
Thüringen So haben NS-Regime und DDR den Bauernkrieg für sich vereinnahmt
In diesem Jahr wird der 500. Jahrestag des Bauernkriegs groß gefeiert. In Mühlhausen und Bad Frankenhausen widmet sich die Thüringer Landesausstellung dem historischen Ereignis und macht deutlich, wie wir heute darauf zurückblicken. Allerdings wurde der Bauernkrieg im 20. Jahrhundert auch für Propaganda missbraucht. Im Nationasozialismus und später in der DDR gab es ganz eigene Interpretationen zu den Anführern der Aufstände.
- Der Bauernkrieg wurde zu unterschiedlichen Zeiten verschieden interpretiert – je nach Ideologie.
- In der DDR wurde der protestantische Pfarrer Thomas Müntzer zum kommunistischen Vordenker stilisiert.
- Die NS-Propaganda machte den fränkischen Bauernführer Florian Geyer zum geistigen Träger ihrer Völkischen Ideen.
September 1989 in Bad Frankenhausen, heute Freistaat Thüringen, damals Bezirk Halle: Der SED-Chefideologe Kurt Hager spricht vor tausenden Bürgern zur Jubelfeier für einen Pfarrer, der zum Revolutionär gemacht worden war.

Thomas Müntzer predigt vor aufständischen Bauern. Den revolutionären Müntzer nahm die DDR gerne in ihre Geschichtsschreibung auf, den Apokalyptiker nicht.
Hager zitiert Thomas Müntzers Ausspruch "Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeynen Volk" und fährt dann fort: "Seit nunmehr vier Jahrzehnten hat das Volk der Deutschen Demokratischen Republik getreu dem Vermächtnis Müntzers und im Einklang mit allen revolutionären Traditionen unserer Geschichte sein Schicksal fest in seine eigenen Hände genommen."
Müntzer-Verehrung in der DDR: die Kunst des Weglassens
Thomas T. Müller ist Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Wittenberg und Kenner der Reformationszeit und ihrer Wirkungsgeschichte. Er verweist auf das bewusst Bruchstückhafte in der DDR-Erinnerungskultur.

Thomas Tassilo Müller ist Historiker und Experte für die Reformationszeit – er gab u.a. das Buch "Reichsstadt im Bauernkrieg" heraus.
Denn das berühmte Müntzer-Zitat geht eigentlich weiter: "Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Volk, und über allem soll der Herr unser Gott sein". Aber diese Passage sei bei den DDR-Feierlichkeiten gern weggelassen worden.
Das vollständige Zitat hätte sich auf so einer Erster-Mai-Demonstration in der DDR auch nicht gut gemacht, so Müller: "Jeder bastelt sich die Geschichte so, wie er sie braucht, und auch in den Schnipseln, die er braucht."

Bis Oktober widmet sich die Thüringer Landesausstellung "Freiheyt 1525" in Mühlhausen noch dem Jubiläum um 500 Jahre Bauernkrieg.
Jeder bastelt sich die Geschichte so, wie er sie braucht, und auch in den Schnipseln, die er braucht. Thomas T. Müller | Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Wittenberg
Der Historiker Müller ist vor seinem Wechsel nach Wittenberg viele Jahre lang Direktor der Museen in Mühlhausen gewesen. Dort hatte Müntzer zuletzt seine treuesten Anhänger. Vor den Toren der Stadt wurde er nach der Schlacht enthauptet, sein Leib aufgespießt und sein Kopf auf einen Pfahl gesteckt. Zwischen 1975 und 1991 hieß Mühlhausen auch Thomas-Müntzer-Stadt.
Ein Anzeichen von vielen, dass sich die DDR in seiner Tradition sah. "Als die DDR sich in Gründung befand", erklärt Müller, "hatte man das Problem, dass man ja der bessere und fortschrittlichere deutsche Staat sein wollte, der sich auf die positiven Ereignisse in der deutschen Geschichte beruft. Den Bauernkrieg sah man als so eine Art Vorläufer-Idee für das, was man jetzt in der DDR dachte aufzubauen."

Niederlage der Bauern unter Thomas Müntzer bei Frankenhausen am 15. Mai 1525.
Vom protestantischen Pfarrer zum kommunistischen Revolutionär
In der Propaganda, in der Kunst und Literatur, im Alltagsleben – an vielen Stellen mäandert der Bauernkrieg durch die DDR-Zeit. Kaum ein Dorf ohne Thomas-Müntzer-Platz oder Florian-Geyer-Straße. Schon 1955 gibt es eine große Bauernkriegs-Ausstellung im Berliner Zeughaus. 1956 kommt der mit riesigem Aufwand gedrehte DEFA-Film über Leben und Schicksal Müntzers in die Kinos, ab den 1970er-Jahren ziert ein Bild des Bauernführers den Fünf-Mark-Schein.

