpommern die ersten Schutzgebiete für Küstenvögel errichtet wurden, erzählt Christof Herrmann. Das hatte positive Auswirkungen auf die Bestände der Küstenvögel, viele Arten nahmen zu. Ab den 1970er-Jahren hatten die Lachmöwen Kolonien von 15.000 bis 17.000 Brutpaaren auf manchen Inseln, etwa auf der Barther Oi und im Achterwasser bei Usedom. "Da war also die Wahrnehmung: Oh Gott, die verdrängen uns die anderen Vögel, die wir auch schützen müssen", so Herrmann.

Auswirkungen auf andere Vögel doch nicht so gravierend

Doch das sei eine Fehlwahrnehmung gewesen, erklärt Herrmann. "Später hat man festgestellt, dass die negativen Auswirkungen der Möwen auf die anderen Küstenvögel gar nicht so gravierend waren". Zu dieser Erkenntnis kamen Ornithologen ab den 1980er-Jahren. Die Experten beobachteten zudem, dass Lachmöwen wichtige Partner anderer Seevögel sind. "Wenn die Lachmöwe weg ist, verschwinden auch die Seeschwalben, verschwindet vor allem die Brandseeschwalbe. Sie brütet nur mit Lachmöwen. Die Flussseeschwalbe brütet sehr oft mit Lachmöwen. Und tausende Lachmöwen bieten für die anderen Arten auch einen Schutz", weiß Herrmann. Allerdings: Lange vor dieser Erkenntnis wurden Lachmöwen gezielt getötet.

Töten als Bestandsregulierung

Aus der Ornithologischen Literatur geht hervor, dass bis 1990 die Möwenbestände reguliert wurden, dazu zählte auch die Lachmöwe. Ausgewachsene Tiere wurden vergiftet, Jungvögel getötet, Gelege zerstört und Eier abgesammelt bzw. angestochen. "Das war schon sehr brutal, aus heutiger Sicht auch ethisch absolut fragwürdig. Es war auch nicht effektiv. Die Zielbestände, die man erreichen wollte, hat man trotz intensivster Tötungsmaßnahmen nicht erreicht." Christof Herrmann verweist darauf, dass in Mecklenburg-Vorpommern ein Umdenken mit der Wiedervereinigung 1990 einsetzte.

Rätselhafter Einbruch der Population

Auf einer flachen Wiese siedeln zahlreiche Brutpaare von Lachmöwen, im Vordergrund sieht man eine kleine Gruppe von Küken, die sich mit ihrem dunklen Gefieder deutlich von den strahlend weißen Elterntieren unterscheiden.

Zahlreiche Brutpaare von Lachmöwen besiedeln den Riether Werder.

Dennoch brach die Population der Lachmöwe ab Mitte der 1980er Jahre stark ein. Zu Spitzenzeiten gab es allein in den Küstenkolonien rund 66.000 Brutpaare (1981), aktuell leben in Mecklenburg-Vorpommern noch etwa 16.000 Brutpaare. "Noch in den 1980er-Jahren war jeder Dorftümpel de facto mit einer Lachmöwenkolonie besetzt. Und dieses Bild verschwand plötzlich." Warum die Bestände so gravierend einbrachen, wissen die Küstenvogelexperten um Christof Herrmann bis heute nicht genau. Sie können bislang nur Vermutungen aufstellen. Sie verweisen etwa auf die sich verändernden Lebensräume, auf landwirtschaftliche Veränderungen, wie etwa den Rückgang des Hackfruchtanbaus, auch offene Müllhalden und Deponien in der DDR waren beliebte Futterquellen der Lachmöwen. "Aber der Bestand ging schon vorher zurück, bevor es all die wendebedingten Veränderungen gab. Letztlich verstehen wir es nur teilweise."

Die Vogelgrippe als natürlicher Killer

Ein nächster gravierender Einschnitt kam 2023, als viele Lachmöwen und Flussseeschwalben der Vogelgrippe zum Opfer fielen. Mittlerweile tritt die Tierseuche ganzjährig auf, früher war sie nur ein Phänomen während des Vogelzuges. Nun gab es erstmals große Verluste in den Sommermonaten während der Brutsaison. "Wir hatten früher kein Massensterben in Brutkolonien, weil die Viren in den Sommermonaten eben nicht da waren. Da passiert etwas in der Natur, was wir versuchen müssen zu verstehen", fasst Hermann zusammen. Gemeinsam mit dem Friedrich-Loeffler Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, suchen die Vogelschützer nach Antworten.

Ein Lichtblick am Oderhaff

Mittlerweile ziehen wieder mehr Lachmöwen ihre Kreise über dem Oderhaff, allerdings nur dort. Christof Hermann kann auch hier nur vermuten, woran das liegt: "Das Oderhaff ist natürlich ein sehr nährstoffreiches Gewässer. Es gibt sehr viele Zuckmücken dort. Es gibt auf der Oberfläche auch sehr viele Kleinfische. Das Oderhaff bietet offensichtlich, anders als das restliche Land, günstige Nahrungsbedingungen. Der Schutz ist da. Die Brutplätze sind da. Daran liegt es nicht. Also muss es irgendwo anders dran liegen. Und das kann eigentlich nur Nahrungsverfügbarkeit während der Brutzeit sein." Und so hofft Christof Herrmann, dass weiter geforscht wird und die noch vielen offenen Fragen zur Lachmöwe geklärt werden. Denn in einem ist sich der Küstenvogelexperte sicher: "Es wird ja nur geschützt, was auch verstanden wird."

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 08.06.2025 | 12:00 Uhr