Kinder bei der Schnitzeljagd mit Smartphone

Thüringen Alte Debatte: CDU fordert, Kinder schon ab Zwölf vor Gericht zu stellen

Stand: 21.02.2025 16:31 Uhr

Die Landtagsfraktion der Thüringer CDU fordert, die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre zu prüfen. Der Grund dafür seien mehr Straftaten von Kindern. Die Vereinigung für Jugendgerichte hält dagegen.

Von Carmen Fiedler, MDR THÜRINGEN

Seit rund 100 Jahren ist in Deutschland gesetzlich festgeschrieben, dass Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig sind. Das heißt, sie werden für begangene Straftaten nicht vor ein Gericht gestellt, vor dem sie sich verantworten müssen. Sie können nicht für Straftaten belangt werden.

Eine Bronzestatue der römischen Göttin Justitia mit Waage und Richtschwert in der Hand

1923 wurde die Altersgrenze von 14 Jahren für die Strafmündigkeit eingeführt.

"Die gesetzliche Altersgrenze für die Strafmündigkeit ist - wie alle anderen Altersgrenzen im Recht auch - eine Setzung, die allerdings auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht", heißt es dazu von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ).

Kinder unter 14 nicht strafmündig

Relevant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Schuldfähigkeit im Strafrecht immer die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit fordert. DVJJ: "Auch wenn zwölf- und 13-jährige Kinder manchmal reifer aussehen, sind sie, was ihre intellektuelle und vor allem psychosoziale Reife angeht, noch genauso unreif, impulsiv, emotional und verletzlich wie 1923, als diese Altersgrenze eingeführt wurde."

Doch das sehen nicht alle so. Vor allem CDU-Politiker fordern regelmäßig eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre. So forderte auch die Landtagsfraktion der Thüringer CDU kürzlich, die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu prüfen.

Die "steigende Kriminalität unter unseren Kindern" sei "sehr besorgniserregend", teilte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jonas Urbach, mit. "Vor dem Hintergrund der enorm hohen Zahlen muss deutlich und ohne Tabus über Konsequenzen gesprochen werden."

Kriminalstatistik von 2023

Die "enorm hohen Zahlen" beziehen sich auf eine Kriminalstatistik des Thüringer Landeskriminalamtes aus dem Jahr 2023, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. 2023 haben 2.975 Kinder bis 13 Jahren in Thüringen eine Straftat begangen.

2022 waren es 2.601 Kinder, also 14,4 Prozent weniger als 2023. 2021 haben 1.940 Kinder eine Straftat begangen, das sind 53 Prozent weniger als 2023. Eine Steigerung der Zahlen zwischen 2021 und 2023 gibt es also tatsächlich.

CDU will über Thema reden

Doch würde eine Herabsetzung der Strafmündigkeit etwas an diesen Zahlen ändern? Würden dann weniger Kinder Straftaten begehen? Diese klare Schlussfolgerung will Urbach auf Anfrage nicht ziehen.

Man wolle angesichts der Zahlen dieses Thema vor allem noch einmal auf die Tagesordnung bringen und "einfach mal darüber zu reden, ob wir diese Strafmündigkeit ändern", sagte er MDR THÜRINGEN.

Es geht uns wirklich nicht darum, dass wir jetzt irgendwelche Kinder wegsperren möchten. Jonas Urbach | CDU

Mehr als darüber reden wäre in Thüringen auch nicht möglich; über eine Gesetzesänderung müsste der Bund entscheiden. Die CDU-Fraktion will die Landesregierung auffordern, "hier tätig zu werden", beispielsweise mit einer Bundesratsinitiative.

Jonas Urbach, Bürgermeister – möchte das Kloster Anrode erhalten

Jonas Urbach ist der innenpolitische Sprecher der Thüringer CDU-Landtagsfraktion.

"Es geht uns wirklich nicht darum, dass wir jetzt irgendwelche Kinder wegsperren möchten", sagte Urbach, sondern darum, "eine höhere öffentliche Wahrnehmung dieses Problems herbeizuführen und den Kindern deutlich zu machen, dass das Handeln auch Konsequenzen hat."

Konsequenzen für Kinder nach Straftat

Dabei gibt es bereits Konsequenzen, die für Kinder auf eine Straftat folgen. Beispielsweise werde das Jugendamt informiert, erklärte der Sprecher der Landespolizeidirektion MDR THÜRINGEN auf Nachfrage.

Kinder, die eine Straftat begangen haben, werden von der Polizei nach Hause gebracht. "Wir müssen sie in die Obhut von Erziehungsberechtigten übergeben oder direkt ans Jugendamt", so der Polizeisprecher.

Ein Mädchen sieht aus einem Fenster

Die Eltern werden über mögliche Konsequenzen informiert, wenn ihr Kind eine Straftat begangen hat.

Den Eltern werde dann gesagt, was die Kinder getan haben. Zudem würden die Eltern über eventuelle noch folgende Konsequenzen informiert. Ein solche Konsequenz könne etwa sein, dass ein Kind, das Ladendiebstahl begangen habe, im betreffenden Laden ein Hausverbot bekomme.

Kinder müssen möglicherweise psychiatrisch betreut werden

Bei Straftaten wie beispielweise Körperverletzung "wird schon relativ früh das Jugendamt mit eingebunden", sagte der Sprecher weiter. Dieses käme dann mit vor Ort, um mit den Eltern oder Erziehungsberechtigten eine Lösung zu finden.

