Eine indische Pflegekraft die über ein staatliches Anwerbeprogramm nach Deutschland gekommen ist.
analyse

Migration als Wahlkampfthema Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiv?

Stand: 23.02.2025 10:04 Uhr

Im Wahlkampf haben sich viele Parteien darin überboten, Migration als ein großes Problem darzustellen. Wirtschaft und Wissenschaft wiederum werben um Fachkräfte aus dem Ausland und kritisieren die Verengung der Debatte.

Von Inga Thiede, WDR

288.000 ausländische Arbeitskräfte braucht die deutsche Wirtschaft jährlich: Das ergeben aktuelle Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung. Obwohl die Konjunktur im Land schwächelt, gibt es nicht genug Personal - und zwar über verschiedene Branchen hinweg.

Die derzeitige Wahlkampf-Debatte für die bevorstehende Bundestagswahl fokussiert sich vor allem auf eine Frage: Wie kann Migration verhindert werden? Die Politiker scheinen gefangen zu sein in einer Sicherheitsdebatte - ausgehend von den Angriffen und Anschlägen der letzten Monate in Deutschland: Erst vergangene Woche ein Anschlag mit zahlreichen Verletzten und zwei Todesopfern in München, einer von vielen.

Demografischer Wandel erhöht Bedarf

Die Sicherheitsdebatte dominiert den öffentlichen Diskurs. Das gesellschaftliche Klima wird rauer - für Migranten und für Menschen mit einem Migrationshintergrund. Dieses Klima beeinflusst auch, wie das Ausland auf Deutschland schaut. Es zeigt sich: Viele qualifizierte Fachkräfte wollen gar nicht nach Deutschland kommen. Mehr noch: Auf einer Beliebtheitsskala, auf der alle westlichen Industriestaaten berücksichtigt werden, belegt Deutschland gerade einmal Platz 15.

Wirtschaft und Wissenschaft fordern, den Blick auf die wirtschaftlichen Realitäten des Landes zu lenken. Die Notwendigkeit der Arbeitsmigration nach Deutschland würde unterschätzt. Deutschland braucht in Anbetracht des demografischen Wandels dringend Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften.

Bei besserer Wirtschaftsentwicklung könne der Bedarf wieder auf rund 400.000 Menschen pro Jahr ansteigen, so Migrationsforscherin Susanne Schultz von der Bertelsmann Stiftung. Die Politik hat in den vergangenen Jahren schon auf die Bedarfe reagiert. Diese Reformen scheinen auch ganz gut zu sein - zumindest in der Theorie.

Gesetz bietet eine Grundlage

Mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das 2023 und vollständig vor einem Jahr in Kraft getreten ist, hat nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung die letzte Bundesregierung eine gute Grundlage geschaffen, damit die Migrationsziele erreicht werden könnten. Zu den wichtigsten Punkte des Gesetzes gehören folgende:

  • Über die Berufserfahrenenregel bekommen erfahrene Fachkräfte schneller eine Arbeitserlaubnis.
  • Über die sogenannte Chancenkarte können nach einem Punktesystem ausgewählte Bewerber jetzt ohne konkrete Jobzusage für die Arbeitssuche einreisen.
  • Und neu ist der sogenannte Spurwechsel, durch den in Deutschland bereits lebende Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt kommen können.

Allerdings sei die Umsetzung noch sehr schleppend, kritisiert Migrationsforscherin Schultz. Es hake vor allem noch an der vollständigen Digitalisierung der Abläufe, an der Schulung des Personals in den Ausländerämtern und an der Personalnot in den Behörden. Positiv sei, dass es seit Anfang des Jahres für interessierte Ausländer online möglich ist, sich vollständig digital zu bewerben und Informationen zu erhalten.

Hoher Personalmangel im Handwerk

Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer, weist auf die drohende Personalnot im Handwerk hin. Hier seien bereits jetzt rund 200.000 Stellen unbesetzt, und über 125.000 Betriebe suchten in den kommenden Jahren eine Nachfolge. Wenn diese Stellen nicht besetzt werden, so Dittrich, könnten viele Leistungen nicht mehr angeboten werden. Das wiederum führe zu einem es allgemeinen Wohlstandsverlust der deutschen Bevölkerung.

Auch in vielen anderen Branchen in Deutschland werden bereits jetzt Fachkräfte und Mitarbeiter gesucht: im Handel, in der Gastronomie, im ÖPNV, im Ingenieurwesen - gerade im Bereich der Erneuerbaren Energie -, in der IT-Branche, in der öffentlichen Verwaltung, in der Kinderbetreuung und in der Pflege. Durch die Verrentung der Baby-Boomer in den kommenden Jahren werden die Lücken schnell noch größer werden.

Ohne Migration werden diese Stellen unbesetzt bleiben. Vor allem wird es im Bereich der Gesundheitsversorgung zu massiven Personalengpässen und damit zu einer Unterversorgung der Bevölkerung kommen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Plusminus am 19. Februar 2025 um 22:00 Uhr.