Szene des Films "Emilia Perez" mit Karla Sofía Gascón und Zoe Saldana.

Perfektionswahn oder Notwendigkeit? KI könnte den Kinofilm fundamental verändern

Stand: 19.02.2025 07:07 Uhr

Künstliche Intelligenz krempelt die Filmproduktion um: Mit der Technik können Stimmen optimiert und Akzente digital verfeinert werden. Doch wie viel Manipulation verträgt die Schauspielkunst, um weiter authentisch zu sein?

Von Christian Schiffer, BR

Eine rauchige Stimme singt "El Amor" - melancholisch, sehnsuchtsvoll, virtuos. Karla Sofía Gascón verkörpert in Jacques Audiards "Emilia Pérez" einen mexikanischen Drogenboss, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht. Die Geschichte spiegelt teilweise Gascóns eigene Erfahrungen als Trans-Schauspielerin wider.

Doch was das Publikum hört, ist nicht ganz ihre eigene Stimme: Der Soundmixer Cyril Holtz bestätigte, dass KI-Technologie für die Gesangsparts eingesetzt wurde. Gascóns Stimme, die sich durch ihre medizinische Transition noch veränderte, lag für bestimmte Passagen zu tief.

In einem ähnlichen Fall enthüllte der Cutter des Films "The Brutalist", dass Adrien Brodys Darstellung des ungarischen Architekten László Tóth digital nachbearbeitet wurde. Auch hier kam künstliche Intelligenz zum Einsatz. Es sind zwei Filme, zwei künstlerische KI-Manipulationen, die in Hollywood intensive Debatten auslösen. Kritiker sehen darin einen gefährlichen Trend, schauspielerische Leistungen zu verfälschen. Sie warnen vor dem Verlust authentischer Darstellung.

"Film ist keine Dokumentation"

Doch sind diese Bedenken berechtigt? Die Philosophin Dorothea Winter betrachtet diese gelassen. "Filme sind schließlich Kunstwerke, die Realitäten nicht eins zu eins abbilden wollen, sonst wäre es ja eine Doku", sagt sie. Der Film als Medium dürfe eine künstlerische Aussage treffen und die dargestellte Welt dabei auch verfälschen und zuspitzen.

Winter verweist auf die lange Tradition gestalterischer Elemente: "Die Schauspieler werden ja auch geschminkt, bekleidet, ausgeleuchtet und von stimmungsvoller Musik begleitet. Und da sagt ja auch niemand: Oh, das ist aber nicht so, wie sie normalerweise aussehen oder wirken."

In "The Brutalist" stellten sich vor allem praktische Herausforderungen. Der ungarische Cutter Dávid Jancsó, selbst Muttersprachler, bezeichnet Ungarisch als "eine der am schwierigsten auszusprechenden Sprachen" für englische Muttersprachler. Die ukrainische KI-Software Respeecher bot eine Lösung: Sie verfeinerte einzelne Buchstaben und Vokale, ohne die grundlegende Performance zu verändern.

Schauspieler als reine Trainingsobjekte?

Was zunächst als technische Hilfestellung erscheint, könnte jedoch der erste Schritt zu einer fundamentalen Veränderung der Schauspielkunst sein. Denn wenn Stimmen, Akzente und Aussprache nachträglich perfektioniert werden können - wozu braucht es dann noch Schauspieler, die jahrelang an diesen Fähigkeiten feilen?

"Die ethische Gefahr besteht darin, dass die Schauspieler zu bloßen Trainingsobjekten für KI degradiert werden", warnt Philosophin Winter. Das ist eine Befürchtung, die angesichts der rasanten technischen Entwicklung an Gewicht gewinnt. Winter merkt an, dass die "KI nicht streikt, keinen Urlaub will und alles macht, was man einprogrammiert."

KI hilft bei Alterung und Augenfarbe nach

KI prägt mittlerweile alle Bereiche der Filmproduktion. In "Furiosa" verwandelt digitale Technik eine junge Darstellerin schrittweise in ihre erwachsene Version, gespielt von Anya Taylor-Joy. "Alien: Romulus" verwendet KI-Tools, um den verstorbenen Ian Holm digital wiederzubeleben. In "Dune: Part Two" half Künstliche Intelligenz dabei, die blauen Augen der Fremen zu erschaffen - und sparte damit laut den Machern "Hunderte Arbeitsstunden".

Philosophin Winter verweist auf Hannah Arendts These vom menschlichen Handeln: Gerade die Vielfalt der Ausdrucksformen und die persönliche Note der Schauspieler machen deren Kunst aus. Für Winter bedeutet das konkret: "Hätte eine nicht perfekte Aussprache mit Akzent wirklich das künstlerische Ergebnis des Films so beeinflusst, dass er ein anderer geworden wäre? Oder schlägt nicht manchmal das menschliche Unperfekte die glatte KI-Perfektion?"

Die Zukunft der Filmkunst

Die Oscar-Academy reagiert nun auf diese Entwicklungen. Während bisher nur ein optionales Formular zur KI-Nutzung existiert, arbeitet der wissenschaftlich-technische Rat der Academy an verpflichtenden Richtlinien ab 2026.

Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch tiefer: Wie wird die menschliche Authentizität in einer Kunstform bewahrt, die zunehmend von technischer Perfektion geprägt wird? Vielleicht sind es gerade die kleinen Unvollkommenheiten wie ein nicht ganz perfekter Akzent oder eine charakteristische Stimme, die die Filmfiguren erst wahrhaft menschlich erscheinen lassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 29. Dezember 2024 um 23:21 Uhr.