Die Regisseurin Mascha Schilinski (undatierte Aufnahme). (Quelle: dpa-Bildfunk/Zentral Studio/Fabian Gamper)

Berlin Filmregisseurin Mascha Schilinski mit ihrem Film "In die Sonne schauen" im Wettbewerb von Cannes: "Das ist ein Filmemachertraum"

Stand: 11.05.2025 08:11 Uhr

Von Berlin über die Altmark direkt an die Croisette: Die Regisseurin Mascha Schilinski ist mit ihrem Film als einzige deutsche Regisseurin im Wettbewerb von Cannes. Anna Wollner spricht mit ihr über ein Zentralmotiv des Films: unsere Erinnerung.

rbb: Hallo Frau Schilinski, wie aufgeregt sind Sie aktuell?
 
Mascha Schilinski: Sehr aufgeregt. Ich freue mich wahnsinnig, aber die Aufregung überwiegt. Wir haben uns natürlich gewünscht, auf einem großen Festival zu laufen, ich finde auch, der Film hat es verdient, dort gezeigt und gesehen zu werden. Aber gerechnet habe ich nicht wirklich damit. Das ist ein Filmemachertraum, dass uns das jetzt passiert, ist großartig.

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Wie war das, als Sie die Nachricht bekommen haben, dass ihr Film im Wettbewerb von Cannes laufen wird?
 
Ich konnte es erst überhaupt nicht glauben. Ich habe immer und immer wieder die offizielle Mail vom Festival gelesen, mit meiner Produzentin telefoniert, die genauso gekreischt hat wie ich. Ich musste erstmal nachlesen, ob "Official Selection" irgendeine Nebenreihe ist oder wirklich der Wettbewerb.

Ich musste erstmal nachlesen, ob "Official Selection" irgendeine Nebenreihe ist oder wirklich der Wettbewerb.

Haben Sie sich denn explizit für den Wettbewerb beworben?
 
Wir haben den Film bei allen drei A-Festivals eingereicht. Also in Berlin, Venedig und Cannes. Wir wussten noch nicht mal ob die jeweiligen Auswahlselektionen den Film überhaupt angucken. Niemand kennt uns. Aber kurz vor Weihnachten haben wir die Nachricht bekommen, wo drin stand, herzlichen Glückwunsch, ihr seid im Wettbewerb von Cannes.

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Vor Weihnachten schon?
 
Ja, kurz vor Weihnachten, natürlich mit dem Hinweis, dass wir mit niemandem drüber reden dürfen.

"In die Sonne schauen" ist ein Vier-Generationen Porträt über vier Frauen auf einem Vierseithof. Was wollten Sie erzählen?
 
Der Film springt auf assoziative Weise durch verschiedene Zeiten, zeigt ein Jahrhundert Leben auf einem Hof. Wir sehen ganz radikal den subjektiven Blick der Protagonistinnen, im Grunde genommen nur Ausschnitte ihres Lebens. Der Film funktioniert wie eine Erinnerung, unzusammenhängend, assoziativ. Man kann sich nie sicher sein, ob man sich wirklich an das erinnert, was so geschehen ist. Wir spielen bewusst mit Erinnerungslücken, gehen der Frage nach, wo Erinnerungen verloren gegangen sind. Es zieht sich eine Frage durch den Film: Was lebt in uns weiter, was hat sich über Generationen hinweg in unseren Körpern manifestiert, was prägt uns, wovon wir vielleicht gar keine Ahnung haben, dass es Einfluss auf uns hat, weil wir niemals erfahren werden, was irgendwie bei jemandem geschehen ist?

Filmstill: "In die Sonne schauen" von Mascha Schilinski. (Quelle: ZDF / Studio Zentral / Fabian Gamper)

In-die-Sonne-schauen

Was war der erste Impuls für die Geschichte?
 
Der erste Impuls war eigentlich der Hof, auf dem wir gedreht haben. Gemeinsam mit meiner Ko-Autorin Louise Peter saß ich auf diesem Hof, wir haben eigentlich beide jeweils andere Sachen geschrieben. Aber dieser Hof hat geatmet. Wenn wir durch die Räume gegangen sind, haben wir die Jahrhunderte gespürt. Da kam eine ganz alte Kindheitsfrage von mir auf. Ich bin in einer normalen Berliner Altbauwohnung groß geworden, ich habe mich als Kind immer schon gefragt, was in diesen Wänden wohl alles schon passiert ist, wer genau schon mal an dieser Stelle saß, an der ich jetzt sitze. Was für Schicksale hier passiert sind, was die Menschen hier schon alles erlebt und gefühlt haben. Ganz simple Gedanken, die mich auf dem Hof eingeholt haben. Wer saß hier auf der Bank, auf der ich jetzt sitze, was ist hier schon alles passiert, was bleibt davon?

Wir spielen bewusst mit Erinnerungslücken, gehen der Frage nach, wo Erinnerungen verloren gegangen sind.

Wo steht dieser Hof?
 
In der Altmark, in Neulingen, das ist ein kleines Dorf. Ohne das Dorf und die Unterstützung der Leute hätte es unseren Film nicht gegeben. Da hat jeder mitgeholfen: von Gerätschaften aus der Scheune rausräumen bis hin zu der Frage, wie man vor hundert Jahren einen Acker gepflügt hat.

In deinem ersten Film "Die Tochter" geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung, hier geht es um vier Frauen. Wie wichtig ist dir der genuin weibliche Blick?
 
Sehr wichtig, weil er viel zu selten vorkommt. Wobei ich mir die Frage eigentlich gar nicht stelle, weil ich einfach meinen Blick erzähle, meinen und den meiner Ko-Autorin Louise Peter. Wir haben schnell gemerkt, dass wir darüber erzählen wollen, worüber eben noch nicht viel erzählt worden ist. Es geht im Film viel um Blicke, welchen Blick Frauen über ein Jahrhundert hinweg ausgesetzt sind, wie es sich heute anfühlt und auch wie sich das weiterträgt, in die Körper einbrennt. Das kam ganz automatisch.

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Haben Sie grob eine Ahnung, was in Cannes auf sie zukommt?
 
Bisher noch nicht wirklich, ich habe einen groben Überblick bekommen, weiß, wann der Film läuft. Aktuell sind wir noch damit beschäftigt, wie das alles mit Baby vor Ort gehen wird. Ansonsten schmeiße ich mich da einfach rein und gucke, was passiert.

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