Raymond Renaud aus Frankreich, ehemaliger Häftling im KZ Buchenwald, sitzt im Rollstuhl vor dem ehemaligen Lagertor.

Thüringen 80 Jahre nach Buchenwald: Wie Thüringen der KZ-Befreiung gedenkt

Stand: 31.03.2025 20:45 Uhr

Es wird wahrscheinlich das letzte große Gedenken mit Zeitzeugen: In den nächsten Tagen wird in Thüringen vielerorts an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren erinnert. Im Zentrum steht dabei die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora. Immer weniger Menschen können aus eigener Erfahrung von den Ereignissen im April 1945 berichten. Ein Gedenken mit Festakt, Kranzniederlegung und großem Begleitprogramm unter schwierigen Bedingungen.

Von Dagmar Weitbrecht, MDR THÜRINGEN

Fundamentaler Wandel in der Erinnerungskultur

Raymond Renaud, Häftlingsnummer 21.448, wird im Juli 101 Jahre alt. Er besucht die Gedenkfeiern rund um den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald in Weimar. Damit ist er einer von etwa zehn Überlebenden, die aus Frankreich, der Schweiz, Polen, Rumänien und Israel in diesen Tagen nach Thüringen kommen.

Damit könnte das Gedenken mit Zeitzeugen enden. Das werde einen fundamentalen Wandel auch für die Erinnerungskultur haben, sagt Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner. Das Gedenken finde in schwierigen Zeiten statt. Es schwinde das Bewusstsein dafür, wie fundamental die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur für die demokratischen Strukturen sei. Auch der Blick auf die internationale Bühne zeige die Problematik.

Vielleicht ist das wirkliche Ende der Nachkriegsordnung nicht 1990, sondern jetzt gekommen, weil die liberale transatlantische Nachkriegsordnung vor dem Ende steht. Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner |
Jens-Christian Wagner: Mann mit kurzen grauen Haaren im Jacket mit Schlips vor einem roten Gebäude mit Uhrturm

Professor Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, vor dem Torgebäude des früheren KZ Buchenwald.

Wagner sagt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und den USA unter Präsident Donald Trump: "Vielleicht ist das wirkliche Ende der Nachkriegsordnung nicht 1990, sondern jetzt gekommen, weil die liberale transatlantische Nachkriegsordnung vor dem Ende steht."

Buchenwald: Anblick selbst "für Frontsoldaten ein Schock"

Als am Nachmittag des 11. April 1945 US-amerikanische Truppen das Lager Buchenwald erreichten, ist es das erste intakte Konzentrationslager, auf das die US Army stieß. 21.000 Häftlinge, dem Tode oft näher als dem Leben, befreiten sie. Der Anblick sei selbst für hartgesottene Frontsoldaten ein Schock gewesen, sagt Jens-Christian Wagner. Schnell bauten die US-Soldaten eine Sanitäts-Infrastruktur auf. Dort wo noch vor Tagen die SS-Männer untergebracht waren, lagen nun Häftlinge. Trotzdem starben noch mehrere Hundert infolge der Strapazen.

An die Tage und Wochen nach der Befreiung erinnert die Outdoorausstellung "Szenen aus dem befreiten Lager" auf dem Gelände der Gedenkstätte auf dem Ettersberg bei Weimar.

Ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald und US-Soldaten

Die US-Soldaten sind von den Zuständen in Buchenwald schockiert.

Das Konzentrationslager Buchenwald
Im Sommer 1937 errichtete die SS auf dem unweit von Weimar gelegenen Ettersberg das Konzentrationslager Buchenwald. Für die geplante rassistische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft wurden Orte gebraucht, um politische Gegner, Vorbestrafte, Zeugen Jehovas und Homosexuelle zu isolieren. Ein Jahr später dehnte sich die Verfolgung auf sogenannte Arbeitsscheue, Juden sowie Sinti und Roma aus. Nach dem Kriegsausbruch 1939 wurden auch Kriegsgefangene im Lager inhaftiert. Im Februar 1945, nach den Transporten aus Auschwitz, erreichte die Zahl der Häftlinge mit 112.000 ihren Spitzenwert. 56.000 Menschen überlebten den Terror nicht. Von den 9.000 SS-Wachleuten und - frauen wurden nur 79 zur Verantwortung gezogen. Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

An diesem Sonntag, den 6. April, folgt ein umfangreiches Programm, mit dem an die Befreiung des Konzentrationslagers und an die Opfer erinnert wird: Zum Festakt in der Weimarhalle werden neben den Überlebenden und Angehörigen von verstorbenen ehemaligen Häftlingen Vertreter der Thüringer Landesregierung erwartet. Die Festrede hält CDU-Altbundespräsident Christian Wulff.

Warum findet das Gedenken am 6. April 2025 statt?
Die Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Befreiung des KZ Buchenwald finden traditionell an einem Sonntag statt, der zeitlich dem Tag der Befreiung (11. April) nahe liegt. Da in diesem Jahr der 13. April in die Pessach-Zeit fällt und Angehörigen jüdischer Opfer damit eine Anreise nicht zumutbar wäre, hat die Gedenkstätte den Termin 2025 auf den 6. April gelegt.

