Langzeitbelichtung von einer vorbeifahrenden Tram in der Nacht in der Innenstadt von Jena

Thüringen Buslinien gestrichen, Takte ausgedünnt: Was die Nahverkehrs-Kürzungen in Jena für Fahrgäste bedeuten

Stand: 07.06.2025 14:42 Uhr

Die Stadt Jena will im Nahverkehr 500.000 Euro pro Jahr sparen. Das hat weitreichende Folgen: Busse fahren seltener, einige Stadtteile verlieren ihre direkte Anbindung. Besonders hart trifft es ältere Menschen und Pendler. Ein Überblick über die wichtigsten Änderungen - und was die Stadt dazu sagt.

Von Olaf Nenninger, MDR THÜRINGEN

Ins nördliche Jenaer Wohngebiet Himmelreich fährt derzeit noch die Buslinie 42 - halb- bis stündlich. Doch das wird bald Geschichte sein. Die Verbindung wird komplett gestrichen. Für die Anwohnerinnen und Anwohner, viele von ihnen älter oder eingeschränkt mobil, ist das ein harter Einschnitt.

Ich bin jetzt 80 geworden und versuche ja noch alles Mögliche hinzukriegen. Aber dann lauf ich den Berg hoch zu uns ins Haus. Das ist schon schwierig. Hella Birch-Hirschfeld |

Hella Birch-Hirschfeld wohnt seit 25 Jahren im Himmelreich, das in einen steilen Hang gebaut ist. Die Rentnerin ist auf den Bus angewiesen: "Ich bin jetzt 80 geworden und versuche ja noch alles Mögliche hinzukriegen. Aber dann lauf ich den Berg hoch zu uns ins Haus. Das ist schon schwierig."

Regionalbusse sollen die Stadtverbindung ersetzen, so wie vor Jahren, bevor die Linie 42 nach langem Kampf kam. Doch Ortsteilbürgermeister Waldemar Kühner (CDU) widerspricht: "Es gibt eine ganze Reihe von Lücken vor allen Dingen in den frühen Nachmittagsstunden und dann vor allem in den Abendstunden. Der letzte Bus würde gegen fünf hier fahren."

Jenaer Vororte vom Nahverkehr abgekoppelt

Maua ohne Linie 48: Schüler und Senioren betroffen

Auch im Süden der Stadt, in Maua, wird die Anbindung schlechter. Die Buslinie 48 wird gestrichen - sie war für viele ein fester Bestandteil des Alltags. "Ältere Menschen sind relativ stark auf die 48 angewiesen", erklärt Volker Krause, der sich für den Erhalt der Verbindung engagiert.

Ältere Menschen sind relativ stark auf die 48 angewiesen. Volker Krause |

"Früh um sieben nutzen sehr viele Kinder die 48, um in die Schule zu kommen. Und rückwärts dann um die Mittags- und Nachmittagszeit natürlich auch." Schon jetzt falle die Linie gelegentlich aus - "und man weiß nicht warum", so Krause.

Mauas Ortsteilbürgermeisterin Jacqueline Fischer (pl), Stadträtin Ramona Vöttgen (Bürger für Thüringen/DieBasis) und Volker Krause (Bürger für Jena) stehen an einer Haltestelle.

Mauas Ortsteilbürgermeisterin Jacqueline Fischer (pl), Stadträtin Ramona Vöttgen (Bürger für Thüringen/DieBasis) und Volker Krause (Bürger für Jena) kämpfen für den Erhalt der Linie 48. (v.l.n.r.)

Weniger Takte, längere Wartezeiten

Nicht nur Linien fallen weg - auch auf vielen Strecken wird der Takt gestreckt. Was früher alle zehn Minuten kam, fährt künftig nur noch alle 15 oder 20 Minuten. Davon betroffen sind unter anderem die Buslinien 14 und 16 sowie das Wochenendangebot der Linien 14, 15 und 16, das auf einen 30-Minuten-Takt ausgedünnt wird.

