
Berlin Interview | Berliner Tiertafel: "Ein Haustier zu haben, ist mittlerweile Luxus"
Alles ist teurer geworden. Das gilt auch für Tierfutter und tierärztliche Leistungen. Für viele Haustierhalter, die Transferleistungen beziehen oder unterdurchschnittlich verdienen, ist das ein Problem. Viele von ihnen melden sich bei der Berliner Tiertafel.
rbb|24: Hallo Frau Hüttmann, kann sich jemand, der unterdurchschnittlich verdient, ein Haustier leisten?
Linda Hüttmann: Nur, wenn er es nicht ausreichend versorgt und tiermedizinische Behandlungen außen vor lässt. Wenn man dann Billigfutter füttert und sich selbst nichts leistet, kann man sich ein Tier halten. Wer ein Tier artgerecht versorgen und regelmäßig beim Tierarzt vorstellen will, kann es sich unter den Umständen nicht leisten.
Ist ein Haustier nicht gerade für Menschen, die nicht so gut verdienen und dadurch vielleicht weniger soziale Teilhabe haben, hilfreich?
So ist es. Und gerade in einer Großstadt wie Berlin ist man ja sowieso schon recht anonym. Für viele Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder in Rente gegangen sind und die dadurch kaum noch soziale Kontakte haben, ist ein Haustier ein Ankerpunkt. Und oft der einzige Grund, um überhaupt noch rauszugehen und andere Leute zu treffen. Für sie ist es total wichtig, ihr Haustier zu behalten.
Zu uns kommen auch viele aus der Ukraine mit ihren Haustieren. Sie sind mit ihren Tieren hierher geflüchtet. Seit Kriegsbeginn haben sich über 1.000 Tierhalter aus der Ukraine bei uns angemeldet, 250 davon kommen noch regelmäßig.
Können Sie grob einschätzen, wie viel teurer es in den vergangenen Jahren geworden ist, ein Haustier zu halten?
Wir haben vor einiger Zeit die Inflation beim Tierfutter errechnet. Da gab es mit die höchsten Preissteigerungen in den vergangenen drei Jahren. Außerdem gab es Ende 2022 eine Überarbeitung der Gebührenordnung für die Tierärzte. Da haben sich manche Preise fast verdoppelt.
Nicht nur das Füttern des Tieres, sondern auch die Gesunderhaltung sind viel teurer geworden? Werden Tiere auch mit dem Älterwerden immer teurer für ihre Besitzer?
Ja, werden sie. Gerade wenn es dann irgendwann um Dinge wie Spezialfutter geht oder ein Tier regelmäßig Medikamente braucht. Da kommt man dann ganz schnell an seine Grenzen.
Gibt es Tiere, die besonders günstig zu halten sind? Wellensittiche zum Beispiel?
Hamster würde ich sagen. Denn sie haben eine relativ kurze Lebensdauer und das Investitionsvolumen am Beginn für die Erstausstattung wie Käfig und Futterschalen ist nicht so groß. Sie haben keinen besonders hohen Futterbedarf und fressen außerdem auch Gemüse und Obst – das kann man von sich selbst abgeben. Wellensittiche sind, glaube ich, eher nicht so günstig – sie werden auch relativ alt und da muss man auch den Zeithorizont sehen. Also wie lange man regelmäßig Geld für das Tier ausgeben muss.
Wer sich ein Tier anschafft, sollte sich immer überlegen, vielleicht eine Versicherung für die Tierarztkosten abzuschließen.
Zu uns kommen auch Menschen, die berufstätig sind und deren Einkommen nicht dafür ausreicht, um alle in der Familie zu versorgen. Oft gehen sie für sich zur Tafel und für ihr Tier zur Tiertafel
Merken Sie die Teuerungen auch bei der Tiertafel? Kommen mehr oder andere Leute als früher?
Wir merken das ganz klar. Viele Leute sagen, dass sie es bisher allein geschafft haben mit dem Geld, das sie zur Verfügung haben. Für Transferleistungsempfänger gibt es ja einen festen Regelsatz. Wenn man sich das Geld einteilt, kann beziehungsweise konnte man Tierfutter davon abknappsen. Durch die Preissteigerungen auf allen Ebenen müssen die Leute dieses Geld anderweitig aufbrauchen. Da bleibt für das Tier nichts mehr übrig. Dadurch haben viele den Weg zu uns gesucht. Das erzählen uns viele. Das betrifft nicht nur Leute im Transfersleistungsbezug. Zu uns kommen auch Menschen, die berufstätig sind und deren Einkommen nicht dafür ausreicht, um alle in der Familie zu versorgen. Oft gehen sie für sich zur Tafel und für ihr Tier zur Tiertafel.
