
Zurückweisungen und Kontrollen Was bringt die neue Migrationspolitik?
Mit mehr Grenzkontrollen und Zurückweisungen will die Bundesregierung eine härtere Migrationspolitik vorantreiben. Doch die Wirkung der Maßnahmen ist fraglich. Wie es um Anspruch und Wirklichkeit steht.
Es ist eine Zahl, die fast untergegangen ist in allen juristischen Diskussionen rund um die Grenzkontrollen: 160 Menschen - so viele hat die Bundespolizei nun also trotz Asylgesuch an der Grenze zurückgewiesen. Das geht aus ihrer Bilanz für die ersten vier Wochen seit dem Regierungswechsel hervor.
Auch eine andere Zahl steht für die härtere Migrationspolitik unter Innenminister Alexander Dobrindt: 3.000 zusätzliche Beamte wurden von ihm in den Grenzeinsatz geschickt. Schon vorher waren es 11.000 Bundespolizisten, zusammengesetzt aus verschiedenen Einheiten. Das Innenministerium spricht von "umfangreichen Maßnahmen zur Erhöhung des Personalansatzes", reichlich Überstunden inklusive.
Hoher Personalaufwand an den Grenzen
Richtet man den Blick auf beides - Personalaufwand und zurückgewiesene Asylbewerber - so entsteht nicht nur ein erster Eindruck vom Kosten-Nutzen-Verhältnis der "Asylwende" von "Tag eins" an. Ebenso sichtbar wird ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit: Das "faktische Einreiseverbot", das Friedrich Merz noch als Kanzlerkandidat "auch für Personen mit Schutzanspruch" angekündigt hatte, klingt markig, weitreichend - und jedenfalls nicht nach 160 zurückgewiesenen Asylbewerbern.
Die Bundespolizisten, das gehört zum vollständigen Blick, machen im Grenzdienst noch mehr: Sie vollstrecken Haftbefehle, kontrollieren Extremisten oder nehmen die Fahrer von Schleuserautos fest. All das haben sie aber auch schon vor dem intensivierten Grenzeinsatz gemacht oder könnten es auch an ihren eigentlichen Einsatzorten, an Bahnhöfen oder bei Großveranstaltungen, tun. Außerdem weisen die Beamten Personen zurück, die ohne Asylbitte unerlaubt einreisen wollen - genau das konnte die Bundespolizei ebenso schon vor der versprochenen "Asylwende".
Asylanträge schon länger rückläufig
Die Union hat oft mit der Symbolwirkung verschärfter Maßnahmen argumentiert: Schon allein durch harte Worte, mehr Kontrollpunkte und Zurückweisungen würden sich weniger Menschen auf den Weg machen. Sind also erste Anhaltspunkte zu erkennen, dass diese abschreckende Wirkung wirklich eintritt?
Die Antwort darauf kann nicht allein die Zahl der Einreiseversuche oder Zurückweisungen bieten. Denn bislang kommen viele Asylsuchende an nicht überwachten Grenzabschnitten ins Land, also etwa über die waldreiche "grüne Grenze". Auch an der Oder finden die Bundespolizisten immer wieder nasse Kleidung und ausländische Währung. Fast 4.000 Kilometer Landgrenze kann man auch mit aufgestocktem Grenzdienst nicht lückenlos überwachen, das weiß die Union.
Erst in den Asylanträgen zeigt sich - Wochen oder Monate später - der Trend. Und der weist seit langem nach unten. In den ersten Monaten 2025 lag die Zahl der Erstanträge rund 46 Prozent unter dem Wert des Vorjahreszeitraums. Pro Monat kamen vor Antritt der neuen Bundesregierung rund 9.000 Erstanträge dazu.
Nun sind die Zahlen tatsächlich noch einmal gesunken: Im Mai 2025 gab es nach Angaben des Bundesamts für Flüchtlinge 7.916 Erstanträge. In Medien werden die neuen Statistiken schon als "psychologisch wichtige Marke" gefeiert. Trotzdem: Sie passen genau zur ohnehin rückläufigen Entwicklung.
