
Die EZB und Trumps Zölle "Es ist jetzt an der Zeit zu handeln"
Der von Donald Trump ausgelöste Handelskonflikt verunsichert auch die Europäische Zentralbank. Sie ruft zu mehr Geschlossenheit in Europa auf und dürfte heute erneut die Zinsen senken.
Das University College in Dublin ist eine der führenden Hochschulen Irlands: Fünf Nobelpreisträger, ebenso viele Premierminister und drei Präsidenten hat die größte und reichste Universität des Landes mit Stolz hervorgebracht. Auch Peter Sutherland, den ehemaligen Wettbewerbskommissar der Europäischen Union, der durch sein Engagement maßgeblich die Vollendung des Binnenmarktes vorantrieb. Ihm zu Ehren vergibt das altehrwürdige College regelmäßig den "Sutherland Leadership Award". Der ging dieses Jahr an Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB).
Ihren Besuch zur Preisverleihung in Irlands Hauptstadt, die sich im Frühjahr immer besonders schön herausputzt, nutzte die Zentralbankchefin, um eine Kernbotschaft zu verbreiten: Europa müsse "die Dynamik der Veränderung nutzen, um eine stärkere und mehr vereinte Zukunft" des Kontinents voranzutreiben, so Lagarde in ihrer Dankesrede. Europa habe jetzt die Möglichkeit, weltweit eine Führungsrolle einzunehmen: "Es ist jetzt an der Zeit zu handeln." Die Dynamik dieser Veränderung kommt aus dem Weißen Haus. Der von US-Präsident Donald Trump mutwillig ausgelöste Handelskonflikt und die massiven Folgen an den Finanzmärkten haben auch die EZB aufgeschreckt.
Zahlungsabwicklung ist ein Flickenteppich
Die EZB-Chefin fordert die europäischen Mitgliedsstaaten dazu auf, zusammenzurücken - und hat dabei besonders eines im Blick: die Vollendung der europäischen Kapitalmarkt-Union, etwa im Bereich der digitalen Zahlungsabwicklung. In Zeiten, in denen elektronische Zahlungsmittel auf dem Vormarsch sind und sogar in Deutschland mittlerweile stärker verwendet werden als Bargeld, müsse Europa dringend agieren, um sich von der Dominanz US-amerikanischer und chinesischer Anbieter abzukoppeln.
Zwar ist der Euro mittlerweile in 20 von 26 EU-Ländern gesetzliches Zahlungsmittel, doch selbst in der Eurozone ist die Zahlungsabwicklung ein Flickenteppich. Das in Deutschland jahrzehntelang beliebte Girocard-System wurde abgeschafft. In Spanien ist ein Abwicklungswerkzeug namens Bizum weit verbreitet, das hierzulande nahezu unbekannt ist. Und in Italien haben es eigene Zahlungssysteme noch nie zu etwas gebracht.
US-Anbieter dominieren den Markt
Tatsächlich beherrschen US-Anbieter den Markt: Alle in Europa führenden Kredit- und Debitkarten-Anbieter (VISA, Mastercard, Amex und Diners) sind amerikanisch. Die digitalen Anbieter PayPal, Apple Pay und Google Pay ebenfalls. Und wo die Amerikaner Lücken lassen, stoßen chinesische Konkurrenten wie Alipay hinein.
Ökonomen sehen darin gravierende Gefahren. Sollte Trump die US-Firmen anweisen oder unter Druck setzten, ihren Verträgen nicht mehr nachzukommen oder die Gebühren empfindlich zu erhöhen, sieht Europa ziemlich alt aus. Die einzige europäische Zahlungsmethode heißt European Payments Initiative (EPI) und tritt für Kunden seit dem vergangenen Jahr unter dem Namen Wero auf. Ähnlich wie bei PayPal kann man mit Wero relativ einfach und sofort Geld per Smartphone oder online überweisen, ohne dazu eine IBAN zu benötigen.
Was wird aus dem "digitalen Euro"?
Doch das System steckt noch in den Kinderschuhen: Nur 16 Banken aus Deutschland, Frankreich und Belgien haben sich bislang zusammengeschlossen. Die wichtigen spanischen Institute, die gerne ihr mit viel Geld entwickeltes Zahlungssystem eingebracht hätten, haben sich nach langen Verhandlungen wieder ausgeklinkt. Auch andere Länder sind sehr zögerlich Für viele Kunden ist Wero daher bislang keine wirkliche Alternative zu PayPal und Co., wo Ländergrenzen keine Rolle spielen.
