Das unter Denkmalschutz stehende Haus Andernacher Str.5a/Königswinter Str. 24a in Berlin-Karlshorst, gebaut 1929, aufgenommen am 02.06.2025. (Quelle: rbb24/Caroline Winkler)

Berlin Nach 30 Jahren Leerstand: "Russenhäuser" in Karlshorst könnten enteignet werden

Stand: 08.06.2025 08:15 Uhr

Seit 30 Jahren verfallen die "Russenhäuser" in Berlin Karlshorst, doch nun könnte die Besitzerin auf Basis von Leerstandverbot und Denkmalschutz enteignet werden. Das rührt auch an diplomatische Fragen. Von Caroline Winkler und Sylvia Lundschien

Wenige hundert Meter hinter der S-Bahn-Station Karlshorst stehen sie: Die grauen Gebäude an der Ecke Andernacher Straße/ Ecke Königswinterstraße sowie in der Ehrenfelsstraße/ Ecke Loreleystraße. Jene sogenannten "Russenhäuser" stammen noch aus der Zeit des Kalten Krieges – heute schmucklose Zeitkapseln, die ein muffiger Hauch von Agentenkrimi und KGB umweht. Die Häuser sind von Bauzäunen umschlossen, das Gras wird wohl noch gemäht, die Mülltonnen ab und an geleert - sonst haben sich vor allem Tauben und Waschbären zwischen den jungen Birken, die aus den Wänden sprießen, niedergelassen.

Sowjetische Militärpräsenz in Karlshorst bis 1994

So schlummert und verfällt das Ensemble seit gut 30 Jahren vor sich hin. Doch der Dornröschenschlaf wird derzeit gestört, denn im Raum steht eine Enteignung der Eigentümerin – der Russischen Föderation.
 
Immobilie und Grundstück tragen ein gewisses diplomatisches und historisches Gewicht. Zwar stammen die Gebäude aus den 1920er und 30er Jahren. Doch für die Sowjetunion und das spätere Russland hat der Ort eine besondere Bedeutung: Unweit der Häuser wurde am 8. Mai 1945 im damaligen Offizierskasino Karlshorst, dem heutigen Museum Karlshorst, die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet und damit der Zweite Weltkrieg in Europa beendet. Karlshorst wurde damit zum Sperrgebiet sowie Sitz der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Die Sowjetarmee nutzte in Karlshorst neben Kasernen, in denen Soldaten untergebracht waren, auch Villen, um hier ihre Offiziere mit Familien unterzubringen. Der Sperrkreis wurde im Lauf der Jahrzehnte stückweise verkleinert, doch die Sowjets blieben. Viele ältere Anwohnerinnen und Anwohner erinnern sich noch lebhaft an ihre Präsenz, wie ein Kunstprojekt [alnobf.de] im Sommer 2024 dokumentierte.

Archivbild: Hinterhof des leerstehenden Wohnblocks Andernacher Str. 5a/Königswinter Str. 24a in Berlin-Karlshorst, aufgenommen am 20.0.2024. Seit Abzug der russischen Truppen (Sowjetarmee) 1994 sind die Häuser unbewohnt. (Quelle: rbb24/Winkler)

Der Innenhof des denkmalgeschützten Hauses Andernacher Str. 5a/Königswinter Str. 24a

Archivbild: Eine Berlinerin überreicht einem russischen Offizier einen Blumenstrauß und gibt ihm einen Abschiedskuß, aufgenommen am 31. August 1994 am Ehrenmal in Berlin-Treptow. (Quelle: dpa/Peter Kneffel)
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Bis 1994 waren die Gebäude noch bewohnt, doch mit der Wiedervereinigung verließen die sowjetischen Truppen Deutschland endgültig. Die von ihnen genutzten Liegenschaften - wie etwa das Theater (bekannt als "Offizierskasino"), die Kasernenanlagen an der Treskowallee, die Pionierschule und Villen wurden an das Land Berlin beziehungsweise die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gegeben - nicht aber die drei Wohnblöcke in Karlshorst. Sie gehören bis heute samt Grundstücken der Russischen Föderation.

