
Thüringen Schiller-Gesamtausgabe vervollständigt: "Werk von Generationen von Gelehrten"
Die historisch-kritische Schiller-Nationalausgabe mit Werken, Briefen und Lebenszeugnissen Friedrich Schillers ist mit dem 43. Band nach 85 Jahren abgeschlossen worden. Die im Jahr 1940 begonnene Schiller-Nationalausgabe zählt zu den bedeutendsten literaturwissenschaftlichen Sammmlungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Alice Stašková von der Universität Jena spricht von einem Werk von Generationen von Gelehrten und betont die Einzigartigkeit der Sammlung.
- Alice Stašková sieht die Schiller-Nationalausgabe als wichtiges Zeugnis von Schillers Werken und deren Kuratierung.
- Man merke Unterschiede in den Kommentaren der Editoren, aber ohne ideologische Einfärbung, so Stašková.
- Die Schiller-Nationalausgabe kann über Bibliotheken bezogen werden, sowohl digital als auch gedruckt.
MDR KULTUR: Was liegt uns mit der Schiller-Nationalausgabe jetzt vor?
Die Ausgabe ist groß, nicht nur an Volumen, sondern auch an Qualität. Das ist das Besondere: Sie hat 43 Bände und ist ein Philologisches Werk von geradezu mustergültiger und exemplarischer Qualität. Sie zeigt wirklich die Symbiose des Werks von Schiller, aber auch seiner Persönlichkeit. Es geht auch um persönliche Dokumente, Gespräche und Briefe von Schiller.

Die Schiller-Nationalausgabe ist mit dem 43. Band nun finalisiert worden.
Und es geht auch um die Philologie. Das heißt um die Wissenschaft, die sich damit befasst, die Zeugnisse der Vergangenheit zu erschließen. Das Besondere an dieser Ausgabe ist, dass sie ein Werk von Generationen von Gelehrten ist. Die Kommentare zu den Werken sind natürlich jeweils etwas unterschiedlich. Die Generation der Gründer der 40er-Jahre kommentiert historische Sachverhalte anders, als die der 1990er-Jahre nach der Wiedervereinigung. Das heißt, es gibt jeweils einen ganz anderen historischen Horizont.
Die Ausgabe ist ein Werk von Generationen von Gelehrten. Literaturwissenschaftlerin Alice Stašková |
Die Wurzeln der Nationalausgabe liegen in den 1940er-Jahren, mitten im Krieg und Nationalsozialismus. Was war damals die Idee dahinter?
1940 wurde die Nationalausgabe ursprünglich mit 32 Bänden geplant. Es ging darum, ein seriöses, editorisches Projekt zu erstellen. Nach dem Krieg und der Deutschen Teilung 1949 hat die Ausgabe erfreulicherweise als gesamtdeutsche überlebt. Das ist eine ganz besondere Angelegenheit. An der Ausgabe ist schön, dass man die Ideologien in den Büchern, die uns vorliegen, tatsächlich nicht spürt, also die Diktaturen, die sie begleitet haben.
Womit beschäftigt sich die Literaturwissenschaflerin Alice Stašková?
Forschungsschwerpunkte:
- Aufklärung
- Literatur des 18. Jahrhunderts
- Literatur um 1800 und Klassik
- deutsche und französische Moderne
- (experimentelle) Literatur in Mitteleuropa
- Literaturtheorie, Stiltheorie und Rhetorik
- Literatur und Musik
Aktuelle Tätigkeiten:
- Mitglied im Herder Forschungsrat
- Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft in Jena
- Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Literaturarchivs Marbach

Literaturwissenschaftlerin Alice Stašková von der Universität Jena hat einen ihrer Forschungsschwerpunkte in der Literatur um 1800 und Klassik.
Was sagen Sie denen, die meinen, Schiller hat uns heute nichts mehr zu sagen?
Schiller ist einigermaßen sicher, zumindest meiner Erfahrung nach. [...] Was heute unterrichtet wird, sind natürlich "Die Räuber". Ferner wird "Wilhelm Tell" relativ viel in der Schule behandelt und auf jeden Fall "Maria Stuart". Das ist glaube ich der Klassiker schlechthin. Was daran interessant ist, eben auch für junge Leute – das mag verstörend klingen – dass diese Stücke eigentlich keine Lösung bieten.
Die Gesellschaftsordnung, in der wir leben, wird ja immer wieder infrage gestellt. Die Dramen Schillers, aber auch seine Balladen, zum Beispiel "Der Handschuh" oder "Der Taucher", rufen uns wirklich dazu auf: "Bestimme dich selbst!" Also befreie dich, reflektiere, was man dir sagt. Das sind Dramen, die einfach die Verführungskraft der Führer herausstellen und auch infrage stellen.
Schillers Stücke bieten eigentlich keine Lösung. Literaturwissenschaftlerin Alice Stašková |
Wo lässt sich die Nationalausgabe einsehen? Eventuell sogar digital?
Ich kann empfehlen, die Nationalausgabe über eine Bibliothek oder ein Antiquariat zu beziehen. Über die Anna Amalia Bibliothek zum Beispiel ist die Nationalausgabe auch zu bekommen. Das heißt, man muss sich bei bestimmten Bibliotheken anmelden und kann die Nationalausgabe dann auch digital lesen.
Quelle: MDR KULTUR (Karoline Knappe), Friedrich-Schiller-Universität Jena; Redaktionelle Bearbeitung: gw, tsa