Möglicherweise müssten die Kinder psychiatrisch betreut werden. Das Jugendamt müsse zudem entscheiden, ob die Sorgeberechtigten in der Lage sind, die elterliche Sorge auszuüben.

Aber wir brauchen uns nichts vormachen, und da bin ich sehr für klare Worte, dass wir an anderer Stelle letztendlich mit dem scharfen Schwert der Gerichte auch mal eingreifen müssen. Stefan Schard | CDU

Doch diese Mittel reichen aus Sicht der CDU-Fraktion nicht aus. Natürlich, sagte der justizpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Stefan Schard, MDR THÜRINGEN, gehöre es dazu, "dass wir auf der sozialen Ebene Vorkehrungen treffen müssen".

"Aber wir brauchen uns nichts vormachen, und da bin ich sehr für klare Worte, dass wir an anderer Stelle letztendlich mit dem scharfen Schwert der Gerichte auch mal eingreifen müssen." Nicht alles könne durch Familienberatungen "eliminiert werden".

Deutschland braucht kein Kinderstrafrecht. DVJJ |

Was genau damit erreicht werden solle, wenn man das Alter der Strafmündigkeit absenke, fragt Sebastian Jende vom Jugendhilfeverein Drudel 11 in Jena: "Will unsere Gesellschaft Kinder strafrechtlich erziehen?" Jende ist Mitglied bei der DVJ, die in der Sache ganz klar formuliert: "Deutschland braucht kein Kinderstrafrecht".

Diebstahl häufigste Straftat bei Kinder

Ein genauerer Blick auf die Thüringer Straftat-Zahlen von 2023 zeigt, dass die meisten Kinder - 1.021 von 2.975 - etwas gestohlen haben. Danach folgen auf Platz 2 und 3 Körperverletzung (643 Kinder) und Sachbeschädigung (366 Kinder).

Sebastian Jende: "Bei einer allgemeinen Absenkung der Strafmündigkeit würde das Strafrecht generell bei allen, auch "leichteren" Delikten (z.B. Diebstahl, Beleidigung) zur Anwendung kommen."

Will man also Kinder, die einen Ladendiebstahl begangen haben, wirklich vor Gericht stellen? "Es muss klar sein, dass auch Diebstähle oder Sachbeschädigungen keine Kavaliersdelikte und Jugendstreiche sind", heißt es von Jonas Urbach. Die Intention liege jedoch nicht darauf, "dass wir Kinder anders bestrafen wollen", so Urbach.

Stefan Schard (CDU), Thüringens justizpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, während der Sitzung des Thüringer Landtags.

Stefan Schard ist der justizpolitische Sprecher der Thüringer CDU-Landtagsfraktion.

Man wolle die Möglichkeit einfach prüfen. "Niemand will Kinder in Gefängnisse stecken, das wollen wir auch nicht, aber wir müssen über Konsequenzen reden, die wir den Kindern aufzeigen", sagte Stefan Schard. Man müsse verschiedene Instrumente entwickeln, Beratungsinstrumente, Erziehungsinstrumente, bis hin zu der "Möglichkeit, am Ende auch mit strengeren Methoden auf Kindern einzuwirken".

Weder ist die angenommene abschreckende Wirkung realistisch, noch passt das Jugendstrafrechtssystem für zwölf- und 13-jährige Kinder. DVJJ |

Es sei nicht zu erwarten, dass eine Senkung der Strafmündigkeitsgrenze zur Reduzierung von Straftaten beitragen würde, heißt es von der DVJJ. "Weder ist die angenommene abschreckende Wirkung realistisch, noch passt das Jugendstrafrechtssystem für zwölf- und 13-jährige Kinder." Verhaltensauffälligkeiten könne mit anderen Mitteln sehr viel besser begegnet werden.

Unterstützung für Familien

Eben damit, dass Straftaten von Kindern an die zuständigen Jugendämter mitgeteilt werden, "die den notwendigen Unterstützungsbedarf ermitteln und den Familien darauf aufbauende Angebote unterbreiten".

Bei fehlender Zusammenarbeit der Familien mit dem Jugendamt könnten die Familiengerichte einbezogen werden und gegebenfalls die elterliche Sorge der Eltern beschränken oder entziehen. "Das Strafrechtssystem verfügt nicht über geeignetere Mittel, um auf Kinder, die abweichendes Verhalten zeigen, einzuwirken."

Stefan Schard glaubt nicht, dass den gestiegenen Zahlen mit dem jetzigen System begegnet werden könne. Er sehe zudem keine positiven Effekte.

Risikofaktoren für problematisches Verhalten

Viele Kinder, Jugendliche und Heranwachsende hätten aus der Pandemie erhebliche Entwicklungsdefizite mitgenommen, heißt es von der DVJJ. Viele seien von den Krisen der Welt erschüttert und treffen auf Erwachsene, die aufgrund eigener Belastungen nicht ausreichend zur Verfügung stünden. "Viele Kinder, Jugendliche und Heranwachsende wachsen unter wirtschaftlich und sozial hoch problematischen Bedingungen auf."

Dies alles seien wesentliche Risikofaktoren für problematisches Verhalten. "Eltern, Schulen, Jugendhilfe und psychosoziale Hilfesysteme müssen gestärkt werden, um Kinder in einer positiven Entwicklung zu unterstützen." Eine untere Altersgrenze von mindestens 14 Jahren entspricht auch der Forderung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes.

MDR (caf)