
Berlin Berlin-Neukölln: Die Weiße Siedlung geht in die Offensive
Die Weiße Siedlung in Berlin-Neukölln kämpft seit Jahren mit unhaltbaren Zuständen. Defekte Aufzüge, Schimmel, eine abgebrannte Wohnung wird zum Taubenhort. Nun planen Anwohner eine Klage gegen den Eigentümer - die angeschlagene Adler-Group.
In der Weißen Siedlung in Berlin-Neukölln erreicht ein langer Streit eine neue Eskalationsstufe. Die "Kiez-Initiative Weiße Siedlung" - ein Zusammenschluss von Mieter:innen - wehrt sich gegen die jahrelange Vernachlässigung ihrer Wohnanlage und ruft zu einer Protestkundgebung auf. Sie soll der Auftakt einer koordinierten Klage gegen den Eigentümer der Anlage, den Immobilienkonzern "Adler Group", sein.
"Weil Adler seit Monaten nicht auf unsere Mängelanzeigen reagiert, beginnen wir jetzt mit unserem Haus, koordiniert Klagen einzureichen", heißt es in einer Erklärung der Initiative. Die Klage wollen mehrere Mietparteien aus dem Haus in der Sonnenallee 279 erheben. Diese hatten bereits im Oktober letzten Jahres Mängelanzeigen an den Konzern geschickt und darin eine Beseitigung der Mängel im Haus gefordert.

Wasserrohrbruch im Keller eines Wohnhauses in der Weißen Siedlung
Vorwürfe: Defekte Fahrstühle, Schimmelbefall, Sicherheitsprobleme
Die Mieter beschreiben den Zustand ihrer Siedlung als dramatisch: Sie beklagen etwa Schimmelbefall in ihren Wohnungen, vermüllte Außenanlagen, Rohrbrüche im Keller und Sicherheitsprobleme – regelmäßig würden auch Menschen in die Häuser eindringen und in den Treppenhäusern schlafen.
Auch Aufzüge würden teils wochenlang ausfallen und oft nur provisorisch repariert – ein Problem vor allem für ältere und eingeschränkte Menschen in der vielgeschossigen Wohnanlage. Gökhan wohnt seit 1998 in der Siedlung. Sein Vater ist krank und kann nur liegend transportiert werden. "Im Sommer war es so, dass sein Zustand sich rapide verschlechtert hat und wir dringend ins Krankenhaus mussten. Da musste die Feuerwehr anrücken und hier über's Treppenhaus Papa raustransportieren."
"Als ob einem die Siedlung völlig egal geworden ist."
Pavithra ist in der Weißen Siedlung aufgewachsen und wohnt seit ungefähr 20 Jahren hier. Bald will sie ausziehen, erzählt sie. "Wenn man mich das vor circa zehn Jahren gefragt hätte, hätte ich gesagt: eine sehr schöne Siedlung – sehr familiäre Atmosphäre. Aber in den letzten fünf Jahren hat es sich drastisch verschlechtert. Als ob einem die Siedlung völlig egal geworden ist."
In einem weiteren Haus der Siedlung - in der Aronsstraße 73 - steht seit über drei Jahren eine Wohnung ausgebrannt leer. Die Sache beschäftigte bereits ein Berliner Gericht, gegen Adler wurde ein Zwangsgeld verhängt, doch passiert ist bislang nichts. Stattdessen verwandelt sich die Wohnung mit zerschlagenen Fenstern in eine Brutstätte für Tauben. Anwohner bezeichnen das als akute Gesundheitsgefahr.
Nach Angaben der Kiez-Initiative unterzeichneten bereits im Frühjahr 2024 mehr als 1.000 Bewohner einen Brandbrief an die Adler-Group, in dem die Mängel kritisiert wurden. Adler habe aber, so die Initiative, jeglichen Dialog verweigert.
