
Berlin Gründerin von "Eltern gegen Rechts": "Ich musste diesen Schritt gehen, um aus dieser Ohnmacht rauszukommen"
Nach einem Treffen von Rechten in Potsdam gingen vor einem Jahr Hunderttausende Menschen auf die Straße. Schnell ebbte der Protest ab. Eine Mutter aus Berlin wollte das nicht hinnehmen und initiierte die "Eltern gegen Rechts". Ein Gesprächsprotokoll
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Im Frühjahr 2024 fasste Sonja, die nur ihren Vornamen nennen möchte, einen Entschluss: Sie gründete ein Bündnis gegen Rechtsradikalismus, die "Eltern gegen Rechts". War es anfangs nur eine kleine Runde engagieren sich heute rund 50 Mütter und Väter, um gegen Rechtsradikalismus einzutreten. Über Chat-Gruppen organisieren sie familienfreundliche Proteste und gehen in Berlin auf die Straße. Dabei hätte die berufstätige Mutter von drei Grundschulkindern selbst nie gedacht, dass sie einmal zur Aktivistin werden würde.

Bevor es zur Gründung von "Eltern gegen Rechts" kam, bin ich viele, viele Monate davor mit einem gewissen Unruhezustand rumgelaufen. Immer mit dem Gedanken, dass es nicht sein kann, dass wir die Entwicklungen einfach so still hinnehmen. Und dann kamen die "Correctiv"-Recherchen [Anm. d. Red.: Im November 2023 hatte "Correctiv" ein Treffen rechter Politiker in einem Potsdamer Hotel öffentlich gemacht] mit dem großen Aufschwung - alle sind auf die Straße gegangen. Und ich dachte, jetzt ist es so weit: Wir sind alle auf der Straße. So muss es sein! Aber dann ist es wieder abgeebbt und diese Leere hat mich völlig verrückt gemacht. Ich dachte, das darf jetzt einfach nicht sein, wir müssen doch weiter dranbleiben.
Das war der Moment, in dem ich gesagt habe: Jetzt muss ich selber aktiv werden. Das haben wir auch in der Familie und im Freundeskreis so gesehen und dann kam die Frage: Was machen wir? Da gibt es die Möglichkeit, sich irgendwo anzuschließen an Strukturen, die es schon gibt. Aber wir haben festgestellt, dass es eine Lücke gibt. Es gibt die "Omas gegen Rechts", die uns auch inspiriert haben, aber was ist mit den Eltern? Uns als Eltern wollten wir eine Stimme geben, weil es ja schließlich auch um die Zukunft unserer Kinder geht. So sind wir auf "Eltern gegen Rechts" gekommen.
Wir haben uns mit unserer Idee am Küchentisch zusammengesetzt und einfach angefangen. Unser Motto war: einfach machen - kein Perfektionismus. Das war wichtig - nicht monatelang planen und alles perfekt machen. Wir haben einfach direkt eine Kundgebung angemeldet und die Menschen im Kiez dazu eingeladen. Daraus ist ganz schnell ziemlich viel geworden. Heute kriegen wir täglich sehr, sehr viele Anfragen aus ganz Deutschland: Ich möchte mitmachen, was kann ich tun? Und jetzt geht es darum, dass wir diese ganzen Anfragen bündeln, die Leute vernetzen und ihnen Tipps geben, wie sie selbst aktiv werden können.

Denn diese Entwicklung, die wir im Land haben, ist gerade sehr gefährlich. Ich habe einfach die Sorge, wenn wir nicht genug tun, dass meine Kinder irgendwann im Faschismus aufwachen. Und das ist der Punkt, an dem wir gerade stehen. Die Gefahr ist real. Man muss sich vor Augen führen, dass es eine Partei gibt, die nicht rechter und konservativer ist, sondern die unsere Demokratie abschaffen will. Und es gibt diese Sorge, dass sich die Menschen daran gewöhnen. Dieser Gewöhnungseffekt bereitet mir Sorgen und Angst. Und das wollen wir nicht hinnehmen. Wir sagen: Stopp! Nein! Wir wollen in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. Wir wollen, dass die Menschenwürde weiterhin unantastbar bleibt. Wir wollen am Gleichheitsprinzip der Menschen festhalten.
Dass all das gerade angegriffen wird und auch die Politik aus dem demokratischen Spektrum so wenig dagegen tut, macht auch wütend. Aber diese Wut versuchen wir in Energie umzumünzen - in ein positives Gefühl, in ein Miteinander.
Es gibt auch verzweifelte Momente, aber ich trete dann in den Austausch mit den Menschen, mit denen ich aktiv bin und das gibt ganz viel Kraft. Das ist ganz zentral, dass wir mit dem Gefühl nicht nur bei uns bleiben, sondern in den Austausch gehen. Und im besten Fall nicht nur in den Austausch, sondern auch gemeinsam aktiv werden. Das ist das Rezept, das wir gerade alle brauchen. Das Bündnis zu gründen war genau der Schritt, den ich gehen musste, auch für mich selbst, um aus dieser Ohnmacht rauszukommen, um mir Kraft zu geben und auch uns allen miteinander Kraft zu geben.
Es kann auch sehr zeitintensiv sein. Ich bin berufstätig und habe drei Kinder, was es manchmal schwierig macht, alles unter einen Hut zu bekommen. Aber ich schaffe mir die Freiräume. Wir schaffen es auch als Familie zusammen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich lieber etwas anderes machen. Hobbys verfolgen oder so. Aber ich mache das, weil wir es gerade machen müssen! Nicht weil mir langweilig war.
Gesprächsprotokoll: Marcel Trocoli Castro, rbb24 Abendschau