Peter Magyar posiert für ein Selfie mit einer jungen Frau.
weltspiegel

Opposition in Ungarn Wie Magyars Anhänger schikaniert werden

Stand: 06.04.2025 08:48 Uhr

Ein Jahr vor der Parlamentswahl werden in Ungarn die Anhänger des populären Oppositionellen Magyar zunehmend unter Druck gesetzt. Wer sich gegen Regierungschef Orban stellt, muss nicht nur mit Diffamierung rechnen.

Von Anna Tillack, ARD Wien

Gerade als Peter Magyar - blond, Bürstenschnitt, jungenhaftes Grinsen - aus dem silbernen Skoda steigt, hört es auf zu regnen. Die Menschen klappen ihre Schirme ein und applaudieren, versuchen, ihn anzufassen, wollen kurz die Hand schütteln, am besten schnell ein Selfie. Acht pro Minute schafft er, die Handys seiner Fans hält er routiniert selbst.

Peter Magyar, derzeit härtester Herausforderer von Ungarns Regierungschef Viktor Orban, reist derzeit durchs Land, Jaszbereny ist seine erste Station. Die Kleinstadt, rund 70 Kilometer östlich von Budapest, ist eine ehemalige Hochburg der Regierungspartei Fidesz, die seit 15 Jahren die Geschicke des Landes bestimmt.

Doch die Unterstützung für Magyars Tisza-Partei wird größer. In den Meinungsumfragen hat sie Orbans Fidesz-Partei schon überholt. Während auf den Großdemonstrationen in Budapest im vergangenen Jahr vor allem junge Menschen zu sehen waren, hat sich das Spektrum der Anhänger auf dem Land erweitert.

Eine blonde Dame Mitte 60 hat sich in eine Ungarn-Fahne gewickelt. Sie habe ihr ganzes Leben lang als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet und nun bekomme sie 300 Euro Rente, das reiche einfach nicht. An Orbans Politik störe sie alles, es gebe keinen Bereich im Land, der funktioniere: "Wir haben die Nase voll!"

Die Nervosität wächst

Dass viele im Land nun gegen das autokratische System Orbans aufbegehren, sorgt auf Regierungsseite für Nervosität - und für harte Repressalien gegen politisch Andersdenkende. In einem Café nahe des historischen Burgviertels erzählt Familienvater Zoltan Tarr, was ihm im vergangenen Jahr widerfahren ist.

Auch er habe sich sofort für den neuen Politikstil Magyars begeistert, als dieser 2024 die politische Bühne betrat. Als er, Tarr, dann auf einer Veranstaltung eine Rede gehalten habe, habe ihn sein damaliger Arbeitgeber, eine staatliche Digitalfirma, rausgeworfen.

Es war einfach seltsam zu sehen, dass sie nicht mal versucht haben, es zu verstecken. Sie sind sogar stolz darauf, zu sagen, dass sie jemanden gefeuert haben, weil er nicht auf einer Linie mit der Regierung war.
Zoltan Tarr

Subtile Form der Drangsalierung

Kurze Zeit später verlor auch seine Frau ihren Job und ist seitdem arbeitslos. Zoltan Tarr hatte das Glück, eine neue Tätigkeit zu finden. Er sitzt jetzt - zusammen mit Magyar - für Tisza im Europäischen Parlament, pendelt zwischen Brüssel und Budapest, um seine Kinder so oft wie möglich zu sehen.

Die Lage in seiner Heimat sieht er in düsterem Licht, denn es herrsche ein Gefühl der Angst. Man werde in Ungarn zwar nicht in ein schwarzes Auto gezerrt und zusammengeschlagen, doch die Unterdrückung funktioniere subtiler, auf emotionaler Ebene. Ungarn kann man seiner Meinung nach nicht mehr als Demokratie bezeichnen.

Eine neue Schärfe

Gerade in den vergangenen Wochen fiel Orbans Rhetorik durch eine neue Schärfe auf. So beschimpfte er politische Gegner als Wanzen, drohte mit einem "Osterputz" für Medien und Justiz und brachte das umstrittene gesetzliche Verbot der Pride-Parade auf den Weg.

Für die jüngsten Einlassungen des Ministerpräsidenten hat Tarr eine Erklärung. Man merke, dass Orban unter enormem Druck stehe und in die Ecke gedrängt worden sei, weshalb er nun an seine Grenzen gehe.

Gezielte Verunglimpfung

Schikanen seitens der Fidesz-Regierung gegenüber Oppositionellen sind ein Jahr vor der nächsten Parlamentswahl an der Tagesordnung. Kriszta Bódis, eine bekannte Dokumentarfilmerin und Schriftstellerin, wurde auch öffentlich angegriffen.

Bódis, verheiratet und Mutter zweier Kinder, nahm bereits häufiger an der Pride-Parade teil und setzte sich für Toleranz gegenüber der LGBTQ-Gemeinschaft ein, weshalb man sie innerhalb der Fidesz-Wählerschaft als "Gender-Aktivistin" zu verunglimpfen versuchte.

Romulus Ruszin-Szendi, ein ehemaliger Generalstabschef der ungarischen Armee, ist in die Tisza-Partei eingetreten, um sich dort vor allem mit der Sicherheitspolitik zu beschäftigen. Auch er fand sich kurz darauf im Fokus einer Hetzkampagne, die ihm unterstellte, eine Fettabsaugung und eine milliardenschwere Villa aus Steuergeld finanziert zu haben. Belegt sind die Vorwürfe gegen Ruszin-Szendi, der alles dementierte, nicht.

Peter Magyar schwenkt die Flagge Ungarns vor einer Menschenmenge.

Bei der Europawahl 2024 kam Magyars gerade erst gegründete Partei sofort auf 30 Prozent der Stimmen - Umfragen sehen sie jetzt vor der Fidesz.

Die letzte Chance auf andere Verhältnisse?

Auf seiner Rundreise übers Land macht Magyar auch Halt in der 70.000-Einwohner-Stadt Szolnok. Er steht auf der Ladefläche eines alten, in den Farben der ungarischen Flagge angemalten Lkw und ruft in sein Mikrofon, Orban solle kommen und der Bevölkerung erklären, wie er aus ihrer Heimat das ärmste und korrupteste Land Europas gemacht habe.

Es sind deutlich mehr Menschen da, als von den Veranstaltern erwartet. Applaus brandet auf, als Operndiva Andrea Rost die Bühne betritt und zusammen mit Magyar ein Lied anstimmt.

Rost, die in allen großen Häusern der Welt auftrat, wird in ungarischen Opernhäusern nicht mehr engagiert, seit sie sich an die Seite der Opposition gestellt hat. Einschüchtern lassen will sie sich davon nicht. Endlich gebe es in Ungarn wieder eine Aufbruchstimmung, die Möglichkeit, das Land grundlegend zu verändern. Vielleicht sei das für die Ungarn die letzte Chance, ihre Freiheit zurückzubekommen.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 06. April 2025 um 18:30 Uhr im Ersten.