Stadtentwicklungsstadtradt spricht von Sanierungsrückstau
Jochen Biedermann von den Grünen - Stadtentwicklungs-Stadtrat von Neukölln, sieht in der Weißen Siedlung einen massiven Sanierungs- und Instandhaltungsstau, der seit Jahren nicht angegangen werde. "Wir haben Gebäude aus den 80er Jahren, wir haben Aufzüge, die sind über 40 Jahre alt – da wird es immer schwieriger, die instandzuhalten. Da brauchen wir Entscheidungen, da müssen neue Aufzüge rein", so Biedermann. Doch genau das sehe er bei der Adler Group nicht in ausreichendem Umfang. Die aktuelle Praxis führe dazu, dass Reparaturen zwar durchgeführt würden, aber oft nach wenigen Tagen erneut Probleme aufträten.
Für Biedermann liegt das Grundproblem bereits in der Privatisierung der Weißen Siedlung im Jahr 2006. Damals wurden die vormals öffentlichen Sozialwohnungen an private Investoren verkauft – eine Entscheidung, die sich aus seiner Sicht langfristig negativ auf deren Zustand ausgewirkt hat.
"Eigentum verpflichtet ganz klar. Man muss dann auch bereit und in der Lage sein, so viel Geld zu investieren, dass hier ein vernünftiges Leben möglich ist", betont Biedermann. Dass Adler nicht mehr Mittel für die dringend nötigen Sanierungen bereitstellt, kritisiert er scharf: "Das, was die Adler hier insgesamt bereit ist zu investieren, passt nicht zum Zustand der Siedlung."
Adler verweist auf eigene Maßnahmen
Auf rbb-Anfrage verteidigt die Adler Group ihr Vorgehen und verweist darauf, dass Mängel regelmäßig erfasst und priorisiert würden. Es könne jedoch in einigen Fällen zu Verzögerungen kommen, insbesondere wenn externe Firmen oder Ersatzteile benötigt würden.
Adler verweist auf Maßnahmen, die in den vergangenen Monaten durchgeführt worden seien: "Dazu zählen unter anderem die Erweiterung der Einsatzzeiten des Wachschutzes, Erneuerung von Aufzügen sowie Reparaturen an Spielplätzen und, wo nötig, an den Hauseingangstüren", schreibt das Unternehmen. Service-Mitarbeiter seien regelmäßig vor Ort erreichbar und stünden für Fragen zur Verfügung, um Mängel in den einzelnen Wohnungen zu bearbeiten. "Einmal wöchentlich wird die allgemeine Hausmeistersprechstunde auch von unseren Property Managern begleitet", so eine Sprecherin des Unternehmens.
Berliner Mieterverein bemängelt zögerliches Handeln von Adler
Der Berliner Mieterverein sieht in der Weißen Siedlung ein Beispiel für die systematische Vernachlässigung von Wohnraum durch Großvermieter. Als besonders kritisch bewertet der Verein die zögerliche Reaktion von Adler auf die Beschwerden seiner Mieter.
Auf einen Brandbrief der Kiez-Initiative aus dem April 2024 antwortete das Unternehmen erst im Oktober 2024, nachdem dieser per Gerichtsvollzieher zugestellt wurde. Zwar kündigte Adler demnach Maßnahmen wie neue Schranken gegen illegales Parken, einen Sicherheitsdienst und den Austausch von Fahrstühlen an. Viele Mängel seien jedoch entweder nicht thematisiert oder auf die Mieter selbst zurückgeführt worden, so der Mieterverein. Die Initiative wertete die Antwort deshalb als unzureichend.
Neben juristischen Schritten betont der Mieterverein die Bedeutung kollektiver Organisation unter den Anwohnenden. Mieter seien auf solidarische Strukturen angewiesen, um gegen schwer erreichbare und untätige Vermieter vorzugehen. Positiv hingegen äußert sich der Mieterverein zum Bezirk Neukölln: Dieser zeige sich sehr engagiert, jedoch sollte die Bauaufsicht noch konsequenter bei Mängeln eingreifen.
Adler steckt mitten in der Restrukturierung - und verkauft fleißig Immobilien
Die Adler Group befindet sich derzeit mitten in einer umfassenden Restrukturierung. Nach jahrelangen finanziellen Verlusten und hoher Verschuldung verkauft der Konzern signifikante Teile seiner Immobilien, um sich finanziell zu stabilisieren. Wie das Unternehmen im vergangenen Dezember mitteilte, verbleiben nach mehreren Verkäufen rund 18.000 Wohnungen in seinem Portfolio - fast ausschließlich in Berlin. Aber auch hier wurden bereits Immobilien verkauft - unter anderem das Quartier "Wasserstadt" in Mitte (2023) sowie ein Wohnblock mit 72 Wohnungen in Wilmersdorf (2025).
