
Berlin Das filmische Funkeln: "Reflection in a Dead Diamond" und "The Ice Tower" im Berlinale-Wettbewerb
Zwei formstarke und rätselhafte Filme sind am Sonntagabend in den Wettbewerb gestartet. "Reflection in a Dead Diamond" spielt mit dem Agentenfilm der 1960er, "The Ice Tower" zeigt eine märchenhafte Obsession. Von Fabian Wallmeier
Gebrochene Texturen und Farben sind zu sehen, wie durch Glasscherben gefilmt. Nach und nach taucht schemenhaft ein mächtiger Turm auf, dazu rieselt und funkelt es wie in einer Schneekugel. Dazu erzählt eine Frauenstimme aus dem Off den Beginn eines Märchens aus dem Reich der Schneekönigin.
So beginnt Lucile Hadžihalilovićs neuer Film "The Ice Tower", der am Sonntagabend im Berlinale-Wettbewerb seine Weltpremiere gefeiert hat. Marion Cotillard spielt die schon erwähnte Schneekönigin, die nur zufrieden ist, wenn man ihr ein Opfer erbringt - und zugleich spielt sie die nicht weniger ehrerbietende Schauspielerin und Diva Cristina van der Berg. "The Ice Tower" ist ein Film im Film: Er zeigt die Dreharbeiten zu einem Film über die Schneekönigin und immer wieder auch Szenen aus dem Film selbst. Die Grenzen sind fließend.
Im Mittelpunkt steht die Jugendliche Jeanne (Clara Pacini), die von der Geschichte der Schneekönigin geradezu besessen ist und sich eines Nachts an dem Filmset versteckt und sich später unter dem Namen Bianca als Statistin ausgibt. Aus dem Kostüm der Schneekönigin bricht sie einen Kristall ab - was bald Cristinas Interesse, aber auch ihren Unmut weckt.
Bedeutungsschweres Geraune
Lucile Hadžihalilović hat schon mit ihrem tollen Debütfilm "Innocence" (2004) bewiesen, dass sie die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in Form von filmischen Rätseln abbilden kann. Der in einem Internat spielende Film zeigt eine Gruppe von Mädchen, die aus geheimnisvollen Gründen unterdrückt und gefangen gehalten werden.
"The Ice Tower" kommt an das Debüt allerdings nicht heran. Während in "Innocence" die Spannung ständig weiter aufgebaut wird, immer neue seltsame Dinge passieren, wabert der neue Film über weite Strecken ziemlich unverständlich und redundant umher. Wieder und wieder wechselt die Erzählung zwischen den Ebenen und verliert sich bisweilen in bedeutungsschwerem Geraune. Ein dunkler Schleier scheint über allem zu liegen und nur wenn mal das Kristall funkelt, durchbricht ein Gleißen den trüben Dunst. Das sieht dann allerdings toll aus.
Marion Cotillard spielt in "Innocence" eine der Erzieherinnen - und auch im neuen Film ist sie wieder eine Respektsperson. Kühl und unnahbar - und eben doch anziehend zugleich. Die Chemie zwischen ihr und der jungen Hauptdarstellerin macht manches von dem wieder wett, das den Film auf kompositorischer Ebene ermüdend wirken lässt.

Reflet dans un diamant mort
Zigarettenglut und das Meer
Auch der zweite Wettbewerbsbeitrag des Abends ist zumindest in Teilen ein Film im Film - und noch viel mehr als in "The Ice Tower" funkelt es auch hier: In "Reflections in a Dead Diamond" vom belgischen Regie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani ist es nicht ein Kristall, sondern es sind haufenweise Diamanten, aber auch: Zigarettenglut, das Meer, die Sonne und mehr.
"Reflections in a Dead Diamond" bedient sich inhaltlich, motivisch und vor allem ästhetisch beim Agentenfilm der 1960er Jahre: James Bond auf Mission in sommerlich-heißen Küstengegenden, es wird Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch und Deutsch gesprochen und wer hier aus welchem Land kommt, ist schon bald nicht mehr zu durchschauen. Stattdessen gibt es haufenweise phantastisch aussehende Versatzstücke zu bestaunen: glimmende Zigaretten, nackte Frauenkörper, gestohlene Diamanten, Zucker in Casinos, tiefrotes Blut, tödliche Spezialwaffen, wie echte Gesichter aussehende Latexmasken, Observierungen, nicht beglichene Rechnungen, Drinks am Strand, Observierungen, unübersichtliche Verfolgungsjagden, gleißendes Sonnenlicht und so weiter.
Den Plot zu erzählen ist ein Ding der Unmöglichkeit, einigermaßen klar ist aber: Ein ehemaliger Spion sitzt am Strand und wähnt sich von seiner Vergangenheit eingeholt, in der die niemals enttarnte Mörderin Serpentik eine Rolle spielte. Aber ist es wirklich seine eigene Vergangenheit oder ist er nur der Autor der Agenten-Comic-Strips, die immer wieder zu sehen sind, und alles nur ein fiebriger Traum?
Genre-Huldigung als Bilderrausch
Es ist im Grunde aber vollkommen egal, wie genau hier alles zusammenhängt. Denn es geht um etwas anderes: Cattet und Forzani schaffen einen Bilderrausch, der das Genrekino feiert und zugleich lustvoll in seine Einzelteile zerlegt. In ihrem vorigen, weitaus blutigeren Film "Let the Corpses Tan" huldigten sie so dem Western- und Horrorgenre, jetzt ist der Agentenfilm an der Reihe.
Wer eine nachvollziehbare Erzählung erwartet, sollte besser James Bond gucken. Aber wer James Bond schon kennt, sich gern treiben lässt und Spaß an einer ganz eigenen, visuell spektakulären Lesart des Genres hat, dürfte viel Freude an dem Film haben
Sendung: Radioeins, 16.02.2025, 22 Uhr