
Krieg gegen Iran US-Angriff auf Atomanlagen - was sagt das Völkerrecht?
Die USA haben Atomanlagen im Iran angegriffen. Rein völkerrechtlich ist das kaum zu rechtfertigen, sagen Experten. Eine Analyse.
Die USA haben sich in den Krieg zwischen Israel und dem Iran eingeschaltet und gezielt Atomanlagen im Iran beschossen. US-Präsident Donald Trump sprach in einer Textnachricht auf seinem Social Media Dienst "Truth Social" noch in der Nacht von "sehr erfolgreichen Angriffen".
Inzwischen hat auch US-Verteidigungsminister Pete Hegseth die Angriffe als "überwältigenden Erfolg" gelobt. Allerdings: Grundsätzlich sind nach dem Völkerrecht die Staaten verpflichtet, friedlich miteinander umzugehen. Die rechtliche Grundlage dafür findet sich in der Charta der Vereinten Nationen (UN).
Völkerrechtliches Gewaltverbot
Danach gilt das völkerrechtliche Gewaltverbot. Wörtlich heißt es in Artikel 2:
Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Bedeutet: UN-Mitglieder dürfen andere UN-Mitglieder nicht einfach militärisch angreifen. Von diesem Gewaltverbot gibt es nur eine Ausnahme: das Selbstverteidigungsrecht.
UN-Charta erlaubt Selbstverteidigung
Dieses ist ebenfalls in der UN-Charta ausdrücklich erwähnt. In Artikel 51 steht:
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung.
Ein Staat darf also militärische Mittel anwenden, wenn er selbst angegriffen wird. Zu den legitimen Verteidigungshandlungen zählen dann auch Schläge auf militärische Ziele auf dem Gebiet des angreifenden Staates.
Enge Grenzen für "präemptive Selbstverteidigung"
Ein Staat darf sich auch gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff schon wehren, sofern keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Das nennen Völkerrechtler "präemptive Selbstverteidigung", sagte Professor Pierre Thielbörger vom Bochumer Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht vergangene Woche der ARD-Rechtsredaktion.
"Unzulässig hingegen ist die 'präventive Selbstverteidigung' gegen einen nur möglichen zukünftigen Angriff, der noch nicht unmittelbar bevorsteht", so der Völkerrechtsexperte.
Keine Belege für vom Iran geplanten Angriff
Der entscheidende Punkt bei der Prüfung, ob sich ein Staat auf sein eigenes Selbstverteidigungsrecht berufen darf, ist also: Stand ein Angriff unmittelbar bevor? Und wie konkret war die Gefahr?
Im Fall der US-Angriffe auf den Iran müsste also geprüft werden, ob der Iran unmittelbar davorstand, die USA anzugreifen. Dafür jedoch gibt es aktuell - soweit ersichtlich - keinerlei belastbare Belege.
Vor diesem Hintergrund bezeichnete der Völkerrechtsexperte Jochen von Bernstorff die US-Angriffe heute gegenüber der Nachrichtenagentur dpa als "eindeutig rechtswidrig". Er sagte: "Ich sehe da wenig Spielraum für eine völkerrechtliche Rechtfertigung."
Unterstützung der Selbstverteidigung Israels?
Artikel 51 der UN-Charta spricht neben dem "individuellen" auch noch vom "kollektiven" Selbstverteidigungsrecht. Das bedeutet: Es ist mit dem Völkerrecht durchaus vereinbar, einen anderen Staat militärisch bei dessen Selbstverteidigung gegen einen Angriff zu unterstützen.
Voraussetzung ist dafür aber, dass eben dieser andere Staat sich überhaupt in einer Selbstverteidigungslage befindet. Das heißt, wollte man die US-Angriffe als legitime Unterstützung Israels deuten, ginge das nur, wenn Israel selbst sich auf das Selbstverteidigungsrecht gegenüber dem Iran berufen könnte.
Völkerrechtler skeptisch
Ein Selbstverteidigungsrecht Israels gegenüber dem Iran sah und sieht die Mehrheit der Völkerrechtler in Deutschland aber nicht - und zwar weder bei Beginn des Beschusses durch Israel am 13. Juni noch aktuell.
So sagte etwa der ehemalige Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus in einem Interview mit Legal Tribune Online (LTO): "Die explizite latente Bedrohung Israels durch das Mullah-Regime ist zwar ernstzunehmen, reicht allein aber nicht aus für eine erlaubte Selbstverteidigung".
Ähnlich hatte auch Völkerrechtsexperte Pierre Thielbörger die Situation eingeschätzt: "Wir bewegen uns bei Israels Angriffen noch im Bereich der präventiven Selbstverteidigung, die das Völkerrecht aber gerade nicht anerkennt, um das eigentlich geltende Gewaltverbot zwischen Staaten nicht zu untergraben", sagte er der ARD-Rechtsredaktion.
Atomanlagen unter Beschuss
Bei ihren Angriffen haben die USA gezielt ausschließlich iranische Atomanlagen beschossen. Selbst wenn militärische Schläge - ausnahmsweise - völkerrechtlich zulässig sind, besteht für solche Anlagen noch einmal ein besonderer Schutz.
Das 1977 verabschiedete Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen bestimmt, dass Kernkraftwerke nicht einmal dann angegriffen werden dürfen, wenn sie militärische Ziele darstellen, "sofern ein solcher Angriff gefährliche Kräfte freisetzen und dadurch schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachen kann".
Besonderer Schutz von Kernkraftwerken
Nur unter sehr strengen Bedingungen sei eine Ausnahme von diesem Verbot möglich. Dann nämlich, wenn ein Kernkraftwerk "elektrischen Strom zur regelmäßigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kriegshandlungen liefert und wenn ein solcher Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, um diese Unterstützung zu beenden."
Unter diese Kategorie fallen Anlagen, die der Urananreicherung zu militärischen Zwecken dienen, sagte Völkerrechtsprofessor Christoph Safferling von der Universität Erlangen-Nürnberg in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
"Dann ist das völkerrechtlich wie eine Rüstungsfabrik zu betrachten, also im Krieg ein legitimes Ziel." Voraussetzung bliebe aber, dass in der konkreten Situation Militärschläge gerechtfertigt wären, also eine Situation zur zulässigen Selbstverteidigung vorliegt.