
Berlin Bundestagswahl 2025: Mit schrillen Videos in den Bundestag
"Brain rot" beschreibt Social-Media-Content mit kaum intellektuellem Wert. Längst beteiligen sich auch politische Parteien an der Beschallung durch amateurhafte Videos. Die Berliner Direktkandidat:innen im Check. Von Janek Alva Kronsteiner
"Brain rot" – Ein Ausdruck aus dem Sprachgebrauch der Generation Z über sinnentleerten Videocontent. Allgegenwärtig in vielen Social-Media-Feeds. "Der Vorzug von Brain rot-Content liegt darin, dass er schnell und mit wenig Aufwand produziert werden kann," erklärt Politikberater Bendix Hügelmann, der den Wahlkampf beobachtet.
Auch Berliner Direktkandidat:innen veröffentlichen einige Kurzvideos, um in den Feeds der Wählerschaft zu landen. Dabei macht nicht jede:r Politiker:in eine gute Figur. Auch, weil die Umsetzung oft unprofessionell wirkt.
CDU-Politiker im Bierkönig und Berghain
Lasse Hansen (CDU), Direktkandidat in Berlin-Mitte, macht Wahlkampf aus dem Urlaub. Bei Tiktok grüßt er im Polohemd aus dem Bierkönig auf Mallorca, verspricht CO2-neutrale Flüge auf die Insel, damit Malle mehr als einmal im Jahr sein kann.
Der Politikwissenschaftler Özgür Özvatan wundert sich im Interview über das Video. Er fragt sich, wie gut Hansen seine Wählergruppe in Berlin-Mitte überhaupt kenne. "Die Zielgruppe von Hansen sind wohl hauptsächlich junge Männer, die eben auch die Zielgruppe dieser Kneipe sind." In einem anderen Wahlkreis könnte die Strategie erfolgreicher sein.
Kevin Kratzsch (CDU/Friedrichshain-Kreuzberg), der in einem zehn sekündigen Tiktok-Clip sichtlich angetrunken mit Weißwein Richtung Kamera prostet, wirkt auf Tiktok verloren. Ähnlich der CDU-Kandidat in Charlottenburg-Wilmersdorf Lukas Krieger: Bei einem Entweder-Oder-Spiel im engelblauen Hemd antwortet er auf die Frage "Berghain oder Kitkat?" selbstbewusst "Eher ins Berghain."
Volksparteien tun sich schwer
Auch Michael Müller (SPD) spielt dieses Spiel. Ein Genosse fragt den Abgeordneten per Kochlöffel mit Ansteckmikrofon: "Lisa Paus oder Michael Müller?" Müller antwortet kess "Natürlich Michael Müller", es gebe gute Gründe ihn selbst zu wählen.
"In dem Video wirkt Michael Müller leider wie ein Storch im Salat," findet Politikwissenschaftler Özvatan. Das Problem: Die Volksparteien reagierten behäbig auf die Social-Media-Welt, die sich schnell verändert, weil die Parteien bereits feste Strukturen haben, erläutert Özvatan. "Doch viele Politiker:innen wissen, dass sie auch in der digitalen Welt stattfinden müssen. Deswegen sind sie in der misslichen Lage, dass sie einfach irgendwas produzieren und hochladen."
Die Linke setzt auf Musik
Die Linke habe sich dagegen in einem kurzen Zeitraum professionalisiert, so Özvatan. Die Lichtenbergerin Ines Schwerdtner (Linke) kombiniert eine Rede über Vermögenssteuer mit einem Tanz der Tiktokerin Mina Lee. Um Gregor Gysi (Linke) wird auf Tiktok gar eine Art Kult betrieben. Seine Reden werden zu Musikstücken geremixt, Gysi tritt unter der Ski-Maske des (Fake-)Alter-Egos "DJ Gysi" auf. Bei der Linken läuft der Wahlkampf auch über Unterstützer-Accounts, wie eben "DJ Gysi". Das Umfeld der Linken verarbeitet Interviewausschnitte von Gysi mit Effekten und veröffentlicht sie in kleinen Schnipseln neu. Die Linksjungend in Treptow-Köpenick fragt Gysi etwa nach seiner Skincare-Routine.
AfD in Berlin baut Memes
Keine Landesgruppe hat auf ihren Kanälen so viele Follower:innen wie die Landesvertretung der AfD. Auf ihren eigenen Accounts wettern die Berliner Direktkanditat:innen gegen die CDU und die Grünen. Martin Kohler (AfD) aus Charlottenburg-Wilmersdorf nutzt die Worte eines ZDF-Moderators, um sich über Robert Habeck aufzuregen oder schneidet sein Wahlplakat in eine Szene der TV-Serie Family Guy.
Bei der AfD finden sich mehrere Beispiele für Meme-Videos. Beatrix von Storch (AfD) veröffentlicht ein Video, in dem Annalena Baerbocks Kopf auf den Körper einer ungeschickten Trampolinspringerin editiert ist. "Memes verbreiten sich unheimlich schnell und durchs Schmunzeln erhöhe ich erstmal die Bereitschaft, mich mit den weiteren Themen eines Accounts zu beschäftigen", analysiert Politikberater Bendix Hügelmann. In diesem Fall zugeschnitten auf die Zielgruppe, die jene Memes dann in die WhatsApp-Familiengruppe teilt.
BSW unauffällig - Grüne und FDP wollen Gamer erreichen
Die Direktkandidat:innen der Berliner BSW treten digital eher mit klassischen Ansprachen auf. Auf Instagram aktiv sind Oliver Ruhnert und Josephine Thyrêt. Sie verwundert lediglich mit einem Video, welches bei Instagram als Highlight markiert ist, in dem sie beim Autofahren zu Oldie-Musik singt.
Klara Schedlich von den Grünen in Reinickendorf hat eine deutlich jüngere Zielgruppe. Ihre Zukunftsvision erklärt sie in einem Hopecore-Video. Mit Entchen und brutzelndem Tofu.
Schedlich hat Themen wie E-Sports und Gaming auf der Agenda. Dabei beweist sie Nähe zur Zielgruppe, indem sie das Videospiel "Die Sims" nachstellt und versehentlich ein Haus in Brand setzt.
Sören Henschel (FDP) stellt seine Position zu Videospielen vor und lässt dabei die Hälfte des Bildschirms von einem Minecraft-Video einnehmen.
Es kommt auf die Vorbereitung an
Einen klaren Fokus – wie bei Schedlich und Henschel auf Gaming - erachtet Özgür Özvatan als sinvoll. "Schließlich geht es auf Social Media darum, eine Community aufzubauen." Dass Politiker:innen auf Social Media nur unterhalten und kaum Inhalte vermitteln, findet der Politikwissenschaftler falsch: "Es geht immer um die politische Botschaft plus Unterhaltung. Aber das Plus haben viele nicht verstanden."
Daher plädiert Özvatan dafür, die Kurzvideos in Sequenzen zu denken. "Man kann erstmal mit einem Tiktok die Leute einfangen und die Themen dann in anderen Formaten differenziert darstellen."
Bendix Hügelmann bilanziert: "Brain rot-Content kann ein Baustein Teil einer sinnvollen Content-Strategie sein. Aber allein reicht das nicht." Social Media funktioniert sehr über Kontinuität. Einen professionellen Social-Media-Wahlkampf findet nicht in den Wochen vor der Wahl statt, so Hügelmann, man muss ihn sich in den Jahren zwischen den Wahlterminen erarbeiten.
Sendung: rbb24