
Berlin Israelischer Schriftsteller Dror Mishani: "Ich möchte nicht in den militaristischen Chor einstimmen, der Krieg fordert"
Krimiautor Dror Mishani sollte auf den Deutsch-Israelischen Literaturtagen auftreten. Wegen des Krieges in Nahost ist das Festival abgesagt. Mishani spricht im Interview über die Normalität des Krieges und erklärt, warum er derzeit keine Krimis schreibt.
rbb: Herr Mishani, die Deutsch-Israelischen Literaturtage in mussten nun ausfallen, da die israelischen Autorinnen und Autoren aufgrund der neuen Eskalationsstufe Israel nicht verlassen können. Wo sind Sie und wie geht es Ihnen im Moment?
Dror Mishani: Ich bin in meinem Haus in Tel Aviv, in meinem Arbeitszimmer, das auch der Schutzraum der Familie ist. Wir haben eine schwierige Nacht hinter uns, aber es geht uns gut.
Was haben Sie sich von den Deutsch-Israelischen Literaturtagen erhofft?
Zunächst einmal wollte ich einfach nur eine Woche weg von hier und Wien, Berlin und München besuchen. Ich habe mich darauf gefreut, mit anderen Schriftstellern über diese andauernde historische Beziehung zwischen jüdischer und deutscher Literatur zu sprechen. Ich habe viel gelesen und mich vorbereitet, und es ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Und ich habe mich auch darauf gefreut, Leser meiner Bücher zu treffen.
Wie haben Sie die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit den Angriffen auf den Iran erlebt?
Wir befinden uns seit fast zwei Jahren im Krieg, der Kriegszustand ist zur neuen Normalität geworden. Aber in der letzten Woche hat sich definitiv alles verändert. Die Bomben explodieren dicht über unseren Köpfen, und es ist viel beängstigender, als ich es in der Vergangenheit in Erinnerung hatte. Damit hätten wir rechnen müssen, denn dieser spezielle Krieg im Iran ist ein Krieg, den wir begonnen haben, und gleichzeitig erleben wir nicht mehr als vielleicht ein Prozent dessen, was die Menschen in Gaza gerade durchmachen.

Sie haben in Ihren Tagebüchern geschrieben, dass es sich am 7. Oktober anfühlte, als ob alle Uhren stehen geblieben wären. Fühlen Sie sich mit Ihren Äußerungen zu Gaza als Außenseiter in Israel?
Ich fühle mich nicht als Außenseiter, ich fühle mich als Israeli. Aber es stimmt, dass ich meine Meinung äußern möchte, auch wenn sie anders ist als die, die wir im Fernsehen sehen oder in den Zeitungen lesen. Ich möchte nicht in den militaristischen Chor einstimmen, der unendlichen, gewaltsamen Krieg fordert. Ich denke wirklich, dass wir diese Lebensweise, die wir hier in Israel angenommen haben, überdenken sollten. Aber ich sage das nicht als Außenstehender, ich sage es von innen.
Sie haben immer wieder zu einem Dialog und zur Betrachtung aller Perspektiven aufgerufen. Welche Perspektive gehen Ihrer Meinung nach durch die neuesten Eskalationen unter?
Eine der schlimmsten Folgen dieses Krieges mit dem Iran ist, dass wir jetzt nicht genug reden. Wir lenken unseren Blick von dem Wichtigsten ab, was in unserer Region passiert, und das ist das, was in Gaza passiert. Die Hungersnot wird immer kritischer. Und jetzt beschäftigt sich jeder in Israel - und ich fürchte auch in der ganzen Welt - mit der Frage, ob Trump einsteigt oder nicht. Das ist aber nicht die Frage. Die Frage ist: Wie können wir das Massaker in Gaza sofort stoppen?
Geben Ihnen die jüngsten Proteste in Israel Hoffnung, dass sich das ändern könnte?
Sehr wenige Dinge in Israel geben mir in den letzten Jahren Hoffnung. Es gibt Proteste gegen die israelische Politik in Gaza. Insgesamt, vor allem in der letzten Woche, herrscht in der israelischen Gesellschaft aber ein Konsens darüber, dass die Kriege, die wir führen, gerecht sind und dass wir sie fortsetzen sollten – vielleicht sogar für immer. Und dabei spielt es keine Rolle, welchen Preis wir und die anderen Menschen dafür zahlen. Ich habe Angst vor dieser militaristischen Euphorie.
Was erwarten Sie von den deutschen oder der europäischen Perspektive auf Gaza, Iran und Israel?
Ich verstehe die deutsche und europäische Verantwortung gegenüber Israel, gegenüber dem jüdischen Volk. Aber ich denke, diese Verantwortung bedeutet nicht, dass man alles, was Israel tut, unterstützen sollte. Ich denke, ein Teil dieser Verantwortung, ein Teil dieser wirklich wichtigen und wertvollen Beziehung, die Europa mit Israel hat, ist auch, Israel zu sagen, wann es aufhören soll.
Warum halten Sie es für wichtig den Dialog der verschiedenen Perspektiven in diesen Tagen aufrechtzuerhalten?
Es ist problematisch, dass heutzutage die verschiedenen Stimmen von Schriftstellern und die Stimmen von palästinensischen Intellektuellen nicht genug gehört werden, und wenn sie versuchen, ihre Ansichten zu äußern, werden sie zum Schweigen gebracht und manchmal als Verräter behandelt.
Nach dem 7. Oktober beschlossen Sie, erstmal keine weiteren Kriminalromane zu schreiben. Sie haben begonnen, ein Tagebuch zu schreiben. Welche Rolle spielt die Literatur für Sie in diesen Tagen?
Ich spüre zwei widersprüchliche Antriebe. Der eine ist, die Literatur weiterhin nur zu nutzen, um zu bezeugen, was vor sich geht, und um gegen diesen Krieg zu protestieren. Und das mache ich immer noch. Ich benutze meine Feder, um Zeugnis abzulegen und zu protestieren. Das ist immer noch ein sehr starker Antrieb. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich mehr und mehr den Drang verspüre, etwas ganz anderes zu machen oder einfach einen guten Krimi zu schreiben. Und mich in gewisser Weise von der Politik abzukoppeln, zumindest während ich schreibe.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch wurde auf Englisch geführt, mit Dror Mishani sprach Max Burk für rbbKultur – das Magazin.
Redaktionelle Mitarbeit: Alexandra Steinberg
Sendung: rbbKultur – das Magazin, 21.06.2025, 18:30 Uhr