Archivbild: Gehwege mit Bernburger Mosaiksteinen. (Quelle: Christina Kautz)

Berlin Berliner Gehwege: Nicht immer ein hartes Pflaster

Stand: 31.03.2025 09:10 Uhr

Seit 150 Jahren prägen Mosaiksteine die Berliner Gehwege. Auch ansonsten nutzt die Stadt oft kunstvoll gesetzte Pflasterflächen. Die Steine geraten aber zunehmend unter Druck, der Boden versackt manchmal. Trotzdem spricht einiges für sie. Von Hasan Gökkaya

In einer Nebenstraße unweit vom Bahnhof Neukölln ist der Gehweg etwas eingeschränkt. Nicht seit Tagen, nicht seit Wochen, sondern seit Monaten. Eine Zaunschranke macht klar: Vorsicht, Gehwegschäden! Der Boden, der mit kleinen Steinen gedeckt ist, ist versackt.
 
An der Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg, unweit vom Checkpoint Charlie, wummert es regelmäßig. "Trrrr trrrr trrr" ist zu hören, wenn morgens Rollbehälter mit Waren über den Boden rattern, um die Lager der Geschäfte zu füllen. Die Folge: Der Boden gibt auch hier nach. Die kleinen Steine, die auf den Gehweg gepflastert sind, halten dem Druck nicht stand, verlieren ihren Halt oder wie Steinsetzer sagen würden: ihre Schönheit.
 
Was in Neukölln und Kreuzberg passiert, passiert auch anderswo in dieser wachsenden Stadt. Der Boden, der uns täglich trägt, muss erneuert werden, Schrankenzäune werden aufgestellt und Pflasterer bestellt. Wo nämlich kein Beton gegossen wird und großflächige Platten in Reihe nebeneinander in den Boden verleibt werden, kommen Steinsetzer und setzen die kleinen Steine, die wir im Alltag fast gar nicht wahrnehmen, weil wir selten aufmerksam nach unten schauen, in Handarbeit ein. Stein für Stein, über Stunden, Tage oder Wochen.

Das quadratische Raster auf dem neugestalteten Gendarmenmarkt in Berlin. (Quelle: rbb24 Abendschau)
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Kenner sprechen von "Schweinebäuchen" und Bernburger Mosaiksteinen

Viele Straßen in Berlin sind vollständig mit kleinen Steinen gepflastert, oft sind sie aber in Berlin auf Gehwegen traditionell links und rechts verlegt. In der Mitte liegen dann breite Granitplatten, die "Schweinebäuche" genannt werden, weil sie auf der Bodenseite noch eine ordentliche Masse haben, die sich im Sand absetzt.
 
Die kleinen Steine links und rechts, also am Ober- und Unterstreifen, sehen nicht nur ganz anders aus als jene in der Mitte, sondern fühlen sich auch anders an. Von einer "taktilen Aufwertung" sprechen Kenner.
 
Und wer Kenner ist, redet nicht von kleinen Steinen, sondern zum Beispiel von Basaltsteinen, von Granit-Kleinsteinpflastern oder Bernburger Mosaiksteinen. Sie alle sind groß und widerstandsfähig genug, um von uns Menschen getreten zu werden, und doch so klein, dass Hunderte in eine Schubkarre passen können - aber auch so handlich, dass sie bei Demonstrationen schon mal als Wurfmittel gegen Polizisten genutzt werden.

Kopfsteinpflaster in Berlin, aufgenommen im März 2025. (Quelle: rbb24/Hasan Gökkaya)

Links liegt noch Sand auf dem Gehweg. Kurz zuvor waren Steinsetzer am Werk, um die aus dem Verbund gerissenen Kleinsteinpflaster wieder zu ordnen. In der Mitte ein Gehweg vollständig gepflastert mit kleinen Steinen, die ohne Mörtel in den Fugen auskommen. Rechts ein Weg mit typischem Ober- und Unterstreifen.

Mosaiksteine leisten wesentlichen Teil zur Barrierefreiheit

Ein genauerer Blick auf den Boden zeigt: Berlin und die kleinen Steine haben eine lange Geschichte, und die macht sich auch bemerkbar. Laut Statistik gibt es im Bezirk Mitte eine Mosaiksteinfläche von 1.200.000 Quadratmetern auf Gehwegen. Das sind etwa 168 Fußballfelder oder ein Drittel des Tempelhofer Felds. In Neukölln wird die Quadratmeterzahl über alle Mosaikpflasterflächen in Gehwegen auf rund 787.000 Quadratmetern geschätzt, etwa 110 Fußballfelder oder ein Viertel des Tempelhofer Felds. Die Zahlen sollten mit Vorsicht genossen werden, möglicherweise bezieht der eine Bezirk mehr Straßen in die Rechnung ein als der andere.
 
Einigkeit besteht aber in den Vorzügen, die gesehen werden: "Die Vorteile hängen vom Einsatzzweck ab. Sie sind ideal geeignet um kleinere oder lang gezogende, schmale Flächen auszugleichen oder um Einbauten in großen Plattenflächen besser einzufassen. Sie eignen sich ebenso dazu, kurvige Bereiche auszupflastern", erklärt das Bezirksamt Neukölln. In der Unterhaltung seien diese Mosaik-Flächen vergleichsweise aber teuer, da die Verlegung "gute Handwerkskunst des Steinsetzers" voraussetze und lohnintensiv sei. Ein guter Steinsetzer könne etwa sechs bis sieben Quadratmeter am Tag verlegen.
 