Im monumentalien DEFA-Film von 1955 wird Thomas Müntzer zum Visionär einer neuen, gerechten Weltordnung.
Und spätestens zu seinem 500. Geburtstag im Jahr 1989 war aus dem Theologen ganz und gar ein protokommunistischer Revolutionär geworden. Dabei war, so sieht es Thomas T. Müller, der historische Müntzer nicht der Sozialrevolutionär, den man später aus ihm machte. Der in Stolberg geborene Prediger sei der festen Überzeugung gewesen, dass das Ende der Welt bevorstehe und dass es sein ihm von Gott befohlener Auftrag wäre, vor diesem jüngsten Tag die Gottlosen von den Gottgefälligen zu scheiden.
Müntzer war aus meiner Sicht kein Sozialrevolutionär. Historiker Thomas T. Müller |
"Wenn man bei Müntzer nach einer Idee fragt, wie es dann langfristig weitergehen soll – die braucht er gar nicht als Apokalyptiker", sagt Müller. Das sähe bei anderen Protagonisten des Bauernkrieges ganz anders aus, etwa bei Michael Gaismair: "Der hat mit seiner Tiroler Landesordnung ein ganz handfestes, strukturiertes und kluges Papier geschrieben, wie man auch anders leben könnte. Das hat Müntzer nicht gemacht. Das war auch nicht sein Begehren."
Instrumentalisierung durch das NS-Regime
Auch mit der Rezeptionsgeschichte des Bauernkrieges in der NS-Zeit hat sich Thomas T. Müller beschäftigt. Gaismair eignete sich wegen seines Tirolertums nicht so recht als Projektionsfigur für NS-Ideologie, und Thomas Müntzer war bereits in den 1920er-Jahren durch eine Schrift des Philosophen Ernst Bloch und vor allem durch Friedrich Engels sozusagen von Links her vereinnahmt. Aber da gab es noch den fränkischen Soldaten, Reichsritter und Bauernführer Florian Geyer.
"Es gibt in den 20er-Jahren in der bündischen Jugend ein Lied, was relativ populär ist", erzählt der Historiker. Das Lied hieße "Wir sind das Geyers schwarzer Haufen hehaheho" und sei im Nationalsozialismus noch populärer gemacht worden: "Und am Ende singt dann die SS-Division Florian Geyer dieses Lied."

Florian Geyer von Giebelstadt – Darstellung aus dem 19. Jahrhundert
Für die Verehrung und politische Indienstnahme Florian Geyers durch die Völkisch-Nationalen dürfte das gleichnamige Drama von Gerhart Hauptmann nicht unwesentlich gewesen sein. 1896 veröffentlicht, erlebt es in den 1930er-Jahren viele Aufführungen – wegen seiner deutschtümelnden Untertöne passt es ins Bild. "Das fremde, ausländische Recht ist über uns kommen gleich einer Sündflut. Ich lobe mir unser deutsches Herkommen." So spricht die Figur des Florian Geyer bei Hauptmann.
Florian Geyer in Dramen von Hauptmann und Fey
Gerhart Hauptmann selbst wollte 1933 Mitglied der NSDAP werden und erklärte noch 1942 Hitler öffentlich zum "Sternenschicksalsträger des Deutschtums".

Mit seinem Drama "Florian Geyer" empfahl sich Gerhard Hauptmann den Nationalsozialisten.
Hauptmanns fränkischer Dichterkollege Nikolaus Fey gibt ein Beispiel ab dafür, was aus völkischer Florian-Geyer-Verehrung erwachsen konnte: 1925 hatte Fey ein Florian-Geyer-Drama verfasst, trat im Mai 1933 in die Nazi-Partei ein und wurde unterfränkischer Beauftragter für die Reichsschriftumskammer. Ab 1942 diente er dann als Referent in der Hauptabteilung Propaganda des Generalgouvernements in Polen. Es ging darum, die Germanisierung voranzutreiben und wörtlich "die kulturellen Traditionen des polnischen Volkes auszulöschen".
Für Fey war aus der geistigen Beschäftigung mit dem lang zurückliegenden "Deutschen Bauernkrieg" ein ganz gegenwärtiger Vernichtungskrieg im Osten geworden.
Redaktionelle Bearbeitung: lm, hro