Bundestagswahl 2025

Grüne nach der Wahl Viele Wähler links liegen gelassen?
Habecks Grüne setzten im Wahlkampf auf einen Kurs der Mitte. Die falsche Strategie in polarisierten Zeiten? Klar ist: Die Partei wird sich damit beschäftigen, wie stark die Linke Wähler hinzugewinnen konnte.
"Hätte noch schlimmer kommen können" - diesen Satz hörte man anfangs oft auf der Grünen-Wahlparty am Sonntagabend. An den Wänden hingen Plakate: Robert Habeck beim Joggen, Habeck im Wahlkampf, Habeck Arm in Arm mit Baerbock.
Die erste Analyse vieler Grüner ging so: Ohne diesen Kanzlerkandidaten wären die Grünen womöglich genauso abgestürzt wie FDP oder SPD. Dann begannen auch die grünen Werte in den Hochrechnungen immer mehr zu sinken - und immer klarer wurde, dass es wohl für eine Regierungsbeteiligung nicht reicht und stattdessen die politischen Ränder enorm gestärkt sind.
Noch vor Monaten hatte jeder einzelne der ehemaligen Ampel-Partner die Hoffnung: Nach dem Bruch ist wieder mehr Profilierung möglich. Der ständige Streit zieht nicht mehr alle nach unten. Das allein werde die Umfragewerte nach oben hieven, hörte man oft in grünen Kreisen. Ein "Habeck-Faktor" wurde noch oben drauf gelegt von den Parteistrategen. Und dann, so die Kalkulation, reicht es doch für Schwarz-Grün.
Doch der Wahlausgang zeigt: Die bekannten Ampel-Gesichter können sich nicht binnen Wochen neu erfinden, neu glänzen. Auch Habeck nicht. Und auch die schwarz-grünen Träume sind zerplatzt. Die Union ist nicht stark genug - aber eben auch die Grünen nicht.
Rund 700.000 Stimmen an die Linke verloren
Beschäftigen muss die Grünen vor allem, wie stark die Linke in den vergangenen Wochen Wähler hinzugewinnen konnte. Das zeigt, dass durchaus noch Zuwächse im linken Lager möglich sind - nur fühlten sich diese Wähler offenbar nicht von den Grünen angesprochen.
Rund 700.000 Stimmen sind laut der vorläufigen Wählerwanderung von infratest dimap von den Grünen zu den Linken gewechselt. In den Umfragen kurz vor der Wahl stimmten 41 Prozent der Befragten der Aussage zu, die Linke sei "eine gute Alternative für alle, die sich bei SPD und Grünen nicht mehr aufgehoben fühlen".
Vielleicht hat die Partei das Potential links zu lange unterschätzt. Erst in den letzten Tagen vor der Wahl haben Spitzen-Grüne versucht, um genau diese Wählergruppe zu werben. "Nur eine linke Opposition, das reicht halt nicht, das ist auch nicht der Sinn von Politik", sagte Habeck etwa in einem Podcast.
Habecks oberste Priorität: Bündnisfähigkeit
Es gab Fernsehinterviews, Social-Videos und vieles mehr mit der Botschaft: Man muss auch regieren wollen, um etwas zu verändern. "Sonst steht man nur am Spielfeldrand und ruft den anderen zu: 'Hey, lauft mal schneller!'", sagte Habeck. "Man muss aber selber laufen." Nur dann könne man Projekte wie das Selbstbestimmungsrecht, Demokratieförderung oder erneuerbare Energien wirklich verteidigen.
Dass die Linken so zulegen konnten, schiebt Habeck auf Merz' Abstimmung im Bundestag gemeinsam mit der AfD. Das habe vor allem junge linke Menschen mobilisiert. Habeck habe ihnen, so sagt er es, keine Absage an Merz liefern können. Denn für ihn steht Kompromiss- und Bündnisfähigkeit ganz oben. Irgendjemand muss ja schließlich regieren - so könnte man es salopp formulieren. Das war gerade jungen linken Wählern zu wenig Abgrenzung von der Merz-CDU, das ist die grüne Sicht.
Grüne setzten wenig auf Klimaschutz
Ob der linke Höhenflug allein durch diesen Moment erklärbar ist, müssen die Grünen nun analysieren. Denn es könnte auch damit zu tun haben, dass die eigene Kampagne über weite Strecken wenig auf Klimaschutz setzte und erst kurz vor der Wahl dieses Kernthema bediente. Ebenso werden sich die Strategen in der Parteizentrale anschauen müssen, wie und womit die Linken ihre Social-Media-Erfolge einfahren konnten.
Auch der Fokus auf die Wirtschaft, den dieser Wahlkampf klar hatte, hat den Grünen keinen Stimmenzuwachs beschert. Zugenommen hat laut den Studien von infratest dimap die Zustimmung zu Aussagen wie: "Die Grünen kümmern sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze." 62 Prozent der Befragten sehen das so. Das ist für eine Partei, die den Wirtschaftsminister stellt, verheerend.
Mitte-Kurs in polarisierten Zeiten
Hinzukommt der starke Gegenwind, dem sich die Partei seit rund drei Jahren ausgesetzt sieht. Dazu zählen auch, darauf weisen die Grünen zurecht hin, unfaire Methoden und Manipulationen. Erste Recherchen zeigen, dass hier auch russische Einflussnahme eine Rolle spielen könnte: Mutmaßliche Saboteure, die Bauschaum in Auspuffrohre sprühten und grüne Flyer hinterließen, sollten womöglich eine anti-grüne Stimmung verbreiten. Laut Sicherheitsbehörden gab mindestens einer der Beschuldigten an, er und andere seien von Russland dafür angeworben worden. Welche Einflussnahme es online gab, muss noch untersucht werden.
Klar ist: In einer so polarisierten Gesellschaft sind die Ränder stärker geworden. Die Grünen mit ihrem Mitte-Kurs unter Habeck haben es da schwer. Sie sind in der Zange: Werden sie härter bei Themen wie Migration oder Sicherheit, strömen enttäuschte Anhänger zur Linken. Sobald die Grünen links blinken, etwa mit Feminismus und anderen gesellschaftspolitischen Themen, drohen sie Wähler an die Union zu verlieren.
Wenige Stimmen Mehrheit hat eine Große Koalition, wenn sie gebildet wird. Bei den Grünen gehen alle davon aus, dass vor allem die CSU alles tun wird, dass sie trotzdem zustande kommt - und die Grünen sich in der Opposition in eine neue Rolle einfinden müssen.