
Berlin Interview | Lena Brasch: "Er hat wunderschöne Worte gefunden für alles, was diese Welt beschreibt"
Thomas Brasch bleibt auch mehr als 20 Jahre nach seinem Tod präsent. Seine Nichte Lena Brasch verarbeitet das Werk des Autors jetzt in einem Theaterstück, das am Freitag Premiere hat. Es sei auch eine Liebeserklärung an ihren verstobenen Onkel, sagt sie.
rbb24: Lena Brasch, für Ihr Stück "Brasch: Das Alte geht nicht und das Neue auch nicht" haben Sie als Grundlage einen Text von Thomas Brasch genommen, nämlich sein Theaterstück "Mercedes". Was macht diese Geschichte für Sie aus und worum geht es?
Lena Brasch: In "Mercedes" - man kann es vielleicht etwas mit "Warten auf Godot" von Samuel Beckett vergleichen - geht es um zwei junge Leute, zwei vermeintlich Arbeitslose. Sie lernen sich auf der Straße kennen und unterhalten sich über die Welt, über die nicht vorhandene Arbeit, über Politik, vielleicht auch ab und zu über die Liebe. Sie stoßen sich ein bisschen die Hörner aneinander ab.
Warum haben Sie gerade dieses Material genommen?
Ich wollte auf jeden Fall ein Stück über, für und mit Thomas, also meinem Onkel, machen, der am 19. Februar 80 Jahre alt geworden wäre. Ich hatte zunächst überlegt, einen collagierten Abend aus allen möglichen Texten zu machen. Das hat allerdings mein Vater [Anm. d. Red.: Jürgen Kuttner] am Deutschen Theater mit "Halt's Maul, Kassandra!", zusammen mit Tom Kühnel, gemacht. Meine Mutter, Marion Brasch, macht gleichzeitig mit Katharina Thalbach eine Lesung am Berliner Ensemble mit verschiedenen Texten.
Ich hatte das Gefühl: Ich brauche einen Rahmen, den ich sprengen kann. "Mercedes" ist dieser perfekte Rahmen. Das ist ein Zwei-Personen-Stück. Aber ich arbeite mit drei Schauspieler:innen, mit Jasna Fritzi Bauer, Edgar Eckert und Clara Deutschmann. Ich brauchte sozusagen noch eine dritte Figur, mit der ich Thomas noch einmal anders erzählen kann, so wie er sich vielleicht selber in diesem Stück erzählt hätte.
Wer ist diese Figur?
Sie ist ein bisschen Thomas - vielleicht auch ein bisschen ich. Und auch ein bisschen: wir alle. Und auch eine Generation, über die wir erzählen. Diese Figur aus Texten von Thomas, aus anderen Stücken - auch aus dem Film "Domino". Und da kommt auch der Titel her: "Brasch: Das Alte geht nicht und das neue auch nicht", was Katharina Thalbach in dem Film sagt. Es ist vielleicht auch der Thomas Brasch in uns allen, den wir da miterzählen. Wir versuchen über die Stadt, über die Widerstände und über das Land zu erzählen, in dem wir jetzt leben, in dem er auch schon gelebt hat.
Sie haben in einem anderen Interview gesagt, dass Sie einen Lieblingssatz von Thomas Brasch haben: "Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin". Was steckt in diesem Titel?
Das ist eine große Sehnsucht und vielleicht auch eine Hoffnung, aber ohne konkret zu wissen, wonach eigentlich. Thomas hat sich viel mit Schmerz beschäftigt und mit dem Schmerz, in diesem Land und unter diesen Umständen zu existieren. Ich merke vor allem beim Lesen seiner Texte, dass sie immer noch aktuell sind.
Was er 1981 über den Faschismus sagt, gilt heute genauso. So wie über Liebe, über Hass, über dieses Land, über alles, was das mit uns macht und was die Geschichte mit uns macht. "Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin" bleibt für immer aktuell. Ich glaube, jeder und jede kann etwas damit anfangen, ohne genau zu wissen, was damit beschrieben ist. Es ist die Beschreibung eines Gefühls.