Am Nachmittag wird auf dem Appellplatz der Gedenkstätte unter anderem der Vorsitzende des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora (IKBD), Naftali Fürst, sprechen. Danach präsentieren deutsche und französische Jugendliche ihr Theater-Projekt "L’Écriture ou la vie" (deutsch: "Schreiben oder Leben") von Jorge Semprún. Der Tag schließt mit einem interreligiösen Gedenken der beiden großen Kirchen und der jüdischen Gemeinde.

Mittelbau-Dora: Bilder der entkräfteten Häftlinge gingen um die Welt

Auch das Konzentrationslager Mittelbau-Dora nahe Nordhausen wurde am 11. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. Die SS hatte das Lager für die unterirdische Rüstungsproduktion eingerichtet. Bis März 1945 wurden 60.000 Häftlinge in die Mittelbau-Lager verschleppt. Als die US-Soldaten ins Lager vorstießen, befanden sich nicht mehr viele Häftlinge vor Ort, die meisten waren von der SS auf Todesmärsche geschickt worden.

Ein Waggon der Reichsbahn steht im Eingangsbereich zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Auch das Konzentrationslager Mittelbau-Dora wurde am 11. April 1945 von US-Truppen befreit.

Die Bilder und Filmaufnahmen, die US-amerikanische Kriegsberichterstatter in den Folgetagen von entkräfteten und verhungerten Häftlingen in Dora und in der Boelcke-Kaserne Nordhausen machten, gingen um die Welt. Zum KZ gehören fast 40 Außenlager in der Region, wie in Ellrich, Harzungen oder Bischofferode.

Am Montag, 7. April, wird bei der Festveranstaltung der Opfer gedacht. Als einziger Überlebender wird Albrecht Weinberg als Ehrengast begrüßt. Er erlebte die Befreiung nach einem Räumungstransport von Mittelbau-Dora zum KZ Bergen-Belsen. Ebenfalls als Ehrengast wird James D. Bindenagel, der Sohn eines US-Soldaten, an der Feier teilnehmen. Sein Vater war Teil der Truppen, die vor 80 Jahren das KZ befreit haben. James D. Bindenagel war Botschafter der USA in Deutschland. Auch in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora wird eine Outdoor-Ausstellung die Zeit nach der Befreiung thematisieren, weitere Stelen werden in Ellrich und der Stadt Nordhausen zu sehen sein."

Albrecht Weinberg sitzt in seiner Wohnung in Ostfriesland.

Der KZ-Überlebende Albrecht Weinberg ist einer der Redner auf der Festveranstaltung.

Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges in Städten und Dörfern

Nicht nur in den Gedenkstätten wird die Erinnerung an die Ereignisse in den letzten März- und Apriltagen 1945 wachgehalten. Auch in vielen Städten und Dörfern wird in diesen Tagen der Ereignisse gedacht.

Mehrere Städte wurden noch im Frühjahr 1945 durch Bombenangriffe schwer beschädigt. Am 19. März traf es Jena, Ziel: die optische Industrie. Getroffen wurde auch die historische Altstadt. Anfang April flog die Royal Air Force zwei Angriffe auf die Stadt Nordhausen, die daraufhin fast vollständig zerstört wurde. Etwa 8.800 Menschen kamen dabei ums Leben.

Besonders schwere Kampfhandlungen gab es bei der Überquerung der Werra. Am Ostersonntag 1945 ordnete der NSDAP-Ortsgruppenleiter an, die Stadt bis zum letzten Mann zu verteidigen. Die US-Army begann mit dem Artilleriebeschuss. Um die vorrückenden US-amerikanischen Panzer abzuwehren, sprengte die Wehrmacht die historische Werrabrücke. Das konnte den Vormarsch jedoch nicht aufhalten. Die Bilanz: eine fast vollständig zerstörte Stadt Creuzburg im Wartburgkreis und viele Tote.

Einen Tag später erreichten die US-Amerikaner Gotha. Der Standortälteste war Josef Ritter von Gadolla. Er wollte unnötiges Blutvergießen und die Zerstörung der Stadt vermeiden und ordnete die Kapitulation an. Beim Versuch, mit einer weißen Fahne am Auto zu den Amerikanern zu gelangen, wurde er von der Wehrmacht verhaftet, kam vors Standgericht und wurde am 5. April 1945 erschossen. Gotha jedoch entging so der Zerstörung.

Ganze 16 Tage brauchte die US-Armee, um Thüringen zu befreien. Durch fanatische Nazis wurden Städte und Dörfer zu "Festungen" erklärt. Volkssturm-Männer und Kinder der Hitlerjugend sollten mit wenigen Waffen die Armee aufhalten. Das gelang nicht, kostete aber viele Menschenleben. Nachdem bekannt wurde, dass die US-Soldaten Ende Juni Thüringen der sowjetischen Armee übergeben würden, gab es eine Massenflucht in Richtung Westen.

MDR (ams)