Betrifft das besonders die Menschen mit beispielsweise großen Hunden, weil die besonders viel fressen?
Das kann ich so nicht sagen. Es melden sich auch Leute, die nur ein paar Nager haben.
Sie bei der Tiertafel haben ja früher auch Tierarztkosten mit übernommen. Das geht für Sie jetzt finanziell nicht mehr. Was kann jemand tun, der sich den Tierarzt für sein Tier nicht leisten kann?
Da muss man dann wirklich rumtelefonieren. Bei den Tierarzt-Preisen gibt es große Unterschiede. Es kommt darauf an, ob jemand nach dem einfachen oder dem dreifachen Satz abrechnet. Wir empfehlen den Tierhaltern da, die Praxen anzurufen und die Preise zu vergleichen. Und wenn eine Operation oder anderweitig aufwändigere Behandlung ansteht, für die mehrere hundert oder tausend Euro fällig werden, kann man oft auch vorab eine Ratenzahlung vereinbaren. So hat man die Möglichkeit, große Summen in kleinen Raten abzustottern. Für die Menschen, die mit ihren Tieren zu uns kommen, haben wir ein gewisses Budget, um die Jahresimpfungen für die Tiere zu finanzieren. Und in Notfällen – bei einem Beinbruch oder wenn Krebs diagnostiziert wird – können wir Spendensammlungen ins Leben rufen, um zu helfen. Da geht es um so große Summen, dass es sonst für die Menschen fast unmöglich wäre, sie aufzubringen.
Wir haben gerade dieser Tage in den Nachrichten gemeldet, dass in Berlin im Jahr mehr als 2.000 Haustiere ohne Besitzer auf der Straße gefunden werden. Denken Sie, dass manche dieser Menschen aus ihrer finanziellen Not heraus die Tiere auch aussetzen?
Das kann man nur vermuten. Ich habe mich mit dem Tierheim ausgetauscht, aus welchen Gründen Menschen ihre Tiere abgeben. Dazu gibt es hier aber keine Erfassung. Aus Österreich habe ich Material bekommen und da war deutlich, dass wirtschaftliche Gründe – neben Überforderung - eine große Rolle spielen. Ein Hinderungsgrund, sie im Tierheim abzugeben, ist sicherlich, dass sich die Menschen schämen. Aber auch die Gebühr, die für die Abgabe ans Tierheim erhoben wird. Wenn sich jemand diese Gebühr nicht leisten kann, ist die Lösung dann mitunter, das Tier auszusetzen. Das sind für mich aber Menschen, die ihr Tier nicht wirklich lieben. Wer ein Familienmitglied aussetzt, muss schon sehr verzweifelt oder gefühlskalt sein.
Haustiere sind also, insbesondere wenn das mit den Preisentwicklungen so weitergeht, nur noch was für Besserverdienende. Was müsste passieren, damit sich das wieder ändert?
Ein Haustier zu haben, ist mittlerweile Luxus. Es müsste in den Regelsätzen von Transferleistungsbeziehern ein bestimmter Sockelbetrag für Tierhalter eingeplant werden. Ansonsten müsste es mehr Einrichtungen wie unsere geben, die die Lücke schließen.
Überprüfen Sie eigentlich die Einkünfte der Menschen, die zu Ihnen kommen?
Ja. Es gibt zwar immer mal wieder Vorwürfe, zu uns kämen Menschen mit dicken Autos. Das können wir so nicht bestätigen. Aber selbst wenn, könnte ein Auto ja auch geliehen sein. Wir prüfen bei jedem die Bedürftigkeit, indem wir uns den aktuellen Bescheid von Bürgergeld, Grundsicherung oder Rente vorlegen lassen. Da hat ja im Prinzip die Behörde die Prüfung der Bedürftigkeit übernommen. Das sagt ja der Bescheid aus. Bei Berufstätigen mit Einkommen lassen wir uns Gehaltsnachweise vorlegen. Da orientieren wir uns an der Pfändungsgrenze. Wer darunter verdient, stufen wir als hilfebedürftig ein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24