Rafael Grossi

IAEA fordert Klarheit Wo ist das angereicherte Uran?

Stand: 23.06.2025 18:20 Uhr

Wie steht es nach den US-Angriffen um das iranische Atomprogramm? Das Regime könnte rechtzeitig angereichertes Uran weggeschafft haben. IAEA-Chef Grossi fordert Klarheit und plädiert für Diplomatie.

In der Nacht zu Sonntag haben die USA die iranische Atomanlage Fordo mit bunkerbrechenden Bomben angegriffen. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) geht von erheblichen Schäden an der Uran-Anreicherungsanlage, die sich tief im Inneren eines Berges befindet, aus.

Die US-Air Force bestückte ihre B-2-Tarnkappenbomber deshalb mit den stärksten bunkerbrechenden Bomben, den GBU-57, die sie hat. Zum ersten Mal kamen sie vermutlich zum Einsatz. Die Bomben sollen bis in 60 Meter Tiefe Sprengungen verursachen können. Die Uran-Zentrifugen des Iran liegen vermutlich bis zu 90 Meter tief im Berg, heißt es. Eine unabhängige Bestätigung gibt es dafür allerdings nicht.

IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi ist Experte in Sachen Atomanlage. Er tauscht sich kontinuierlich mit seinen Inspektorinnen und Inspektoren aus. Einige davon sind immer noch im Iran. Wo genau und welche Einblicke sie bekommen, ist im Moment nicht bekannt.

Nuklearforscher Georg Steinhauser, TU Wien, über Folgen für Umwelt und Atomprogramm nach Angriffen auf Irans Atomanlagen

tagesschau24, 23.06.2025 18:00 Uhr

Hochempfindliche Uran-Zentrifugen

Was man weiß und was Grossi für eine halbwegs aussagekräftige Hochrechnung genügt: Die Sprengkraft der US-Bomben sei ausreichend, die gegen Vibrationen hochempfindlichen Uran-Zentrifugen erheblich zu beschädigen. Auch in 90 Metern Tiefe mitten im Berg dürften die Vibrationen nach den Bombenabwürfen erheblich gewesen sein. Seine Schlussfolgerung lautet deshalb: Alles, was man für die Anreicherung bombenfähigen Materials in Fordo braucht, dürfte weitgehend zerstört sein.

Diese Einschätzung ist ohne absolute Gewähr. Grossi betont: "Im Moment ist niemand - auch nicht die IAEA - in der Lage, die Schäden in der Atomanlage Fordo vollständig zu beurteilen."

Grossi verweist auf einen Brief vom Iran

Aufhorchen ließen aber Bemerkungen Grossis ein paar Sätze davor in seinem Statement vor dem IAEA-Gouverneursrat, den der Generaldirektor zur Dringlichkeitssitzung einberufen hat. Das "Board", das politische Lenkungsgremium der "Agentur", wie sie die IAEA intern nennen, solle doch bitte noch einen Brief zur Kenntnis nehmen, den ihm der iranische Außenminister am 13. Juni gesandt habe. Das war der Tag des Beginns der israelischen Luftangriffe auf die iranischen Atomanlagen. Irans Außenminister habe geschrieben, man werde "besondere Maßnahmen zum Schutz der nuklearen Ausrüstung und Materialien ergreifen". "Zitat-Ende", sagt Grossi, hörbar bemüht um den korrekten Wortlaut.

Was das bedeutet haben könnte, lässt der Generaldirektor unausgesprochen. Naheliegend ist der Gedanke, der Iran könnte angereichertes Material versteckt haben, um es rechtzeitig vor den späteren deutlich heftigeren US-Angriffen zu schützen. Dabei könnte es vor allem um die 400 Kilogramm Uran gehen, die bereits zu 60 Prozent angereichert sein dürften. Dieses Uran könnte relativ schnell auf bombenfähige 90 Prozent hochangereichert werden.

IAEA fordert Inspektion der Anlagen

Eine Bestätigung gibt es von Grossi dafür nicht. Doch er merkt an, dass er formal korrekt den iranischen Außenminister sofort und deutlich darauf hingewiesen habe, dass solche Uran-Transporte natürlich der IAEA gemeldet werden müssten, gemäß dem geltenden Inspektionsabkommen zwischen Atombehörde und dem Iran. Gemeldet wie manch anderes, was der Iran - eine Kritik Grossis der vergangenen Monate - unterlassen hat.

Deshalb kommt nun die erneute Forderung des IAEA-Generaldirektors an den Iran, eine Inspektion zuzulassen. Die IAEA-Inspektoren seien im Iran, zu klären sei, wo die iranischen Vorräte an 60-prozentig angereichertem Uran jetzt seien. Eine geplante Verlagerung des Materials könnte offenbar der Anlass gewesen sein für den überraschend schnellen Angriffs der USA, heißt es von Bundeskanzler Friedrich Merz.

Die Reaktion des iranischen Vertreters am Rand der Sondersitzung der IAEA in Wien klingt nicht so, als würde der Iran den IAEA-Inspektoren im Land demnächst mit einer neuen Offenheit begegnen. Erwartungsgemäß kritisierte er die Angriffe auf die iranischen Anlagen als "irreparablen Schlag" gegen die Ziele des internationalen Atomwaffensperrvertrags. Es gibt Gerüchte, Iran wolle aus dem Vertrag aussteigen, explizit formuliert wurde das in Wien aber nicht.

"Politischer Mut, vom Abgrund zurückzutreten"

Die Gesamtsituation ist weiter besorgniserregend. Grossi, der Diplomat und oberste Wächter über die Atomsicherheit weltweit, plädiert eindringlich dafür, in diesem "schweren" Konflikt den Weg der Diplomatie zu suchen. Er selbst bietet sich als Vermittler an, er sei auch bereit, sofort in den Iran zu reisen: "Es gibt noch einen Weg für Diplomatie", sagt Grossi. "Wir müssen ihn beschreiten, sonst könnten Gewalt und Zerstörung unvorstellbare Ausmaße annehmen."

Der Generaldirektor, der keine politische Macht ausüben und nur auf die Macht seiner Worte setzen kann, fordert eindrücklich, nun "politischen Mut aufzubringen" und "vom Abgrund zurückzutreten". Das sei nie wichtiger gewesen als jetzt. Auch in einer Organisation und vor einem Gouverneursrat "in dem wir uns vielleicht nicht einig über die Gründe und Folgen der aktuellen Krise" sind, so Grossi. Der IAEA gehören 180 Staaten an, weltweit. Nordkorea ist ausgeschert, aber sonst sind fast alle dabei - auch die, die Kriege gegeneinander führen.

Vielleicht auch deswegen schiebt Grossi den Hinweis nach, dass es der internationalen IAEA-Gemeinschaft auch in einem anderen militärischen Konflikt gelungen sei, "nukleare Sicherheit zu gewährleisten und zu bewahren". Um welchen Konflikt es geht, sagt er nicht. Aber alle wissen: Es geht um Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, es geht um die ukrainischen Atomkraftwerke. Beide Länder gehören zur IAEA. Ebenso wie der Iran, Israel, die USA.

Wolfgang Vichtl, ARD Wien, tagesschau, 23.06.2025 14:37 Uhr