
Berlin Linkin Park im Olympiastadion: "Danke für die zweite Chance"
Ihr letztes Berlin-Konzert haben Linkin Park im Juni 2017 gespielt. Einen Monat später starb Sänger Chester Bennington. Nach langer Pause ist die Band 2024 zurückgekehrt. Mit neuer Sängerin und alter Intensität - so auch im Berliner Olympiastadion. Von Jakob Bauer
Es ist ein lauer Berliner Sommerabend. Wolken hängen über dem Olympiastadion, nur ein Lüftchen weht durch die Reihen der zehntausenden Menschen, die da auf den Tribünen und im Innenraum des Stadions stehen. Doch dann bricht ein Sturm los.

Das Berliner Olympia-Stadion
Sind die Fußstapfen von Chester Bennington zu groß?
Die harten Gitarrenwände von "Somewhere I Belong" und "Crawling" werden über die Menge aufgebaut. Es sind alte Songs, Fan-Lieblinge gleich zu Beginn, ein musikalischer Sturm. Aber es ist auch ein Sturm der Gefühle für viele hier, zwischen Nostalgie und Trauer und purer Freude. "Danke für die zweite Chance" steht auf einem Schild, das ein Fan im Gitarrengewitter hochhält, denn der Mann, der diese Songs mitgeschrieben hat, der sie mit seiner Stimme und seinen Auftritten geprägt hat, lebt nicht mehr.
Der langjährige Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington hat 2017 Suizid begangen und Band und Fans in einer langen andauernden Schockstarre hinterlassen. Erst im vorigen Jahr kam der Neustart: neues Album, neue Sängerin, eine Riesenaufgabe für Emily Armstrong, in die Fußstapfen des von den Fans so verehrten Bennington zu treten. Und eine Riesen-Leistung, wie sie das meistert.
Armstrong versucht nicht Bennington zu übertrumpfen, sie singt seine Songs so, wie er es tat. Sie legt die Emotionen in die hymnischen Refrains und schreit mit beeindruckend trainierter Stimme in den harten Parts, aber sie hat doch eine ganz andere Präsenz. Mit blonden Haaren und dunklen Augen, erst im Trainingsanzug, dann im weiten Shirt, zuckt ihr Blick umher, als wollte sie jedem Fan einmal in die Augen blicken. Sie tigert unruhig über die Bühne, springt den Steg nach vorne, irgendwo zwischen klassischer Rock-Röhre, cooler Lässigkeit und tiefer In-Sich-Gekehrtheit.

Berlin und Currywurst und Kennedy und – ach egal
Armstrong strahlt, wenn es angebracht ist, aber lässt sonst Co-Frontmann Mike Shinoda den Platz, den er braucht. Er ist seit dem Tod von Bennington das Gesicht von Linkin Park, zuständig für die – zugegebenermaßen immer recht ähnlichen, aber eben auch unverwechselbaren – Rap-Parts.
Die beiden harmonieren super, auch bei den neuen Songs, bei denen Shinoda auch mal richtige Gesangsparts übernimmt. Er ist es auch, der die meisten Publikums-Interaktionen übernimmt: Liest kurz was über Berlin und Currywurst und Kennedy auf Deutsch vor, verteilt unterschriebene Basecaps in der Menge, schüttelt Hände.
Nichts Spektakuläres, aber das ist bei diesem Konzert auch nicht notwendig, denn die Fans sind sowieso mit vollem Herz-, Gesangs- und Körpereinsatz dabei.
Chor der Zehntausenden, die an der Welt zerschellten
Teilweise zählt man locker zehn unterschiedliche Moshpits, in denen sich die Menschen kathartisch umherschubsen. Jede der Ansagen wird bejubelt und die vielen Angebote zum Mitsingen angenommen, auch wenn der Sound so laut ist, dass man diesen Chor der Zehntausenden kaum hört – der Zehntausenden, die Anfang der 2000er Jahre irgendwo zwischen Teenager und 30 waren und in dieser prägenden Nu-Metal-Band, die Hip-Hop mit hartem Rock und weltschmerzigen Texten verband, eine Anlaufstelle fanden.
Für alle, die ein bisschen anders waren. Mit Nerd-Ästhetik, für Skaterboys und -girls genauso wie für Gamer und für junge und sich noch jung fühlende Menschen, die an der Welt zerschellten. Sie alle singen die Songs von damals, die an Wucht nichts eingebüßt haben.

Bennington wird nie direkt erwähnt
Sie singen aber auch die Songs der 2010er Jahre – Linkin Park haben sich vor allem klanglich doch immer mehr dem Pop angenähert, die Gitarren wurden sauberer, die Refrains gefälliger. Und auch dem Konzert geht im zweiten Drittel, wenn die Band viele Songs aus der Ära spielt, ein bisschen die Intensitäts-Puste aus. Zumal immer wieder längere, ambient-artige Stücke laufen, die im akustisch komplizierten Olympiastadion eher verwehen.
Trotzdem schaffen Linkin Park hier Beachtenswertes: Chester Benningtons Abwesenheit wirft keinen Schatten auf dieses Konzert, er wird nie direkt erwähnt, sodass er zwar durch seine Songs immer dabei ist, aber ohne, dass es je kitschig wird. Stattdessen klingt die Band frisch und gleichzeitig vertraut und berührt damit ein ganzes Stadion. Es ist ein Neustart, der durch und durch geglückt ist.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.06.2025, 7:55 Uhr