Medienrecherche löst Frage nach Zweckentfremdungsverbot und Denkmalschutz aus

Diese lässt seitdem – augenscheinlich – die Immobilien weiter vor sich hingammeln. Von außen zumindest lässt sich für Laien nicht erkennen, dass die Häuser gewartet und instandgehalten werden. Dies verstößt aber zum einen gegen das Berliner Zweckentfremdungsverbot, das Leerstand verhindern soll. Neben Bußgeldern sieht es gegebenenfalls auch den Einsatz eines Treuhänders vor. Zum anderen spielt der Denkmalschutz für eines der Häuser - Objektnummer 09040070 - im Ensemble eine Rolle, das Gebäude Andernacher Str. 5a/Königswinter Str. 24a. Jenes Haus aber ist für die Öffentlichkeit gar nicht zugänglich – und verkommt wohl wie alle anderen zunehmend.
 
Wie es um den Bestand steht, ist derzeit nicht bekannt. Die Untere Denkmalschutzbehörde Lichtenberg soll laut "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt] einen Bericht über den Zustand des Hauses erarbeitet haben, dieser wurde aber noch nicht veröffentlicht. Sollte das Denkmal im Bestand gefährdet sein, könnte gemäß Paragraf 17 des Denkmalschutzgesetzes ebenfalls eine Enteignung in Frage kommen. Doch mit der Frage nach der Zuständigkeit für die "Russenhäuser" und damit auch nach einer möglichen Enteignung hat der "Tagesspiegel" eine regelrechte Champions League in Sachen Behörden-Ping-Pong ausgelöst

Ein leerstehender Wohnblock in der Loreley/Ehrenfelsstraße in Berlin-Karlshorst, aufgenommen am 05.08.2024. Seit Abzug der russischen Truppen (Sowjetarmee) 1994 sind die Häuser unbewohnt. (Quelle: rbb24/Winkler)
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Auswärtiges Amt: "Russenhäuser" seien keine konsularischen Flächen

Denn das Ensemble gehört Russland – und damit einem ausländischen Staat, der aufgrund seines Krieges in der Ukraine derzeit sanktioniert ist. Einfach abkaufen lässt sich das Ensemble deswegen nicht. Zudem würden sogenannte "konsularische Flächen", wie sie das Wiener Abkommen von 1961 definiert, nicht unter das Berliner Zweckentfremdungsverbot fallen.
 
Doch wer die Gebäude von außen betrachtet, kann weder häusliche noch diplomatische Aktivitäten entdecken. Die Häuser sind offensichtlich verwaist und ohne Funktion. So urteilte bereits die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine schriftliche Anfrage der CDU-Politikerin Lilia Usik [pardok.parlament-berlin.de], die unter anderem Karlshorst im Berliner Abgeordnetenhaus vertritt, im Sommer 2024. "Bei den leerstehenden Wohnhäusern in der Andernacher Straße/Ecke Königswinterstraße sowie Ehrenfelsstraße/Ecke Loreleystraße handelt es sich nicht um diplomatisch genutzte Flächen […]."
 
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es: "Bei den von Ihnen genannten Liegenschaften handelt es sich nicht um 'Räumlichkeiten der Mission' im Sinne des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen. Also stehen diese auch nicht unter dem besonderen Schutz diplomatischer Liegenschaften. Der Eigentümer hat die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Eigentümer auch." Beide Institutionen kommen damit zu dem Schluss, dass Russland als Eigentümerin keine Sonderrechte genießt. Als gewöhnliche Immobilienbesitzerin muss der russische Staat sich also kümmern – sowohl um den Leerstand als auch den Denkmalschutz und den augenscheinlichen Verfall der Häuserblocks.

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Bezirksamt Lichtenberg lässt Status der Karlshorster "Russenhäuser" prüfen

Und damit landet der Spielball von der diplomatischen Ebene auf dem Spielfeld des Bezirksamtes Lichtenberg. Bezirksstadträtin Catrin Grocksch (CDU) ordnete aber laut "Tagesspiegel"-Bericht die Zuständigkeit für die "Russenhäuser" bislang als diplomatische Flächen ein – und damit sei das Bezirksamt nicht zuständig, das Verbot der Zweckentfremdung wäre somit kein Hebel. Damit widerspricht sie den Einordnungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie dem Auswärtigen Amt.
 