Auch die EZB selbst arbeitet am Projekt des "digitalen Euro". Der soll gesetzliches Zahlungsmittel werden und den Transfer von Geld extrem leicht und schnell digital abwickeln - ähnlich wie das Herüberreichen von Bargeld. Doch noch fehlt es am rechtlichen Rahmen und an der Zustimmung aus dem EZB-Rat. Der entscheidet erst im Herbst, ob das langjährige Projekt nun endlich umgesetzt wird. Selbst wenn es dazu kommt, dürften noch Jahre vergehen, bis der digitale Euro US-Firmen Paroli bieten kann.
Was fällt Trump als nächstes ein?
Lagardes Forderungen sind also eher Zukunftsmusik. Viel dringlicher steht die Frage im Raum, wie die EZB sofort und kurzfristig auf die künstlich von den USA verursachten Turbulenzen in Wirtschaft und Finanzwelt reagiert. Hohe Zölle, zurückgehende Investitionen und Verwerfungen an den Aktien- und Anleihebörsen treffen die europäische Wirtschaft in einer Zeit, in der die Konjunktur ohnehin heftig angeschlagen ist und die führenden Volkswirtschaften nicht in Schwung kommen.
Nach der neuesten EZB-Erhebung zeigen sich zunehmend viele Banken widerspenstiger, Kredite zu vergeben. Die große Unsicherheit lastet auf der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Denn niemand weiß, was dem US-Präsidenten als nächstes einfällt, um Schockwellen durch die Wirtschaftswelt zu senden.
Wohl doch keine Zinspause
Angesichts dieser Lage fordern vor allem südeuropäische Länder, deren Finanzierungskosten in Form höherer Zinsen bei Staatsanleihen wieder steigen, weiter drastische Zinssenkungen. Die im März von der EZB angedeutete Idee, nach sechs Zinssenkungen erst einmal eine Pause einzulegen, dürfte vom Tisch sein. Entsprechend wird an den Finanzmärkten in dieser Woche fest mit einer weiteren Lockerung gerechnet: eine Reduzierung der Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte ist an den Börsen bereits eingepreist. Manche erwarten sogar einen größeren Schritt von 0,5 Prozentpunkten.
Grund zu Panik besteht trotz aller Probleme aber nicht - ganz im Gegenteil. Zurzeit schadet der Handelskonflikt vor allem den USA selbst. Dort ziehen die Preise an, dort dürften Inflation und Zinsen wieder steigen, dort dürfte die Wirtschaft endgültig abgewürgt werden. Führende Volkswirte gehen fest von einer Rezession aus.
Viel Spielraum für die EZB
Der Euroraum profitiert indes kurzfristig von deutlich gesunkenen Ölpreisen, was die Inflation weiter sinken lässt. Der Schwächeanfall des Dollars und die dadurch erfolgte Stärkung des Euro macht europäische Exportgüter zwar teuer, verbilligt aber deutlich die Einfuhren, was die Inflation ebenfalls senkt. Außerdem dürfte China schon bald den europäischen Markt mit Billigprodukten überfluten, die eigentlich für den US-Markt bestimmt waren, sich dort wegen der hohen Zölle aber nicht mehr absetzen lassen. Das tut zwar wiederum der hiesigen Industrie weh, erfreut aber die Verbraucherinnen und Verbraucher - denn die Warenschwemme dürfte die Inflation ebenfalls drücken.
Die EZB hätte also deutlich Spielraum, die Zinsen langfristig noch weiter zu senken, um damit der europäischen Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Das wiederum könnte die Konjunktur ankurbeln. Dagegen hätte auch Gabriel Makhlouf, Chef der irischen Notenbank, den Lagarde während ihres Trips nach Dublin ebenfalls besuchte, nichts einzuwenden. Der erfahrene Notenbanker warnt aber auch vor zu hastigen Schritten: "Die Geschichte der Geldpolitik zeigt uns, dass überstürzte Entscheidungen meist falsche Entscheidungen sind."