Nicht zu unterschätzen: Vor allem die kleinen Mosaiksteine leisten einen wesentlichen Teil zur Barrierefreiheit. Sehbehinderte Menschen etwa fühlen mit ihrem Taststock die unterschiedlichen Oberflächen, die die Mosaiksteine von den "Schweinebäuchen", die in der Mittte der Gehwege liegen, unterscheiden. Sehbehinderte Menschen können sich so mit ihrem Stock besser im öffentlichen Raum orientieren, daher auch die "taktile Aufwertung".

Straßen-Absperrung steht im Winter in Berlin auf dem Bürgersteig. (Quelle: rbb/Gökkaya)

Auch das gehört zum Stadtbild: Schrankenzäune um den versackten Boden. Hier in Neukölln ist der Gehweg mit einem Mix aus Basalt- und Granitsteinen gepflastert.

Preußischer Stadtplaner setzt heutigen Fußabdruck

Berühmt sind in Berlin die Bernburger Mosaiksteine, die älter als die älteste Berlinerin und der älteste Berliner sind. Zu tun hat das mit einem Herrn: James Hobrecht (1825–1902).
 
Als preußischer Stadtplaner war der Mann maßgeblich für die Entwicklung Berlins im 19. Jahrhundert verantwortlich. Sein berühmtester Beitrag: der Hobrecht-Plan von 1862, der das Wachstum der Stadt lenkte. Ein rasterartiges Straßensystem mit großen Wohnquartieren und der Einfluss auf die Gehwege zeichneten den Plan unter anderem aus. Er legte die Grundlage für die typische Mosaikpflasterung. Oder wie die Landschaftsarchitektin Christina Kautz sagt: "Der Hobrecht-Plan hat dem heutigen Berlin seinen charakteristischen Fußabdruck verpasst."
 
Kautz, die auch schon über die "Schönheit" der Berliner Gehwege geschrieben hat, zeigt sich vom Nutzen der Mosaiksteine überzeugt. "Man kann auf die Umgebung viel besser reagieren als mit anderem Pflaster." Und ja, die kleinen Steine geben unter Druck mal nach, aber auch Beton gehe zu Bruch, und dann werde das Bild doch sehr schnell uneinheitlich, sagt Kautz.

Vorteile bei Reparaturen und Versickerung

Dass auf vielen Gehwegen der nur fünf bis sieben Zentimeter große Mosaikstein links und rechts der Gehbahn verlegt wird, sei durch seine Oberflächenstruktur taktil erfahrbar und helfe damit nicht nur sehschwachen Menschen. "Unter diesen Mosaikpflasterstreifen befinden sich in der Regel auch Leitungen. Bei Reparaturarbeiten können die Mosaiksteine einfach aus dem Sandbett herausgenommen und später problemlos wieder eingesetzt werden." Da kein Mörtel genutzt wird, könne das Regenwasser zudem besser versickern, im Bestfall bis ins Grundwasser.
 
Manchmal spielen aber auch denkmalrechtliche Belange eine Rolle spielen. Beispielhaft für Neukölln: Die Gehwege am Richardplatz, wo Bernburger-Mosaiksteine noch großflächig liegen. Und anders als der Titel dieses Artikel vermuten lässt, sind in Berlin aufgrund von Schäden längst nicht alle Gehwege nutzbar, wie etwa Rollstuhlfahrer:innen immer wieder feststellen müssen.

Archivbild: Gehwege mit Bernburger Mosaiksteinen. (Quelle: Christina Kautz)

Wenn alles harmoniert: Ein Gehweg in Berlin mit Ober- und Unterstreifen an den Seiten und "Schweinebäuchen" in der Mitte.

Landschaftsarchitektin: Was Autofahrer machen, ist "Vandalismus"

Dass die kleinen Steine Pflege brauchen, sei unumgänglich in Berlin, da immer mehr Autofahrer auf Gehwegen parken würden, sagt Landschaftsarchitektin Christina Kautz. Und weil das Mosaikpflaster nicht für eine Befahrung durch Autos ausgelegt ist, gibt die Pflasterdecke unter großem Druck auch einmal nach "oder reißt durch Servolenkung sogar auf". Wenn Autofahrer unerlaubt auf Gehwegen parken, sei das eigentlich schon "Vandalismus". Übrigens, aus diesem Grund wird Kautz zufolge auf Gehwegüberfahrten und Parkplätzen größeres Pflaster in Mörtel verlegt.

 
Die Bernburger Mosaiksteine wurde der Landschaftsarchitektin zufolge schon in der Gründerzeit ab 1870 verlegt. Die Mosaiksteine stammen aus einem Steinbruch bei Bernburg in Sachsen-Anhalt. Rund 60 Jahre später kam dann das sogenannte Kleinsteinpflaster aus Granit dazu. "Aktuell werden stattdessen auch Mosaikpflasterflächen aus Granitstein hergestellt. Hier gibt es verschiedene - auch außereuropäische - Herkunftsquellen", erklärt der Bezirk Neukölln.
 
Zu den Kosten konnten die Bezirke auf Nachfrage von rbb|24 keine Antwort geben. So oder so: "Auch Pflastersteine brauchen Pflege", sagt Kautz. Anders lasse sich das "großzügige Stadtbild" im Gehwegbereich nicht erhalten. Und sie sagt: "Als die Steine das erste Mal vor mehr als 150 Jahren eingesetzt wurden, mussten die Kosten von den Hausbesitzern getragen werden. Die Mosaiksteine sind also bezahlt, sie gehören uns allen und man kann sie immer wieder verwenden. Die Stadt verwaltet sie lediglich für uns."