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Berlin Bundestagswahl: Sind Stimmen für kleine Parteien wirklich "weggeworfen"?
Die sogenannten kleinen Parteien sind in diesem Bundestagswahlkampf wenig präsent. Dabei könnten laut BerlinTrend acht Prozent ihre Zweitstimme den “Sonstigen” geben. Ist eine Stimme für sie eine weggeworfene, wie oft behauptet wird? Von Tobias Schmutzler
Ein Plüschschaf und zwei Plastikschweinchen stehen in Berlin auf dem Wahlkampfstand der Tierschutzpartei am U-Bahnhof Turmstraße - umringt von Ansteckern mit niedlichen Tierporträts, Kork-Kugelschreibern und Infoflyern. Auch dieser Bundestagswahlkampf ist eine Merchandise-Schlacht der Parteien. Doch trotz der Mitnehmartikel können der Berliner Co-Landesvorsitzende Maxim Seeck und die Bundestagskandidatin Elke Weihusen nur wenige Passanten überzeugen, über die Wahl zu sprechen.
Noch dazu sind manche hier skeptisch, ob es eine gute Idee wäre, eine Partei zu wählen, die keine realistische Chance auf Sitze im Parlament hat. Daniel Fellmann, der sich am Wahlkampfstand informiert hat, sagt: "Die Frage stelle ich mir im Endeffekt auch. Ich bin noch unentschlossen, ob ich eine kleine Partei wähle. Für mich bietet es sich erstmal an, die etablierten Parteien zu wählen - schlicht und ergreifend, damit meine Stimme es dann auch ins Parlament schafft."
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Stimmen bedeuten Aufmerksamkeit
Das Argument, wer eine kleine Partei wählt, werfe seine Stimme praktisch weg, verfolgt die sogenannten "kleinen" Parteien schon immer. Mit dem Begriff sind Parteien gemeint, die bisher wenig Einfluss in Parlamenten ausüben - die also nicht im Bundestag und allenfalls in wenigen Landtagen sitzen.
Um der Skepsis zu begegnen, versucht Elke Weihusen, Direktkandidatin der Tierschutzpartei für Berlin-Mitte, im Straßenwahlkampf zu überzeugen: "Wir sagen Zweifelnden natürlich: Ihre Stimme ist keine weggeworfene Stimme. Denn: Je mehr Stimmen wir bekommen, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen wir – und desto mehr sehen auch die anderen, sogenannten etablierten Parteien, dass unsere Themen von der Bevölkerung ja gewünscht sind." Ihre Partei fordert unter anderem ein Ende von Massentierhaltung, mehr staatlichen Wohnungsbau sowie einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
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Stimmen können auch finanziell helfen
"Ganz verschenkt ist die Stimme für eine kleine Partei nicht", sagt Robert auch Vehrkamp, Demokratieforscher der Bertelsmannstiftung, in der rbb24 Abendschau. Er schränkt aber ein: "Wählerinnen und Wähler kleiner Parteien müssen wissen, dass sie eben nicht an der Mandatsverteilung im Bundestag mitwirken."
Eine Stimme für kleine Partei könne dieser jedoch finanziell helfen: Sobald sie mindestens 0,5 Prozent der gültigen Zweitstimmen erhält, hat sie Anspruch auf die staatliche Parteienfinanzierung. "Das ermöglicht dann auch kleinen Parteien, in Zukunft präsent zu sein, Plakate und Veranstaltungen zu finanzieren – und damit weiter am öffentlichen Dialog teilzunehmen", so Vehrkamp.
Provozierende Plakate und Social-Media-Wahlkampf
Bis zur Wahl am 23. Februar ist ein Hauptziel für die kleinen Parteien, möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Satire-Partei "Die PARTEI" setzt dafür einmal mehr auf Provokation. Neben dem schon viel in sozialen Medien diskutierten Wahlplakat mit der Aufschrift "Der nächste Kanzler wird ein Arschloch" hängt die Partei zudem Motive auf, auf denen das Bild eines Kindersoldaten sowie die Aufschrift "Kinder stark machen" zu sehen ist.
Die pro-europäische Partei Volt setzt einen Schwerpunkt auf den Social-Media-Wahlkampf. Die Partei will die Verwaltung stärker digitalisieren, den Bildungsföderalismus abschaffen und klimaschädliche Subventionen beenden. Doch mit ihren Themen kann sie wie alle "Kleinen" im Wahlkampf kaum durchdringen. In der zugespitzten Migrationsdebatte, die andere Themen weitgehend überlagert, sieht der Berliner Spitzenkandidat von Volt, Damian Boeselager, aber auch eine Chance: "Ich glaube, dass wir gerade auch, wenn Parteien ihre Wählerinnen und Wähler eher unzufrieden machen, eine große Chance haben, da Stimmen abzugreifen."