Polizisten sehen "hohe Belastung"
Die leicht sinkenden Asylzahlen dürften also eher an Maßnahmen schon aus der Ampel-Zeit liegen. Der große Sprung: bislang nicht erkennbar. Mancher Hubschrauber-Einsatz, der Medien für Filmaufnahmen angeboten wurde, wirkt so eher wie die Grenzshow zum Regierungsstart - vielleicht weil die Koalition weiß, dass Migrationspolitik eigentlich heißt, dicke Bretter zu bohren.
Gewerkschafter der Bundespolizei warnen, dass dieser Grenzeinsatz nicht lange durchhaltbar sei. Über ihren WhatsApp-Kanal hat die Gewerkschaft der Polizei in den vergangenen Wochen Rückmeldungen von gut zweieinhalb Tausend Beschäftigten gesammelt, schildert Andreas Roßkopf, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios. Die Beamten sehen eine "hohe Belastung", so Roßkopf. Die Umfrage habe man auch "an den Innenminister Herrn Dobrindt geschickt", sagt er. "Bisher fehlt jegliche Antwort."
"Die aktuellen Maßnahmen sind bis zum 15. September 2025 gegenüber der EU-Kommission notifiziert", heißt es aus dem Innenministerium. Zeit gewinnen, vor allem der AfD nicht mehr Futter bieten - das scheint das Kalkül zu sein.
Koalition plant weitere Verschärfungen
Auf den Weg gebracht haben Union und SPD unterdessen auch andere Verschärfungen: Im Parlament liegt der Gesetzesentwurf, der den Familiennachzug für bestimmte Flüchtlingsgruppen zwei Jahre aussetzen soll. Zudem will die Koalition sichere Herkunftsländer benennen können, ohne dass der Bundesrat zustimmt - also vorbei an grün oder links mitregierten Ländern.
Weniger Angriffsfläche für die Opposition - das hat in den ersten Wochen schwarz-roter Migrationspolitik jedenfalls nicht geklappt. Die AfD war, wie zu erwarten, unterwegs auf kleineren, unbewachten Grenzstraßen. Das Ergebnis: etliche Videos auf ihren Social-Media-Kanälen. "Von mehr Grenzschutz kann keine Rede sein", schreibt Parteichefin Alice Weidel. Genau diese Kampagne hätte die Union voraussehen können - wenn sie ein "faktisches Einreiseverbot" verspricht.
Die Grünen wiederum sehen die Bundespolizisten an der Belastungsgrenze: "Der Innenminister verheizt die Beschäftigten ohne erkennbaren Nutzen", sagt Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. Der Krankenstand werde steigen. Dass die Asylzahlen sinken, sei ein Phänomen in vielen EU-Staaten derzeit und liege eher am "Zusammenbruch des Unrechtregimes in Syrien" Ende 2024.
"Manche merken jetzt, dass es komplizierter ist"
Innerhalb der Koalition, so wirkt es, ist erst einmal Stillhalten vereinbart. Aus der SPD kam, vor allem zu den Zurückweisungen, lange keine Reaktion - obwohl es hinter den Kulissen deutliche Kritik gab. Als das Berliner Verwaltungsgericht Anfang Juni in ersten Fällen das Vorgehen für rechtswidrig erklärte, tauchte Vizekanzler Lars Klingbeil regelrecht ab: Bei Presseterminen, unter anderem mit Zoll-Dienstjacke im Hamburger Hafen, wollte er nichts zum Thema sagen.
Erst später, bei einem Parteiabend, lieferte Klingbeil einen launigen Halbsatz Richtung Union: "Manche merken ja jetzt, dass es komplizierter ist in der Realität als in Oppositionsreden - ich sag nur Zurückweisungen." Falls es in den kommenden Monaten neue Niederlagen vor Gericht gibt, werden ein paar Spitzen vielen Sozialdemokraten nicht mehr genügen.