
Berlin Lehrkräfte an Berliner Musikschulen müssen nachgeben - oder aufgeben
Lehrkräfte an Musikschulen müssten laut Urteil des Bundessozialgerichts eigentlich festangestellt werden. Berlin hat dafür aber kein Geld. Es gibt zwar eine Übergangsfrist, doch eine Verzichtserklärung erzeugt Druck. Von Samira El-Hattab und Angela Ulrich
Ali Ekhtiari sitzt mit seiner Gitarre mitten im Bewegungsraum der Kita Wunderkids in Tempelhof. Um ihn herum laufen fünf Kleinkinder, sie schwenken bunte Tücher, haben Rasseln in der Hand - sie spielen kleine Vögel. Musikalische Früherziehung für Drei- bis Vierjährige. Es geht laut und fröhlich zu, die Kinder hämmern auf Klangbausteine ein.
Ekhtiari behält den Überblick: Der 62-Jährige arbeitet seit über 30 Jahren als Honorarkraft der Leo-Kestenberg-Musikschule in Tempelhof-Schöneberg. Er gibt Kurse in Kitas und Grundschulen, bietet sogenannte Instrumentenkarussells an.
Um Rente und alle Sozialversicherungen muss er sich selbst kümmern. Wenn er krank ist, seine Kurse auf Feiertage fallen oder Schulferien sind, bekommt er kein Geld. "Dabei mache ich die gleiche Arbeit wie festangestellte Musiklehrer", sagt Ekhtiari, und wünscht sich schon lange einen festen Job: "Man fängt an und tappt dann in so eine Art Falle", seufzt er. "Man denkt: Ich mach das jetzt so ein paar Jahre als Honorarkraft, kann mir meine Arbeitszeiten selbst aussuchen und wahrscheinlich werde ich dann sowieso irgendwann angestellt. Aber dem ist ja leider nicht so."
Herrenberg-Urteil fordert Festanstellungen
Dabei könnte es jetzt eigentlich bald so weit sein. Das Bundessozialgericht hatte 2022 im sogenannten Herrenberg-Urteil entschieden, dass Lehrer wie Ali Ekhtiari als scheinselbständig gelten und festangestellt werden müssen. Dafür hat Berlin aber aktuell kein Geld.
Aufschub bis Ende 2026 gibt eine neue Regelung des Bundes. Sie schafft eine Übergangsfrist, um mehr Zeit zu haben, und für mehr Festanstellungen zu sorgen.
Nun sollen aber die Berliner Musikschul-Lehrkräfte eine Erklärung ihres jeweiligen Bezirks unterschreiben. Damit bestätigen sie, dass sie vorerst freiwillig weiter auf Honorarbasis arbeiten wollen und auf mögliche Zusatzrechte durch die neue Rechtslage verzichten.
Ali Ekhtiari hat das Schreiben vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg bekommen, mit der Frist, bis zum 30. Juni zu antworten. Er fühlt sich unter Druck gesetzt: "Ich würde es wirklich Erpressung nennen. Vielleicht nicht im juristischen Sinne, aber mindestens im moralisch-ethisch-faktischen Sinn ist es eine Erpressung", sagt Ekhtiari. Denn er habe keine wirtschaftliche Alternative zu seinen Musikkursen.

Ali Ekhtiari spielt mit Kindern
Ohne Unterschrift keine Aufträge
Ohne Unterschrift gebe es nach den Sommerferien in den meisten Bezirken aber keine neuen Aufträge für die selbstständigen Musiklehrenden. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg beispielsweise antwortet auf eine entsprechende Anfrage des rbb, ob die Musikschulen des Bezirks Honorarkräfte weiter beschäftigen, die die Erklärung nicht unterschrieben haben: "Das ist aufgrund der finanziellen und möglichen rechtlichen Konsequenzen und Risiken nicht möglich." Man setze damit transparent die Vorgaben des Senats um.

Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski (CDU)
Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) pocht wiederum darauf, dass diese geforderte Erklärung für Rechtssicherheit sorge und Grundlage dafür sei, dass Honorarkräfte an Musikschulen so wie bisher arbeiten könnten. Richter-Kotowski steht auf dem Standpunkt, dass das Herrenberg-Urteil eine Einzelfallentscheidung sei, also nicht auf Honorarkräfte an Musikschulen generell übertragen werden solle.
Sie könne den Unmut aber verstehen, sagt sie: "Dass da natürlich an der einen oder anderen Stelle eine große Verunsicherung ist, glaube ich gerne. Deswegen arbeiten alle Bezirke zusammen mit den Senatsverwaltungen intensiv daran, eine Lösung für das Land Berlin zu erarbeiten."

Kulturpolitikerin Melanie Kühnemann-Grunow (SPD)
Nur ein Viertel der Musikschulkräfte festangestellt
In puncto Festanstellungen von Musikschullehrerinnen und -lehrern hinkt Berlin den anderen Bundesländern weit hinterher. Bundesweit sind im Schnitt Dreiviertel aller Musikschullehrkräfte festangestellt, in Berlin ist es nur ein Viertel: ca. 600 von rund 2.400 Personen.
Der überwiegende Teil arbeitet also auf Honorarbasis - mit allen persönlichen Risiken und deutlich weniger Lohn. Die Kulturpolitikerin Melanie Kühnemann-Grunow (SPD) drängt deshalb darauf, dass Berlin bei den Festanstellungen nachlegt. "Es kann auch ein Stufenmodell sein, dass wir erstmal die Honorare, die wir ausgeben, sozusagen umwandeln in feste Arbeitsverhältnisse", sagt Kühnemann-Grunow. In künftigen Haushaltsberatungen sollte dann sukzessive mehr Geld ins System gegeben werden, damit dann am Ende auch alle, die es wollen, festangestellt werden können."
Auch die Senatskulturverwaltung will die Zahl der Festanstellungen kontinuierlich erhöhen. Allerdings brauche man dafür Zeit, macht Staatssekretärin Richter-Kotowski deutlich: "Das können Sie nicht von heute auf morgen tun." Und: Es müsse auch nach dem Herrenberg-Urteil weiter Honorarkräfte an Musikschulen geben. Denn es gebe auch Lehrkräfte, die wollen gar keine Festanstellung, behauptet die CDU-Politikerin: "Für die macht das keinen Sinn, weil sie teils nur ein geringes Stundendeputat haben, oder beispielsweise in einem Orchester beschäftigt sind."

Gewerkschafter Konstantin Kohl
Verdi kritisiert "Druck" auf Musikschullehrkräfte
Konstantin Kohl schüttelt darüber nur den Kopf. Der Verdi-Gewerkschafter hat andere Zahlen. "Die meisten Honorarkräfte wollten fest angestellt werden", sagt er. Rund 80 Prozent hätten das bei einer Umfrage vor einigen Jahren angegeben. "Die Kollegen wollen eine sichere Zukunft haben, und das geht nur mit Festanstellung: Raus aus der Prekarität der Honorarkräfte!", fordert Koch daher. Der Druck, der gerade auf Musikschul-Lehrkräfte aufgebaut werde, gehe nicht: "Da sagen wir ganz klar: Stopp!"

Melanie Kühnemann-Grunow fürchtet außerdem, dass immer mehr Berliner Musiklehrer abwandern - vor allem nach Brandenburg, wo nach dem Herrenberg-Urteil sehr viel mehr Honorarkräfte festangestellt wurden. "Wir haben jetzt schon bei verschiedenen Musikschulen bis zu 2.000 Kinder und Jugendliche auf der Warteliste. Wenn wir weniger Musikschul-Lehrkräfte in Berlin haben, die bei uns arbeiten wollen, weil sie mit den Verhältnissen nicht einverstanden sind, wird sich das noch verstärken", prognostiziert die Sozialdemokratin.

Allerdings sind Gelder für mehr Festanstellungen im Kulturetat erstmal nicht eingeplant. Und im künftigen Doppelhaushalt 2026/27 muss erneut empfindlich gespart werden - auch im Kulturetat. Ob Ali Ekhtiari Honorarkraft bleibt oder vielleicht doch festangestellt wird, ist also völlig offen. Die geforderte Erklärung wird der Musikpädagoge wohl notgedrungen unterschreiben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.06.2025, 08:30 Uhr