18 Parteien auf dem Berliner Wahlzettel
Zur Bundestagswahl treten in Berlin 18 Parteien an. Sieben dürften den meisten Wahlberechtigten bekannt sein: CDU, SPD, AfD, Grüne, FDP, Die Linke, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zusätzlich stehen elf weitere Parteien in folgender Reihenfolge auf dem Stimmzettel:
- Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei)
- Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI)
- Die Gerechtigkeitspartei – Team Todenhöfer
- Freie Wähler
- Volt Deutschland
- Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)
- Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)
- Sozialistische Gleichheitspartei, Vierte Internationale (SGP)
- Bündnis Deutschland
- MERA25 – Gemeinsam für Europäische Unabhängigkeit
- Partei des Fortschritts (PdF)
Insgesamt sind das sechs Parteien weniger als bei der Bundestagswahl 2021. Das liegt vor allem daran, dass einige kleine Parteien es nicht geschafft haben, die vorgeschriebenen 2.000 Unterstützungsunterschriften zu sammeln. Parteien, die seit der letzten Wahl nicht ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag vertreten waren, sind zum Unterschriftensammeln verpflichtet. Doch wegen der vorgezogenen Wahl waren die Fristen diesmal besonders knapp. Zu wenige Unterschriften reichten die Parteien die Basis, die ökologisch-demokratische Partei (ödp), die Partei der Humanisten, die Piraten und die Werte-Union ein.
Stimmenanteil der kleinen Parteien beeinflusst Sitzverteilung
Im letzten BerlinTrend von infratest dimap im Auftrag von rbb24 Abendschau und rbb 88.8 im November 2024 sagten acht Prozent der Befragten, sie planen eine der sogenannten sonstigen Parteien zu wählen. "Die Vielfalt in der Gesellschaft nimmt zu – und das bildet sich in den letzten Jahren eben auch in unserem Parteiensystem ab", bewertet Robert Vehrkamp von der Bertelsmannstiftung diese Entwicklung. "Das Parteiensystem pluralisiert und segmentiert sich stärker. Das ist erstmal auch nichts Negatives."
Wie viele Zweitstimmen die kleinen Parteien, die es nicht in den Bundestag schaffen, am Ende wirklich bekommen, beeinflusst auch die Machtverhältnisse im Parlament. Ein hohes Ergebnis bedeutet, dass die nötige absolute Mehrheit für eine Regierungsbildung sinkt. Liegen die Sonstigen etwa bei deutlich über zehn Prozent, könnte es sein, dass eine Regierung mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erreichen kann.
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Prozenthürde abschaffen oder Ersatzstimme einführen?
Um die Chancen der kleinen Parteien bei künftigen Bundestagswahlen zu erhöhen, wurde in der Vergangenheit immer wieder über eine Absenkung oder Abschaffung der Fünfprozenthürde diskutiert. "Je mehr Parteien unter der Fünfprozenthürde bleiben, umso mehr Stimmen sind dann nicht wirklich repräsentiert", sagt der Demokratieforscher Vehrkamp. Er rechne deshalb damit, dass in den kommenden Jahren die Debatte über den Fortbestand der Hürde wieder aufleben könnte, "wenn es viele kleine Parteien und einen großen Anteil der Wählerinnen und Wähler betrifft".
Ein anderer Vorschlag – die sogenannte Ersatzstimme – findet bisher keinen breiten Widerhall. Die Idee dahinter ist, das Wahlrecht um eine zusätzliche Stimme zu ergänzen, mit der Wählerinnen und Wähler beispielsweise eine Kleinpartei als erste Präferenz wählen könnten. Falls diese Partei dann nicht in den Bundestag kommt, ginge die Stimme direkt an eine zweite Partei, die die- oder derjenige als Ersatz gewählt hat. Das könnte dann eine etablierte Partei sein, die es sicher ins Parlament schafft.
Begriff "kleine Parteien" ist umstritten
Die betroffenen Parteien selbst kritisieren übrigens die Bezeichnungen "kleine" oder "sonstige" Parteien. Aus ihrer Sicht suggerieren diese Begriffe, die damit beschriebenen Parteien seien weniger wichtig. Zudem würden "sonstige" Parteien, auch durch die grafische Darstellung in den üblichen Wahlgrafiken, künstlich klein gehalten.
Die Frage der Wahlgrafiken ist aus Sicht einiger betroffener Parteien so wichtig, dass beispielsweise "Volt" als Ziel ausgibt, mindestens drei Prozent der Zweitstimmen zu bekommen. Damit wäre die Partei am Wahlabend mit einem eigenen Balken in den Grafiken vertreten – und würde so auf einen Schlag einer viel breiteren Öffentlichkeit bekannt werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.02.2025, 19:30 Uhr