Als Theaterregisseur:in inszeniert man oft einen Text, den man selbst nicht geschrieben hat. Wenn man die Person aber kannte, die diesen Text geschrieben hat, ist das etwas anderes, vor allem wenn sie in der Familie eine große Rolle spielt. War das ein zusätzlicher Druck, es besonders gut zu machen?
Ja, schon. Ich versuche mich von diesem Druck fernzuhalten, der natürlich von außen da ist. Das Interesse ist noch einmal anders, weil ich mich mit der Familie und auch mit der Geschichte von Thomas beschäftige. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich mich in den letzten Jahren von der Familie emanzipieren konnte.
Ich kann jetzt als Regisseurin rangehen und bin nicht nur die Nichte. Aber in dem Stück wird es auch um mich gehen. Es geht um die Auseinandersetzung der verschiedenen Generationen. Also: Wie ging es Thomas damals? Wie geht es mir, damit heute als Regisseurin zu arbeiten? Und wie geht es jungen und auch alten Menschen in diesem Land?
Es ist sicher manchmal auch kein leichtes Erbe, aus so einer bekannten Familie zu kommen. Ihre Mutter und Sie halten den Namen Brasch hoch, indem Sie die Texte immer wieder hervorholen und damit auch lebendig halten. Das ist ja im Nachhinein eine Liebeserklärung...
Genau das Stück soll eine Liebeserklärung an Thomas und an seine Texte sein. Die Familie Brasch besteht nur noch aus mir und meiner Mama. Deshalb müssen wir die Texte eben auf die Bühne bringen oder auch darüber sprechen.
Ich möchte dafür sorgen, dass Thomas' Texte und Gedichte wieder gelesen werden, seine Stücke wieder gespielt werden und seine Filme geschaut werden, weil sie einfach grandios sind und weil sie auch dem Land weiterhelfen, so wie es gerade an einem Abgrund steht. Vielleicht kann das auch ein bisschen zur Aufklärung oder zum Verständnis beitragen im besten Fall.
Es wurde ständig etwas an diese Spiegel und an die Fensterwände geschrieben. Er war immer am Denken und am Rödeln.

Als Thomas Brasch 2001 gestorben ist, waren Sie acht Jahre alt. Gibt es eine Erinnerung, was er für ein Mensch war?
Ich glaube, dafür war ich zu klein. Wir haben ihn ab und zu besucht. Er hat am Schiffbauerdamm gewohnt, direkt neben dem Berliner Ensemble. Diese Wohnung war voll mit riesigen Spiegeln, mit Büchern und mit Manuskripten. Er saß ständig an der Schreibmaschine. Es lief auch ständig parallel der Fernseher. Es wurde ständig etwas an diese Spiegel und an die Fensterwände geschrieben. Er war immer am Denken und am Rödeln. Das war glaub ich das, was ich als Kind mitbekommen habe.
Er war zu der Zeit auch nicht mehr gesund und ist 2001 gestorben. In der der Zeit, wo ich ihn bewusst wahrgenommen habe, war er auch nicht mehr so wahnsinnig glücklich. Aber das hab ich als Kind natürlich nicht mitbekommen. Ich erzähle jetzt auch gerade eher aus Erzählungen, die mir erzählt wurden.
Wenn es ein Wort gäbe, mit dem Sie Ihren Onkel zusammenfassen könnten - welches wäre das?
Das ist schwer. Er war sehr sehr klug, auch sehr empathisch, einfach ein großartiger Denker und Künstler. Er hat einfach wunderschöne Worte gefunden für alles, was diese Welt beschreibt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Lena Brasch führte Annette Kufner für rbb24 Inforadio, das bereits am 17. Januar gesendet wurde. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch im Audio-Player nachhören.
Sendung: Radio3, 19.02.2025, 09:10 Uhr