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Alarm für Infekt-Abwehr Erkältungsvideos können Immunsystem mobilisieren
Was passiert, wenn Menschen Videos anschauen, in denen andere niesen? Der Körper bildet schützende Antikörper gegen Atemwegserkrankungen, fanden Forscherinnen der Uni Hamburg heraus.
Um uns vor Krankheiten zu schützen, brauchen wir vor allem eines: ein starkes Immunsystem. Das soll die krankmachenden Erreger unter Kontrolle halten. Dafür produziert unser Körper Antikörper, die die gefährlichen Eindringlinge abwehren sollen.
Forscherinnen der Uni Hamburg haben nun in einer neuen Studie gezeigt, dass die Bildung solcher Antikörper auch ganz viel Kopfsache sein könnte. Demnach reicht schon der Anblick von Menschen mit Erkältungssymptomen, um unsere Abwehrkräfte zu mobilisieren.
Nies-Videos als Abwehr-Test
Um das nachzuweisen, haben die beiden Biologinnen Esther Diekhof und Judith Keller ihren Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern Videos gezeigt, in denen jede Menge niesender und hustender Menschen zu sehen und zu hören waren.
Im Alltag halten wir oft ganz automatisch Abstand zu erkälteten Menschen. Heißt: Wir ändern unser Verhalten, um uns vor einer Infektion zu schützen. Damit beginnt die Immunabwehr, ohne dass es tatsächlich zu einem Kontakt mit Krankheitserregern gekommen sein muss. Forschende bezeichnen das als "Verhaltens-Immunsystem", also eine Art zweiten Schutzschild gegen Krankeiten, der unser "normales“ Immunsystem ergänzt.
Abwehr ohne Angreifer
In ihrer Studie haben die beiden Forscherinnen nun die Hirnaktivität ihrer Probanden beim Anblick der Videos gemessen und Speichelproben der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer genommen. Zum Vergleich bekamen die Probanden auch Bilder von gesunden Personen und Szenen ganz ohne Menschen vorgespielt. Das Ergebnis: Die Zahl der schützenden Antikörper gegen Atemwegserkrankungen im Speichel der Probanden hatte sich allein durchs Anschauen der Nies-Videos deutlich erhöht.
Die Studie zeigt also nach Meinung von Fachleuten wie dem Psychologen Manfred Schedlowski von der Uniklinik Essen, dass wir offenbar nicht nur auf Abstand gehen, wenn wir Menschen mit Erkältungssymptomen sehen, sondern dass es tatsächlich auch eine Reaktion des Immunsystems gibt - ohne jeglichen Kontakt mit Krankheitserregern.
Hirn als Schaltzentrale für Immunsystem
Besonders interessant ist die Studie laut Schedlowski deshalb, weil sie erste Hinweise darauf liefert, wie diese Prozesse gesteuert werden. Die Messungen der Forscherinnen haben gezeigt, dass dabei zwei Hirnareale eine große Rolle zu spielen scheinen: die Amygdala und der Insel-Cortex. Letzterer ist ein Teil des Großhirns, der bei den Probanden besonders auf die niesenden und hustenden Menschen in den Videos reagiert hat. Er fungiert wie eine Art Schaltzentrale zwischen dem peripheren Immunsystem und dem Gehirn.
Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist eine Art Alarmzentrum und wird mit unserem Angstempfinden in Verbindung gebracht. Auch dieser Bereich war bei den Studienteilnehmern während der Videos besonders aktiv. Offenbar haben die Videos also die Alarm- und Abwehrbereitschaft der Probanden erhöht, so die Schlussfolgerung der Hamburger Forscherinnen. Und: Je mehr der Insel-Cortex auf die Reize reagiert hat, desto mehr Antikörper fanden sie im Speichel ihrer Testpersonen.
Schnupfen-Videos gucken schützt nicht vor Erkältung
Aber: Ob es wirklich einen Zusammenhang zwischen Gehirn-Aktivität und Antikörper-Ausschüttung gibt, lässt sich anhand der Studie nicht beweisen. Möglich auch, dass die Probanden gar nicht auf die Bilder von Erkrankten reagiert haben, sondern nur auf deren Hust- und Nies-Geräusche.
Und einfach nur jede Menge Videos von erkälteten Menschen zu schauen, um seine Abwehrkräfte zu stärken, wäre der falsche Schluss aus ihrer Studie, betonen die Forscherinnen. Die besten Mittel, um gesund zu bleiben, sind auch weiterhin gesunde Ernährung, frische Luft und viel Bewegung.
Weitere Studien sollen nun folgen, um mögliche Zusammenhänge zwischen Verhalten, Gehirnaktivität und Immunabwehr noch besser verstehen zu können.