
Berlin "Little Trouble Girls" auf der Berlinale - eine lustvolle Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen
Die neue Berlinale-Sektion "Perspectives" soll Spielfilmdebüts in den Fokus rücken. "Little Trouble Girls" aus Slowenien ist ein lustvoller, bildstarker und einfühlsamer Film über das jugendliche Erwachen lesbischen Begehrens. Von Fabian Wallmeier
Am Anfang war das Wort. Oder eigentlich vielmehr das Stöhnen. Ein ganz leises. "Little Trouble Girls" beginnt mit einem lustvollen Hauchen vor schwarzer Leinwand, dann ist ein mittelalterlich anmutendes Gemälde zu sehen, deren senkrechtes rotes Oval man nur als Vulva interpretieren kann.
Der jetzt in der neuen Spielfilmdebüt-Sektion "Perspectives" uraufgeführte Film der Slowenin Urška Djukić spielt an einem Sommerwochenende im Kloster - und erzählt von einem explosiven, unerwarteten sexuellen Erwachen. Die 16-jährige Lucija (Jara Sofija Ostan) ist mit dem Schulchor auf einem Probewochenende - und ist wie vom Blitz getroffen, als sie die neue Mitschülerin Ana-Marija (Mina Švajger) mit ihrem hellroten Lippenstift singen sieht.
Die Gespräche der Mädchen sind - klar, sie sind schließlich 16 - sexuell aufgeladen. Doch es wird ganz selbstverständlich von Jungen als Objekten ihrer Lust ausgegangen. Der muskulöse Bauarbeiter, der unten im Klosterhof schwitzt, zeigt als Anschauungsobjekt, was Lucija begehren sollte. Durchaus angetan beäugt sie ihn, doch es wird umso klarer, was sie eigentlich begehrt: Als sie Ana-Marija beim Umkleiden sieht, stockt ihr der Atem. Während Lucija in Gedanken ein Gebet haucht, zoomt die Kamera auf Ana-Marijas nackten Bauchnabel.
Ganz auf Lucija konzentriert
Die eher schüchterne Lucija und die selbstbewusster auftretende Ana-Marija nähern sich im Verborgenen an. Umso bedeutsamer ist dann ihr erster Kuss. Doch Urška Djukić interessiert sich nicht primär für die sich anbahnende Liebesgeschichte. Ana-Marija bleibt eine Nebenfigur, ist vielleicht ebenso eine Schablone wie der schwitzende Bauarbeiter. Während der Film sich voll und ganz auf Lucija und ihre Gefühls- und Gedankenwelt konzentriert.
Lucija kommt aus einem liebevollen, aber keuschen und strengen Umfeld. Mit der Mutter sitzt sie in enger Verbundenheit auf dem Sofa und löffelt Eis, doch als im Fernsehen eine Sexszene läuft, schaltet die Mutter schnell kommentarlos um. Die Keuschheit der Mutter und noch viel mehr des Klosters fungiert in "Little Trouble Girls" zum einen als Sinnbild von sexueller Unterdrückung und tabuisiertem lesbischem Begehren, zum anderen aber auch als eine Art Abklingbecken. Verwirrt von ihren Gefühlen flieht Lucija einmal vor der aufgeladenen Sommerhitze ins kühle Gemäuer zu ihrem Chorleiter, der Bach auf dem Klavier spielt. Als sie ihm sagt, sie vermute, dass Ana-Marija in sie verliebt sei, wischt er das mit unbeholfener Ablehnung beiseite.
Viele Filme haben das sexuelle Erwachen im Kontrast zu religiöser Übermacht und Unterdrückung gezeigt. Doch dieser betont weibliche, lesbische, jugendliche Blick auf das Thema ist erfrischend. Als Lucija beim nächtlichen Flaschendrehen die Aufgabe bekommt, das schönste Mädchen im Konvent zu küssen, huscht sie durch das mächtige Treppenhaus und haucht einer Marienfigur einen Kuss auf die steinkalten Lippen, die anderen Mädchen staunen mit offenen Mündern. Dann schneidet Djukić zu Nahaufnahmen von roten und pinken Blüten, die von einer Biene bestäubt werden.
Ziemlich auf die Zwölf
Subtil ist das alles natürlich nicht, es ist sogar ziemlich auf die Zwölf. Aber wer sich an die eigene Pubertät erinnert, weiß, dass jugendliches Verlangen eben nicht subtil ist, sondern überlebensgroß und welterschütternd. Und Djukić weiß dieses Verlangen in starke Bilder umzusetzen. Die gesteigerte Sinneswahrnehmung der jugendlichen Protagonistinnen wird aber auch überzeugend auf der Tonebene abgebildet. In den für einen Schülerinnenchor vielleicht ein bisschen zu anspruchsvollen, perfekten Gesang der Mädchen mischen sich immer wieder ein paar Dissonanzen. Vor allem aber hört Lucija bei ihren Streifzügen durch die ländliche Umgebung ständig irgendein Detail unnatürlich laut - das Summen einer Fliege, das Plätschern eines Baches.
Zum Ende hin akzentuiert der Film wieder etwas stärker die Unterdrückung. Als Lucija in der Probe vom Chorleiter hart bedrängt und vorgeführt wird, ist das offenkundig auch eine Reaktion auf ihren Versuch, sich ihm anzuvertrauen. Doch dann folgt wieder eine lustvoll überdeutliche Sequenz, in der Traumelemente, religiöse Motive und der traumschöne Gesang der sonst kaum in Erscheinung tretenden Nonnen eine bildstarke Melange bilden. "Little Trouble Girl" von Sonic Youth läuft zum Abspann. Ganz so kämpferisch wie die Protagonistin des Songs, in dem es heißt "I'm sorry mother, I'd rather fight than have to lie" ist Lucija vielleicht nicht. Und doch entlässt einen der Film sie (wie genau, soll nicht verraten werden) mit einem positiven, hoffnungsvollen Zeichen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.02.2024, 07:55 Uhr