Ob auch die Weiße Siedlung in Neukölln verkauft werden soll - zum Beispiel im Rahmen einer Rekommunalisierung - ist unklar. Eine Anfrage an die Adler Group hierzu blieb unbeantwortet, und auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung teilte auf rbb-Anfrage mit, dass dem Land Berlin dazu weder ein Angebot noch sonstige Hinweise vorliegen.
Adlers finanzielle Lage bleibt angespannt
Wie aus Daten des Online-Dienstes North Data hervorgeht, verzeichnete die Adler-Group 2023 einen Verlust von 1,66 Milliarden Euro, was den negativen Trend aus den Vorjahren fortsetzt (-1,56 Mrd. in 2022, -1,18 Mrd. in 2021). 2019 machte das Unternehmen demnach noch einen Gewinn von 601,9 Mio. Euro.
Trotz steigender Mieten – die Durchschnittsmiete aller Adler-Wohnungen liegt nun bei 7,71 Euro pro Quadratmeter – sind die Nettoeinnahmen aus der Vermietung gesunken: von 159,97 Millionen Euro (Drittes Quartal 2023) auf 155,09 Millionen Euro (Drittes Quartal 2024). Das geht aus dem dritten Quartalsbericht 2024 hervor. Das Unternehmen führt das auf die Immobilienverkäufe zurück.
Gleichzeitig hat Adler die Ausgaben für Instandhaltung und Modernisierung laut Quartalsbericht um rund 15 Prozent reduziert – von 39,1 Millionen Euro (Drittes Quartal 2023) auf 33,2 Millionen Euro (Drittes Quartal 2024). Die Frage, inwieweit die schleppende Instandhaltung in der Weißen Siedlung in Zusammenhang mit den Restrukturierungsplänen des Unternehmens stehen, ließ Adler unbeantwortet.

Weiße Siedlung ist kein Einzelfall
Beschwerden gegen die Adler-Group sind auch schon in anderen Teilen Berlins laut geworden. In der Rudolf-Wissell-Siedlung in Berlin-Staaken etwa kam es vor einigen Monaten zu Protesten gegen Mängel in der Wohnanlage.
Im Charlottenburger Westend plant die im letzten Jahr gegründete Initiative "Westend-Rebellen" als Reaktion auf hohe Heizkostenabrechnungen einen "Heizkostenstreik", wie die Zeitung "nd" berichtet [nd-aktuell.de]. Die Idee: Ein kollektiver Widerspruch der organisierten Mieter:innen gegen die Nebenkostenabrechnungen. Die Nachzahlungen sollen dort so lange zurückgehalten werden, bis die Mieter vollständige Einsicht in die Nebenkostenbelege bekommen.
"Deutsche Wohnen & Co." fordert politische Lösung
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen" (DWE) unterstützt die Kiez-Initiative in der Weißen Siedlung. "Die Vernachlässigung der Wohnungen durch Adler hat System", sagt eine DWE-Sprecherin auf rbb-Anfrage. "Je weniger Adler in die Instandhaltung der Wohnungen investiert, desto weniger Ausgaben hat der Konzern und desto höher sind die Profite."
Langfristig fordert die Initiative eine politische Lösung: Der Berliner Senat müsse endlich handeln und "alle nötigen Maßnahmen zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände in der Weißen Siedlung einleiten." Auch der Bezirk habe noch ungenutzte Mittel, um Adler stärker unter Druck zu setzen – etwa durch Ersatzvornahmen oder eine Zwangsverwaltung der Siedlung, sollte der Konzern seinen Pflichten weiterhin nicht nachkommen.
Für die Mieter der Weißen Siedlung bleibt die Zukunft ungewiss. Ein erstes klares Zeichen ihres Unmuts wollen sie am Samstag setzen, wenn sie bei der Protestkundgebung ihre Forderungen öffentlich machen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2025, 13:00