
Berlin Neue Leitung für die Berliner Volksbühne: Die sichere Bank
Matthias Lilienthal wird 2026 neuer Intendant der Berliner Volksbühne, flankiert von den Choreografinnen Florentina Holzinger und Marlene Monteiro Freitas als künstlerische Beraterinnen. Eine gute Entscheidung. Von Barbara Behrendt
Eine Überraschung ist diese Neubesetzung nicht. Schließlich ist Matthias Lilienthal nicht nur ein erfolgreicher, erfahrener und hervorragend vernetzter Theaterprofi – er ist auch mit der Volksbühne bestens vertraut. Bis 1998 war er hier Chefdramaturg unter dem Intendanten Frank Castorf. Und wo die Theaternerven der Hauptstadt verlaufen, weiß er als gebürtiger Berliner ohnehin wie kaum ein anderer.
Das hat er zuletzt beim Festival der Berliner Festspiele "Performing Exiles" gezeigt, bei dem er spannende internationale Künstlerinnen und Künstler vorstellte, die in Berlin im Exil leben – und die bislang trotz guter Kunst kaum eine Plattform hatten. Aber auch am HAU, dem Hebbel Theater am Ufer, stand er als Intendant viele Jahre für ungewöhnliche, internationale und oft beglückende Kunstprojekte und war stets für eine Überraschung gut.

Lilienthal hatte einst Chris Dercon für die Volksbühne empfohlen
Trotzdem sprach auch einiges gegen seine Ernennung. Mit dem 65-Jährigen weißen Mann kommt nun eben gerade nicht die junge, weibliche, diverse Leitung, die dem Haus mal in Aussicht gestellt worden war. Zudem war er es, der 2017 den internationalen Kunstkurator Chris Dercon an die Volksbühne empfohlen hatte – der nach kürzester Zeit mit Pauken und Trompeten gescheitert ist.
Da Lilienthal außerdem kein regieführender Intendant wie sein Vorgänger René Pollesch ist, sind die ihm zur Seite gestellten beratenden Künstlerinnen umso wichtiger: die Choreografinnen Florentina Holzinger und Marlene Monteiro Freitas.

"Matthias, du machst die Drecksarbeit"
Holzinger hatte sich selbst auf den Intendant:innen-Posten beworben, ihre Bewerbung aber aus verschiedenen, auch persönlichen Gründen zurückgezogen. Bei der Pressekonferenz sagte sie lachend: "Ich bin urhappy, dass du jetzt diesen Job übernimmst, Matthias: die Drecksarbeit. Während ich als Künstlerin weiter hier machen kann, was ich machen will, und hoffentlich auch mehr einbringen kann in Bezug auf die Richtung, die die Volksbühne nimmt."
Die Tanzsparte soll mit diesen Beraterinnen durchaus gestärkt werden, so Lilienthal im Anschluss. Jedoch nicht mehr als ein Drittel des Programms ausmachen. Am Ensemble-Theater möchte er festhalten – keine Selbstverständlichkeit bei einem Theaterexperten, der mit zahlreichen internationalen Gästen arbeitet: "Ich gehe davon aus, dass es ein zu 95 Prozent internationales Line-up der Regisseur:innen gibt. Und diese Internationalität ist ein bewusster Widerstand gegen die Renationalisierung, die politisch in diesem Land und im deutschsprachigen Raum und in Europa passiert", ordnete er sein künftiges Programm bei der Pressekonferenz ein.

Lilienthal spricht von "lustvollem Widerstand"
"Hoffentlich ein lustvoller Widerstand! Mir liegt am Herzen, in die Stadt rauszugehen – und ich habe Lust, mich mit einer jungen Generation nochmal neu zu erfinden." Die Volksbühne nannte Lilienthal das "schönste Theater der Welt" mit dem "besten Publikum der Welt".
Über die Ernennung von Matthias Lilienthal hat Berlins Kultursenator Joe Chialo nicht wie bei der Neubesetzung der Intendanz am Maxim Gorki Theater im Alleingang entschieden, sondern mit einem vierköpfigen Beratungsgremium, das sich, so Chialo, einstimmig für Lilienthal ausgesprochen habe. Dazu zählten die Wiesbadener Intendantin Beate Heine, der Intendant des Wiener Volkstheaters Kay Voges, der Intendant der Wiener Festwochen Milo Rau und Vanessa Unzalu Troya, Leiterin der Jugendsparte P14 der Volksbühne.

Ein Superprofi für die Berliner Volksbühne
Eine mutige oder innovative Entscheidung ist das freilich nicht. Mit Matthias Lilienthal, dem Super-Profi, kann man wenig falsch machen. Doch es ist die sichere und daher eine gute Entscheidung für das Haus, das seit dem Tod von René Pollesch vor einem Jahr in der Krise steckt. Und das nicht zuletzt für die anstehenden Sparrunden in der Kulturverwaltung einen erfahrenen Kämpfer braucht.
Sendung: radio 3, 07.02.2025, 17:30 Uhr