
Berlin "Die Grundlage ist, dass die Frauen uns vertrauen" - Stadtteilmütter in Marzahn-Hellersdorf
Stadtteilmütter waren ursprünglich in Neukölln unterwegs. Mittlerweile helfen sie Familien in ganz Berlin. Auch bei der Integration von Geflüchteten in Marzahn-Hellersdorf spielen sie eine große Rolle – um die Finanzierung müssen sie aber immer wieder bangen. Von Anja Herr
Rania Khadaj muss noch Extra-Stühle holen, es sind mehr Leute ins Café Laloka in Hellersdorf gekommen als gedacht. An ihrem roten Schal ist klar zu erkennen: Rania Khadaj ist Stadtteilmutter. Ihre Aufgabe ist es, Familien dabei zu helfen, hier gut anzukommen, sich zu integrieren. Und ein offenes Angebot wie das Strickcafé mittwochs im Laloka ist oft der erste Schritt, um sich überhaupt kennenzulernen. Etwa 20 Frauen sitzen um einen Tisch, Stricknadeln in der Hand, und unterhalten sich – die meisten auf Arabisch, manche können auch schon etwas Deutsch.
Vor sieben Jahren ist Rania Khadaj selbst mit ihrer Familie aus Syrien nach Berlin geflohen. Die 52-Jährige weiß, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land anzukommen. Sie ist gelernte Hebamme, erzählt, dass sie gerne zuhört und hilft. Deshalb entschied sie sich, einen sechsmonatigen Kurs bei der Diakonie zur Stadtteilmutter zu absolvieren und jetzt anderen bei der Integration zu helfen. Sie wolle "eine Brücke" sein, sagt sie, zwischen Geflüchteten und deren neuer Umgebung. Das Café sei ein erster Anknüpfungspunkt: "Die Grundlage ist erstmal, dass uns die Frauen vertrauen." Wenn die Familien einverstanden sind, besucht sie sie dann auch in ihren Unterkünften, um sie zu beraten.
"So was wie eine beste Freundin"
Derzeit betreut Rania Khadaj in Marzahn-Hellersdorf etwa 30 Familien, viele leben in den Unterkünften für Geflüchtete. Nicht alle seien offen für ihre Hilfe, sagt sie. Manche aber schon: die 30-jährige Amal Hasan zum Beispiel, die auch das Strickcafé besucht. Amal Hasan floh mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern nach Berlin. Für den kleinen Sohn Kazim hat Stadtteilmutter Rania Khadaj einen Kita-Platz organisiert, so kann seine Mutter nun einen Deutsch-Kurs beginnen.

Die zehnjährige Tochter Jood hat zu Rania Khadaj eine enge Bindung.
Die zehnjährige Tochter Jood besucht die vierte Klasse einer Grundschule, Stadtteilmutter Rania Khadaj ist mit der Schule in Kontakt und hilft, wenn Informationen wegen der Sprachbarriere untergehen. Amal Hasans Mann hat mittlerweile Arbeit gefunden in einem Friseurladen. Sie konnten aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Wohnheim für Geflüchtete.
Die vierköpfige Familie hat dort nicht viel Platz, aber mehr Privatsphäre als vorher. Vieles hat sich verbessert, seit Amal Hasan Stadtteilmutter Rania Khadaj kennengelernt hat. Ohne sie wäre die Familie wohl nicht da, wo sie jetzt ist. Auch kleine Dinge helfen weiter, wie eine Anmeldung in der Bibliothek. Tochter Jood, die die vierte Klasse einer Grundschule besucht, leiht dort regelmäßig Bücher aus, spricht mittlerweile gut Deutsch und sagt über Rania Khadaj: "Sie ist für mich so was wie eine beste Freundin."

„Die Rolle der Frau ist hier eine andere“
Ursprünglich waren Stadtteilmütter vor allem in Neukölln unterwegs. Ziel war es beim Projektstart im Oktober 2004, Familien mit Migrationshintergrund zu erreichen, die isoliert lebten, abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Mittlerweile gibt es insgesamt 270 Stadtteilmütter in allen Berliner Bezirken: in Marzahn-Hellersdorf sind es 26, die mehr als 15 Sprachen sprechen – darunter Arabisch, Vietnamesisch, Farsi und Russisch.

Natalie Hamborg ist beim Träger pad gGmbh für die Koordination der Stadtteilmütter zuständig. Gerade auf Grund der vielen Geflüchteten in Marzahn-Hellersdorf sei das Angebot der Stadtteilmütter enorm wichtig, sagt sie. Es kämen viele Familien mit kleinen Kindern in die Unterkünfte, von denen sich einige in unmittelbarer Nähe des Cafés in der Schneeberger Straße befinden. Die Stadtteilmütter seien selbst das beste Beispiel, dass Integration funktionieren könne, sagt Natalie Hamborg. Ihre Vorbildfunktion sei wichtig, etwa: "Wenn man jetzt mal die Rolle der Frau nimmt, die ist hier in Deutschland natürlich eine ganz andere als in manchen anderen Ländern."
An den Stadtteilmüttern könnten die Frauen sehen, wie sie sich hier entwickeln können, welche Rechte sie haben, welche Möglichkeiten es für sie gibt. Auch gebe es Unterschiede in der Kindererziehung. Die Stadtteilmütter könnten hier sinnvolle Tipps geben, auf Beratungsmöglichkeiten hinweisen und Kontakte zu Kitas und Schulen vermitteln.

Derzeit betreut Rania Khadaj in Marzahn-Hellersdorf etwa 30 Familien.
Nur befristete Verträge
Was laut Hamborg immer wieder problematisch ist: die unklare Finanzierung. Zwar hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vor Kurzem bekanntgegeben, dass die Finanzierung der Stadtteilmütter vorerst gesichert sei. Doch diese Zusage gilt erstmal nur bis Ende 2025. "Wir müssen jedes Jahr aufs Neue schauen: Wie machen wir weiter, geht's überhaupt weiter?“, berichtet Hamborg.
Das sei mitunter problematisch, eine unangenehme Situation. In manchen Fällen gehe es auch um den Aufenthaltsstatus der Frauen - ein unbefristeter Vollzeitjob wäre für sie hilfreicher als eine befristete Stelle. Dennoch sei es ein Fortschritt, dass der Senat entschieden hat, alle Stadtteilmütter ins Landesprogramm zu überführen, sie werden somit alle sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Die Senatsverwaltung für Bildung teilte dem rbb mit, sie strebe eine Finanzierung der Stadtteilmütter auch über 2025 hinaus an. Mehrere Evaluationen des Programms würden zeigen, dass die Arbeit der Stadtteilmütter besonders effektiv sei und auf diese Weise niedrigschwellig Familien aus verschiedenen Kulturkreisen erreicht werden könnten.

Entscheidende Rolle der Stadtteilmütter seit Anstieg der Geflüchteten
Besonders seit dem Anstieg der Geflüchteten in den Jahren 2015/2016 und 2022/2023 spielten Stadtteilmütter eine entscheidende Rolle bei der Integration, so die Senatsverwaltung. Die Notunterkünfte für Flüchtlinge an den ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof werden seit dem vergangenen Jahr ebenfalls von Stadtteilmüttern unterstützt.
Bei den Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2026/2027 werde die Weiterfinanzierung der Stadtteilmütter hohe Priorität haben, teilte die Senatsverwaltung mit. Ziel sei es, das Angebot noch zu erweitern – von jetzt 270 auf 315 Stadtteilmütter in den kommenden Jahren.
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