Auf den Hauptachsen sollen neue, größere Straßenbahnen - die sogenannten Lichtbahnen  - den geringeren Takt durch mehr Platz ausgleichen. Die Linie 1 wird mit der Linie 5 durchgebunden, sodass Fahrgäste ohne Umstieg von Zwätzen bis Lobeda-Ost fahren können. Montag bis Freitag wird dort ein 10-Minuten-Takt angeboten.

Drei neue Lichtbahnen in Jena.

Die "Lichtbahnen" genannten größeren Straßenbahnmodelle sollen in Jena auf den Hauptachsen zum Einsatz kommen.

Stadt sieht sich zu Kürzungen gezwungen

Die Kürzungen sind Teil eines Sparkonzepts, das der Jenaer Stadtrat beschlossen hat. Der Grund: gestiegene Betriebskosten - unter anderem durch höhere Löhne, Energiepreise und Materialkosten. Und da sind die Lichtbahnen selbst. Ihre Anschaffung nebst Teilumbau des Streckennetzes hat rund 150 Millionen Euro verschlungen. Das will gegenfinanziert werden.

[...] Ich halte es für ein Grundgebot der Daseinsvorsorge, dass wir alle Stadtteile erschließen. Dirk Lange |

Auch die Corona-Folgen seien noch spürbar, heißt es: Die Fahrgastzahlen lägen noch immer unter dem Niveau von 2019. Hinzu komme das Deutschlandticket, dessen Einnahmeausfälle laut Stadt nicht vollständig kompensiert würden.

"Ein Grundgebot der Daseinsvorsorge" - oder nicht?

Stadtentwicklungsdezernent Dirk Lange (pl) betont: "Ziel war immer, in allen Gebieten in Jena noch eine Anbindung zu haben. Gleichwohl ist die schlechter geworden in Bereichen, aber wir haben niemanden abgekoppelt." Man habe sich bewusst nicht nur an den Auslastungszahlen orientiert - "denn ich halte es für ein Grundgebot der Daseinsvorsorge, dass wir alle Stadtteile erschließen."

Das betrifft die Bürgerinnen und Bürger, die noch arbeiten gehen, das betrifft auch Schülerinnen und Schüler, gehbeeinträchtigte Menschen, die kein Auto fahren können oder auch älter sind. Ulf Weißleder |

Für viele Betroffene klingt das wie ein schwacher Trost. Ulf Weißleder (Bürger für Jena), Stadtrat und Bewohner des Himmelreichs, sieht die Realität anders: "Wie kommen die Leute aus den Randlagen in die Stadt? Das betrifft die Bürgerinnen und Bürger, die noch arbeiten gehen, das betrifft auch Schülerinnen und Schüler, gehbeeinträchtigte Menschen, die kein Auto fahren können oder auch älter sind."

Der Jenaer Stadtrat Ulf Weißleder (Bürger für Jena) und Zwätzens Ortsteilbürgermeister Waldemar Kühner (CDU) stehen an einer Bushaltestelle.

Stadtrat Ulf Weißleder (Bürger für Jena, links im Bild) und Zwätzens Ortsteilbürgermeister Waldemar Kühner (CDU) an der Endhaltestelle der Linie 42 im Himmelreich. Dort sollen bald nur noch Regionalbusse halten.

Neue Erschließungen geplant - aber kein echter Ersatz

Die Stadt verweist auf neue Erschließungsmaßnahmen: Drackendorf, Lobeda-Altstadt, Ziegenhain und Lichtenhain sollen erstmals mit Buslinien angebunden werden. Ob diese Ergänzungen die Verluste in bestehenden Stadtteilen ausgleichen können, bleibt fraglich.

Denn eines steht bereits jetzt fest: Für viele Menschen am Rand der Stadt bedeutet die Sparmaßnahme mehr Aufwand, mehr Wartezeit - und weniger Teilhabe am öffentlichen Leben.

MDR (one/jn)