Ihre Parteikollegin Usik bestätigte nun aber im Gespräch mit dem rbb, dass über das Rechtsamt des Bezirkes Lichtenberg eine Anfrage an das Auswärtige Amt gestellt wurde, um die Zuständigkeitsfrage abzuklären. Dies bestätigte auch eine Sprecherin des Bezirksamtes Lichtenberg gegenüber dem rbb. "Sollte sich dies bewahrheiten", so das Bezirksamt, "wird in einem nächsten Schritt rechtlich eruiert, welche genauen Möglichkeiten es gibt, die geltenden Zweckentfremdungsverbotsregelungen anzuwenden." Danach werde geprüft, ob es sich bei den verfallenden Häusern "tatsächlich noch um Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsrechts" handele. Dazu wäre eine bauaufsichtliche Beurteilung notwendig.
 
Was mit den Flächen nach einer etwaigen Enteignung passieren soll, ist derzeit nicht geklärt.

Das unter Denkmalschutz stehende Haus Andernacher Str.5a/Königswinter Str. 24a in Berlin-Karlshorst, gebaut 1929, aufgenommen am 02.06.2025. (Quelle: rbb24/Caroline Winkler)

Von außen ist keines der Häuser zugänglich.

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Präzedenzfall der Enteignung wegen Denkmalschutz aus Thüringen

Sollte es im Zuge der Klärung der Zuständigkeit wiederum zu einer Enteignung Russlands aus Gründen des Denkmalschutzes kommen, wäre dies erst der zweite Fall dieser Art in der Bundesrepublik nach 1990. Der erste Fall ereignete sich 2018 in Thüringen – hier wurde das Schloss Reinhardsbrunn einem Privatbesitzer entzogen [deutschlandfunkkultur.de], nachdem er dieses mit einer Grundschuld in Höhe von 9,2 Millionen Euro belastet hatte und es danach augenscheinlich verfallen ließ. Das Schloss gilt als Kulturdenkmal und für die Landesgeschichte Thüringens bedeutsam. Das Landesverwaltungsamt beschloss, das Schloss im Rahmen des Denkmalschutzes zu enteignen, was das Landgericht Meiningen anschließend bestätigte.
 
In Berlin könnte laut "Tagesspiegel" eine Enteignung über die Enteignungsbehörde laufen, die der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung untersteht. Da es sich um eine ausländische Immobilie handelt muss auch die Senatskanzlei aktiv werden. Ob es im Fall der "Russenhäuser" so verlaufen wird, ist derzeit noch unklar.

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30 Jahre Zögern bei den "Russenhäusern"

Dass sich nun nach 30 Jahren Stillstand wieder etwas bewegt in Sachen "Russenhäusern" freut CDU-Politikerin Usik. Zuletzt war sie im Sommer 2024 gegenüber dem rbb noch nicht sicher, ob eine Enteignung gelänge. Mit einem solchen Vorgehen könnte aber ein Präzedenzfall entstehen, der auch andere russische Immobilien in Deutschland oder der EU beträfe.
 
Zwar gebe es derzeit auch Unterstützung durch die Grünen in Lichtenberg [fraktion-gruene-lichtenberg.de], die in der Bezirksverordnetenversammlung Ende 2024 einen Antrag zu den "Russenhäusern" eingereicht haben. Doch sie sehe derzeit noch "große Vorsicht und Bedenken" auf lokaler Ebene, Russland deutlicher auf seine Pflichten anzusprechen und den Status des Ensembles endgültig zu klären. Man wolle wohl einen Konflikt mit Russland eher vermeiden, so ihr Eindruck, und ein Ende des Krieges in der Ukraine abwarten und die Sache auf diplomatischem Wege lösen. Usik ist Ukrainerin, lebt seit 2011 in Deutschland – für sie sei klar, dass sie mit mehr Direktheit an das Thema gehe und auch Konfrontation nicht scheue.

 
Von den rechtlichen Unsicherheiten in Berlin profitiert derzeit nur eine: Die Eigentümerin Russland. Diese hüllt sich in Schweigen, lässt Kontaktaufnahmen auf diplomatischer wie bürokratischer Ebene seit Jahren ins Leere laufen.

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