Ines Schwerdtner und Jan van Aken.

Parteitag der Linken Klarkommen mit dem eigenen Erfolg

Stand: 09.05.2025 10:39 Uhr

Die Linke hat in diesem Jahr die Zahl ihrer Mitglieder verdoppelt. Beim Bundesparteitag in Chemnitz will sie ihre künftige Linie abstecken - und beraten, wie die Neuen integriert werden können.

Von Uwe Jahn, ARD-Hauptstadtstudio

Das Wachstum der Linken ist rasant: Innerhalb eines halben Jahres hat die Mitgliederzahl sich mehr als verdoppelt. Aktueller Stand laut Parteizentrale: mehr als 112.000 Mitglieder. Zum Jahreswechsel waren es demnach 55.000. Sogar in der Bundestagsfraktion gibt es seit der Wahl im Februar jetzt mehr neue als langjährige Abgeordnete.

Kein Wunder, dass Parteichefin Ines Schwerdtner vor dem Parteitag in Chemnitz in Hochstimmung ist: "Wir freuen uns eigentlich jeden Tag über die mehr als 100.000 Mitglieder. Wir wachsen täglich und ich würde das in allererster Linie als eine große Chance begreifen."

Uli Hauck, ARD Berlin, zzt. Chemnitz, zum Parteitag der Linken

tagesschau24, 09.05.2025 16:00 Uhr

Eine große Chance - dabei sehen die erfahrenen Genossen sich jetzt einer Überzahl von Neuen gegenüber. Und diese Neuen sind vorwiegend jung, weiblich und kaum zu bremsen. Das mag auch daran liegen, dass die Linke in den sozialen Medien eine enorme Reichweite entwickelt hat. Insbesondere Fraktionschefin Heidi Reichinnek zieht. Kaum eine Politikerin hat so viele jugendliche Fans wie sie. Davon wollen so einige in der Partei mit anpacken.

Räume werden knapp

Das schildert auch Ferat Kocak, Bundestagsabgeordneter aus Berlin-Neukölln. Im Wahlkampf hatte er, unterstützt von vielen jungen Genossen auch aus anderen Regionen, mit Zehntausenden Haustürgesprächen so viele Wähler überzeugt, dass er das Direktmandat gewann.

Daran will er anknüpfen, Sozialberatung anbieten und weiter an den Wohnungstüren der Neuköllner Gespräche führen: "Dafür brauchen wir sehr viele aktive, junge Menschen. Aber natürlich birgt es auch ein Fragezeichen. Was sind das für Leute, die gerade in die Partei reingekommen sind? Das heißt für uns natürlich auch einen Organisationsaufwand, auch die Räume zu schaffen, wo sie aktiv werden können."

Apropos Räume: Die werden an der Basis knapp. Für Mitgliedertreffen reicht der Platz in den Geschäftsstellen kaum noch.

Der andere Parteichef Jan van Aken erzählt von vielen neuen Gesichtern, die er bei der Mai-Demo im Linken-Block entdeckt habe. Er glaubt, dass die Neuen gerade wegen des Programms der Linken gekommen sind: "In der Grundausrichtung passt es natürlich, deswegen wird es keine ganz andere Partei. Aber es gibt bestimmt Punkte, an denen man Diskussionen noch mal führt, die wir schon mal hatten, man vielleicht auch zu anderen Ergebnissen kommt. Aber das kann ich noch gar nicht so absehen."

Was van Aken kommen sieht, kommt noch nicht beim Parteitag in Chemnitz. Denn dort treffen sich dieselben Delegierten wie im Herbst, als es gelang, sich bei traditionell umstrittenen Themen zu einigen - also zum Nahen Osten, zu Russland und zur Friedensfrage. Da will man sich jetzt nicht groß wiederholen.

Parteiaufbau und Bildungsangebote

Stattdessen geht es im Leitantrag vor allem um den Parteiaufbau. Die Linke will stärker in die Betriebe gehen, gezielt Arbeiter ansprechen und jene erreichen, die unter prekären Bedingungen arbeiten und leben. Zusätzlich will sie sich stärker in den Regionen verankern und konkrete Hilfen anbieten, beispielsweise Sozialberatungen oder die Apps gegen Mietwucher und überhöhte Heizkostenabrechnungen ausbauen.

Ebenfalls wichtig: aus neuen Mitgliedern Genossen machen. Dazu gehören Seminare über die Geschichte der Partei oder über konkrete Argumente, wenn es um Kernforderungen der Partei geht: Wer profitiert unter welchen Bedingungen von einer Vermögenssteuer oder dem Mietendeckel?

Wie das politische Bildungsprogramm aussehen soll, könnte ein Festival der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Chemnitz zeigen. Direkt neben der Tagungshalle sollen Zelte dafür aufgebaut werden.

Die Zielgruppe sind interessierte Menschen aus der Region Chemnitz, aber auch neue Mitglieder, erklärt Daniela Trochowski von der Stiftung: "Wir bieten Veranstaltungen, wo man Handwerkszeug lernen kann, zum Beispiel im Bereich Influencing. Da zeigen kompetente Menschen anderen, die sich ehrenamtlich engagieren, wie man zum Beispiel einen interessanten Podcast oder einen guten Auftritt organisiert."

"Ohne die Linke geht es nicht"

In Berlin ist die mit Abstand wichtigste Bühne für die Linke der Bundestag. Auch da ist sie gewachsen - und durch die neuen Mehrheitsverhältnisse auch ihr Gewicht.

Erst am Tag der Kanzlerwahl suchte die Union das Gespräch mit der Linken, damit der zweite und erfolgreiche Wahlgang für Friedrich Merz am gleichen Tag noch ermöglicht werden konnte. Das Gespräch war eine Premiere.

Fortsetzung folgt, ist Parteichefin Ines Schwerdtner sich sicher: "Ich würde sagen, dass jetzt auch allen anderen klar geworden ist, dass es ohne die Linke nicht mehr geht. Durch die Mehrheitsverhältnisse sind Realitäten entstanden, an denen auch Friedrich Merz nicht mehr vorbeikommt."

Dass für zwei Drittel der Abgeordneten in der Fraktion der Bundestag praktisch Neuland ist, ist eine Herausforderung. Christian Görke, ehemaliger Finanzminister in Brandenburg und heute Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, nimmt sich der Aufgabe an. Er will die Neuen ertüchtigen und ihnen ermöglichen, ihren Platz im Parlamentsbetrieb zu finden: "Das heißt, das auch alle neuen Mitglieder zum Zug kommen. Das heißt auch, dass sie sich ernst genommen und wertgeschätzt fühlen."

Auch hier setzt die Partei auf Bildung, man könnte auch sagen: Professionalisierung. Sie bietet den Neuen Workshops, Gespräche und Vorträge an, damit in den kommenden Debatten die Argumente auch sitzen. Fragt man nach Wachstumsschmerzen, hört man: nichts. Wer will sich schon die gute Stimmung verderben lassen?

Uwe Jahn, ARD Berlin, tagesschau, 09.05.2025 06:01 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. Mai 2025 um 17:00 Uhr.