Patienten warten im Wartezimmer einer Arztpraxis

Facharzttermine und Leistungen Die Gründe für Deutschlands Zwei-Klassen-Medizin

Stand: 22.04.2025 06:24 Uhr

Privat- und Kassenpatienten werden nicht gleich behandelt - das erleben viele Menschen beim Arzt. Mediziner bestätigen den Eindruck. Der Grund liegt im Abrechnungssystem.

Von Barbara Berner, hr

Stefan H. hatte Probleme mit seinem Herzen und wollte zum Kardiologen. Doch auf seine Anfrage beim Facharzt wäre ihm Selbiges fast stehengeblieben: "Der Termin wäre in vier Monaten gewesen", erzählt der 67- jährige. Doch sein Herz hielt keine vier Monate durch. Erst landet er in der Notaufnahme, dann auf dem Operationstisch im OP.

Das kennt auch Heike Hartung-Stein, allerdings aus Sicht einer Arzthelferin. Zwölf Jahre arbeitete sie bei verschiedenen Fachärzten. "Beim Orthopäden gab es strikte Anweisungen, Patienten, die im Quartal schon da waren, möglichst einen Folgetermin zu verweigern." Und von einer Kinderärztin berichtet sie, dass weinende Kinder mit Schmerzen im Wartezimmer saßen, während die Kinder der Privatversicherten schnell ins Untersuchungszimmer geleitet wurden.

Blockaden verhindern Reformen

Von Chancenungleichheit im Gesundheitswesen spricht inzwischen auch die stellvertretende Chefin des GKV-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis. Während Privatversicherte oftmals schon am nächsten Tag einen Termin erhielten, müssten gesetzlich Versicherte nicht selten sechs Wochen oder länger auf einen Facharzttermin warten. "Diese systematische Diskriminierung von 90 Prozent der Bevölkerung ist nicht länger hinnehmbar." Der Spitzenverband der Krankenkassen fordert, bei der Terminvergabe solle künftig ausschließlich die medizinische Notwendigkeit entscheiden - nicht der Versichertenstatus.

Dabei trägt die Schuld nicht das Gesundheitssystem an sich. "Die Versorgung ist im internationalen Vergleich bei uns extrem gut", sagt der Gesundheitsökonom Simon Reif von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Das Problem liegt aus seiner Sicht als Gesundheitsexperte in der Budgetierung der Ärzte. Ist das Budget ausgereizt, "dann kriegen die Ärzte und Ärztinnen eben kein Extrageld" - zumindest nicht von den Kassenpatienten. Mit einem Besuch ist pauschal das meiste an Arztleistung abgegolten.

Die Kluft im Abrechnungssystem

Wenn Stefan H. zu seinem Hausarzt geht, bekommt der Arzt - egal wie oft er in den nächsten drei Monaten wiederkommt - eine Grundpauschale von rund 40 Euro. Die ist zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und dem GKV-Spitzenverband so vereinbart. Auch die Einzelleistungen sind in dieser Gebührenordnung geregelt. Für EKG-Messung, Blutentnahme, Grippeuntersuchung beispielsweise gibt es nichts extra.

"So kann ich nicht leben und meine Kosten decken", sagt der behandelnde Arzt. Deshalb freut er sich umso mehr, Privatpatient Hans K. zu sehen. Da wird jede Leistung extra vergütet - und das bei jedem Besuch von Neuem: EKG-Messung, Grippeuntersuchung, Blutentnahme und jedes Arztgespräch, das länger als zehnMinuten ist, bringt noch extra Geld.

"Die Privatpatienten sind für uns Ärzte ein Benefit, auch um unsere Geräte und das Personal finanzieren zu können", fasst der Arzt (sein Name ist der Redaktion bekannt) die Situation zusammen, und "ja, da bestellt man gerne den Privaten auch mal häufiger ein". Oder verkauft den Gesetzlichen schon mal eine Leistung, die eigentlich die Krankenkasse abdeckt.

Das Geld der Privatversicherten

Umgekehrt scheint das System aber auch nicht gerecht den Privatversicherten gegenüber, denn "da wird schon mal die ein oder andere Leistung extra gemacht", erzählt Heike Hartung-Stein aus ihrem ehemaligen Praxisalltag. Und auch der Hausarzt bestätigt, dass man sich eben mal drei Organe bei Oberbauchschmerzen anschaue, auch wenn für die Abklärung vielleicht die Leber gereicht hätte. Vergleicht man bei einer einfachen Sonografie bei Oberbauchschmerzen die Abrechnungsziffern zwischen GKV und PKV, macht das einen Unterschied von mehr als 70 Euro.

An eine einfache Rettung dieses Systems glaubt so recht niemand, auch die Experten kommen an ihre Grenzen. Wenn es ungleiche Arten von Versicherungen gibt, wird es bei ungleichen Bedingungen in Sachen Terminvergabe und Behandlung bleiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 06. Januar 2025 um 23:15 Uhr.