
Thüringen Was bleibt von der Erinnerungspolitik der Ampel?
Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist vor rund drei Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Gedenkstättenarbeit voll und ganz zu unterstützen. Doch dann gab es Streit um ihr "Rahmenkonzept Erinnerungskultur", der tiefe Gräben zwischen ihrem Haus und den Einrichtungen deutlich machte. Was ist seitdem geschehen?
- Nach ihrem Amtsantritt 2021 versprach Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Stärkung der Erinnerungskultur.
- Ein neues Konzept für die Erinnerungsarbeit stieß unter Experten allerdings auf viel Kritik.
- Durch das vorzeitige Ende der Ampel-Regierung ist nun unklar, wie es in der Gedenkpolitik weitergeht.
Es war ein Besuch mit Symbolwert: Ihre erste Reise als Kulturstaatsministerin führte Claudia Roth im Dezember 2021 nach Buchenwald. Dort versprach sie, der Gedenkpolitik eine wichtige Rolle in ihrem Haus zukommen zu lassen – auch, weil Erinnerungskultur die Demokratie stärke: "Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen und die Würdigung der Opfer ist ihr tatsächlich ein Herzensanliegen gewesen", erinnert sich Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, an den Besuch. Sie sei "emotional voll dabei" gewesen.
Streit um "Rahmenkonzept Erinnerungskultur"
Roth kündigte damals an, sie werde die Gedenkstättenkonzeption des Bundes aus dem Jahr 2008 überarbeiten. Um neue Formen des Gedenkens zu ermöglichen in einer Zeit mit immer weniger Zeitzeugen und vielfältigen digitalen Neuerungen. Ein entsprechender Entwurf unter dem Titel "Rahmenkonzept Erinnerungskultur", der im Frühjahr 2024 an die Öffentlichkeit kam, sorgte dann aber für heftigen Streit zwischen ihrem Haus und den verschiedenen Gedenkstätten.

Jörg Ganzenmüller ist Geschichtsprofessor an der Universität Jena und Vorsitzender der Stiftung Ettersberg.
"Die Kulturstaatsministerin wollte mit diesem Entwurf die Erinnerungskultur eines ganzen Landes rahmen. Mit einer sehr eigenwilligen Erzählung der Geschichte der Bundesrepublik", fasst Jörg Ganzenmüller, Vorstand der Stiftung Ettersberg, seine Kritik zusammen. Man habe von staatlicher Seite vorgeben wollen, "wie wir unsere Geschichte zu lesen und zu sehen haben." Das gehe in einer demokratischen Gesellschaft einfach nicht.
Erinnerungskultur von oben herab
Die vorgegebene Lesart war nur einer von mehreren Kritikpunkten. So wurde auch moniert, dass sehr unterschiedliche Themen, wie die Einwanderungsgesellschaft oder die NSU-Morde in dem Konzept auftauchten. "Ich war alles andere als angetan von dem Papier", sagt Jens-Christian Wagner heute. "Fünf oder sechs verschiedene Themen standen ungeordnet, unpriorisiert und unkontextualisiert einfach nebeneinander." Das sei wenig angemessen gewesen, auch wenn die Themen zweifelsfrei alle wichtig seien: "Insgesamt ist diese Geschichte ein kommunikatives Desaster gewesen!"
Die Kritik war vielstimmig, kam nicht nur aus Thüringen. In der Folge zog Roth das Konzept zurück und die Arbeit an einem Folgepapier begann, diesmal unter Einbeziehung der Einrichtungen. "Dieses Konzept ist mittlerweile fertig und es ist gut geworden", findet Jens-Christian Wagner.
Das neue Konzept enthalte etwa den Punkt, dass historisch-politische Bildung am konkreten Ort stattfinden soll. Dies sei unerlässlich, gerade weil im digitalen Raum die Geschichtsleugnung viel Platz einnehme. Auch sei zu begrüßen, dass die Forschung zum Nationalsozialismus in den Gedenkstätten eine wichtige Rolle spielen soll. Diese finde an den Universitäten bei weitem nicht mehr in dem Umfang wie in den 90er-Jahren statt, so Wagner. An den "Unis ist das Thema fast tot."
Kolonialismus spielt im neuen Konzept eine Rolle
Für Jörg Ganzenmüller, der selbst für den Bereich SED-Unrecht am Papier mitgeschrieben hat, enthält das neue Konzept auch einen anderen wichtigen Punkt: Es lasse erstmals die Möglichkeit zu, dass das Thema Kolonialismus in die Gedenkstättenkonzeption aufgenommen werden kann: "Das finden übrigens auch alle anderen Kollegen richtig und wichtig. Uns wurde im vergangenen Jahr unterstellt, es gebe Futterneid, wir wollten dieses dritte Thema da raushalten." Das stimme aber einfach nicht.
Das Thema Kolonialismus tauchte erstmals in dem viel kritisierten Entwurf auf. Im Gegensatz zu den anderen Themenfeldern sei es nicht weggefallen, da es sich hier um "staatlich organisiertes Unrecht" handele, so Ganzenmüller. Er kann der Debatte des vergangenen Jahres deswegen auch Positives abgewinnen: "Die Frage, welche Rolle der Kolonialismus in unserer bundesdeutschen Geschichtskultur einnehmen soll, ist sehr wichtig." Dass diese Diskussion nun begonnen hat, findet er gut.
Zustimmung kommt von seinem Kollegen Jochen Voit von der Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt: "Manchmal ist es notwendig, neue Orte zu kreieren – oder auch die Museen in die Pflicht zu nehmen, die sich zum Teil schon seit über hundert Jahren mit diesem kolonialen Erbe befassen." Das seien Häuser, die sich ohnehin derzeit neu aufstellten. Als Beispiel nennt Voit das Überseemuseum in Bremen.
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Jochen Voit leitet seit 2014 die Erfurter Gedenkstätte Andreasstraße.
War monatelange Arbeit umsonst?
Die große Frage ist, wie es nun weitergeht. Das neue Konzept von Kulturstaatsministerin Roth konnte nicht mehr dem Bundestag vorgelegt werden. Ob die nächste Bundesregierung es so durchwinken wird, ist völlig unklar. Jörg Ganzenmüller denkt nicht, dass das Papier in der Schublade verschwinden wird. Er will bei der Vorstellung im Bundestag vergangenen Herbst einen parteipolitischen Konsens in dieser Frage wahrgenommen haben.
"Die nötigen Weichenstellungen in der Gedenkpolitik sind unter Claudia Roth zwar erfolgt, aber nicht umgesetzt worden", lautet die Bilanz von Jens-Christian Wagner. Es seien keine neuen Akzente gesetzt worden. Auch der hohe Sanierungsstau in vielen Gedenkstätten sei finanziell nicht aufgefangen worden. Wahrscheinlich werde, so Wagners Prognose, man Claudia Roths Zeit als Kulturstaatsministerin deswegen am Ende als eine Art Interimszeit in den Geschichtsbüchern verbuchen.
Quelle: MDR KULTUR (Mareike Wiemann)
Redaktionelle Bearbeitung: bh