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Thüringen Darum sagen nicht alle Kabarettisten frei ihre Meinung
Kabarett kritisiert – die Politik, die Wirtschaft, die Mächtigen. Aber ist das heutzutage ohne Einschränkungen möglich? Die Mehrheit der Kabaretts gibt in einer Befragung von MDR KULTUR an, ihre Meinung frei äußern zu können. Einzelne Kabaretts fühlen sich jedoch eingeschränkt. Woran liegt das? Das wollten wir von drei Thüringer Kabarettisten genauer wissen.
- Die Kabarettisten sagen, dass sie zwar frei ihre Meinung äußern können, eine Rücksicht auf das Publikum aber manchmal kontroverse Themen verhindere.
- Gerade bei den nicht geförderten Kabaretts bestehe ein wirtschaftlicher Druck, die Publikumszahlen hoch zu halten.
- Trotzdem habe man die Hoffnung, auch in Zukunft politische Stücke anbieten zu können.
Die Mehrheit der Kabaretts in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sieht ihre Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt. Das geht aus der MDR KULTUR Kabarettbefragung hervor, die in Zusammenarbeit mit MDR fragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, entstanden ist. Dafür wurden 15 Kabaretts befragt. 20 Prozent von ihnen gaben demnach an: "Wir können unsere Meinung frei äußern, aber mit Einschränkungen."

Kabarettbefragung
Angst in Erfurt, das Publikum zu verlieren
Zu den Kabaretts, die sich eingeschränkt fühlen, gehört unter anderem die Arche in Erfurt. Laut dem künstlerischen Leiter Nicolas Jantosch entstehen die Einschränkungen vor allem durch die Abhängigkeit vom Publikum.

Nicolas Jantosch ist seit knapp drei Jahren Intendant des Kabaretts Die Arche in Erfurt.
Man lasse auf der Bühne bewusste einzelne Wörter weg, zum Beispiel das Wort "Krieg". Sonst gebe es "sofort ein Schweigen im Raum, eine unangenehme Spannung", berichtet Jantosch bei MDR KULTUR und ergänzt: "Wir beschneiden uns sozusagen selbst in dem Moment, wo wir versuchen, das Publikum nicht zu vergrätzen."
Wir beschneiden uns selbst, wo wir versuchen, das Publikum nicht zu vergrätzen. Nicolas Jantosch, Kabarettist aus Erfurt |
Markus Tanger leitet das Kabarett Nörgelsäcke im kleinen Thüringer Ort Gößnitz. Er werde schon beim Kartenverkauf gefragt, ob es sich um ein politisches Programm handele, berichtet er. Der Fokus seines Kabaretts liege deshalb vor allem darauf, "den Leuten einen schönen Abend zu bereiten". Der Erfolg gebe ihm Recht: Viele der Vorstellungen in Gößnitz seien ausverkauft.

Markus Tanger will, dass seine Shows unterhalten, aber auch "aktuell und politisch bedeutsam" sind.
Bei der Frage, ob sie im Publikum eine Politikmüdigkeit feststellen, sind die mitteldeutschen Kabaretts in der Befragung von MDR KULTUR geteilter Meinung.
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Kabarettbefragung
Nicolas Jantosch kritisiert die Kabaretts für den Fokus auf die Unterhaltung: "Ich mache Kabarett aus dem Willen, über die Politik zu reden. Und da könnten wir besser sein als wir es manchmal sind." Er sehe Kunst und Kultur "in der Pflicht", sich an der Meinungsbildung zu beteiligen, auch wenn das nicht immer bequem sei.
Wirtschaftlicher Druck wirkt sich auf Programm aus
Markus Tanger sagt, dass es gerade in seinem Gößnitzer Kabarett, das keine staatliche Förderung erhält, schwierig sei, "komplett gegen das Publikum zu argumentieren". Schließlich sei man auch abhängig von den Zuschauern: "Letztendlich ermöglichen sie, dass man weiterspielen kann."
Dem stimmt Nicolas Jantosch zu. Man sei als Kabarettist "darauf angewiesen, dass die Leute kommen" – daran hänge am Ende des Tages auch, "ob man sich die Wohnung leisten kann oder nicht". Jantosch setzt dabei trotzdem auf politische Inhalte.
Parallel zur MDR KULTUR Kabarettbefragung wurde auch die MDRfragt-Gemeinschaft befragt. 72 Prozent der Befragten wünschen sich vom Kabarett politische Satire. Nur die "humorvolle Auseinandersetzung mit Alltäglichem" rangiert in der Umfrage noch davor. Unterhaltung und Ablenkung wünschen sich hingegen nur 55 Prozent.
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Kabarettbefragung
Politisches Kabarett sei früher einfacher gewesen, sagt Markus Tanger. Man habe beim Publikum einen gemeinsamen Wissensstand voraussetzen können. Weil der Zuschauer heute "verschiedene Kanäle hat, über die er sich informieren kann und glaubt, die ultimative Wahrheit zu haben", lebe jeder ein stückweit in seiner eigenen Realität. Das mache es für ihn als Kabarettisten schwierig, ein Programm zu erstellen.
Kommunikation und Konfrontation als Lösung in Weimar
Der Kabarettist Bernard Liebermann hat vor anderthalb Jahren in Weimar ein neues Kabarett gegründet. Auch er habe schon erlebt, dass sich Gäste aus dem Publikum beschweren, wenn man zum Beispiel einen Witz "über ihre Lieblingspartei" mache. Das verunsichere ihn aber nicht, er suche daraufhin eher das Gespräch: "Ich versuche ihnen immer zu erklären, dass Kabarett ja genau dazu da ist: Um sich über alle möglichen Dinge lustig zu machen."
Nicolas Jantosch von der Arche Erfurt sagt, wenn das Kabarett als Kunstform weiter Bestand haben wolle, müsse man sich "von dem verabschieden, was man eben schon immer gemacht hat" und offener sein für eine neue Art Kabarett, die mit dem Zeitgeist geht. Trotz aller Veränderung solle Kabarett aber auch weiterhin "wehtun".
Quelle: MDR KULTUR (Philipp Lakomy), MDRfragt
Redaktionelle Bearbeitung: bh