Archivbild: Dokumentarfilmer Nima Sarvestani am 07.02.2019. (Quelle: picture alliance/Janerik Henriksson/TT)

Berlin Regisseur und Exil-Iraner: "Die meisten Iraner haben gemischte Gefühle"

Stand: 21.06.2025 14:21 Uhr

Seit dem israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen herrscht Krieg. Der regimekritische Regisseur Nima Sarvestani spricht im Interview über die Propaganda der Mullahs, das Leid der Bevölkerung – und die Hoffnung auf ein Ende des Regimes.

rbb: Herr Sarvestani, seit Israel am 13. Juni Atom- und Militäranlagen im Iran bombardierte, herrscht Krieg in Ihrer ehemaligen Heimat. Wie geht es Ihnen angesichts der aktuellen Ereignisse?

Nima Sarvestani: Die meisten Iraner haben gemischte Gefühle. Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die seit mehr als 45 Jahren unter diesem Regime leiden – und nun täglich mehr. Ich spreche mit vielen meiner Freunde in Teheran und Schiras, und ich höre von vielen dasselbe. Als zum Beispiel der iranische Fernsehsender bombardiert wurde, waren sie erleichtert. Denn er war ein zentraler Teil der Unterdrückung. 45 Jahre lang hat das Regime dieses Medium - das iranische Fernsehen - benutzt, um junge Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen, sie zu indoktrinieren.

Was hat sich in den Beziehungen zwischen Israel und dem Iran geändert?

Vor der Revolution von 1979 hatten wir keine Probleme mit Israel – es war für uns ein Land wie jedes andere. Aber nach der Revolution, als die islamische Regierung an die Macht kam, brauchte man einen Feind. Von Anfang an war es Chomeinis Botschaft, den Islam in die Welt zu exportieren. Von Anfang an sagten sie der Jugend, dass Israel verschwinden müsse. Und nun hat Israel beschlossen, das iranische Atomprogramm zu zerstören. Als Filmemacher und Dokumentarfilmer ist es schwer zu sagen, wie sich diese Situation entwickeln wird.

Archivbild: Der Autor Dror Mishani sitzt bei einer Veranstaltung im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne auf der Bühne. (Quelle: dpa/Kaiser)
"Ich möchte nicht in den militaristischen Chor einstimmen, der Krieg fordert"
In den 1980er-Jahren, insbesondere ab 1988, kam es im Iran zu systematischen Massenhinrichtungen. Die Exekutionen trafen vor allem politische Gefangene, darunter zahlreiche Mitglieder oppositioneller Gruppen. Schätzungen zufolgen wurden Tausende Menschen ohne faire Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diese Ereignisse gelten bis heute als schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte.mehr

Nach dem aktuellen Anschlag riefen nicht nur Netanjahu, sondern auch viele andere das iranische Volk dazu auf, sich gegen das Regime zu erheben. Teilen Sie diese Hoffnung?

Das iranische Volk kämpft schon seit mehr als 40 Jahren gegen dieses Regime. Bei jedem Protest wurden Menschen getötet. Natürlich kann Israel das Regime nicht stürzen – kein anderes Land kann das. Das muss das iranische Volk selbst tun. Aber die Menschen im Iran müssen begreifen, dass sie diese Möglichkeit haben. Nicht jetzt, während des Krieges, aber vielleicht später. Unser Problem ist, dass wir nicht organisiert sind. Wer soll ein Land mit 90 Millionen Menschen führen? Mir persönlich gefällt der Gedanke einer Revolution nicht, weil wir mit der von 1979 schlechte Erfahrungen gemacht haben. Meiner Meinung nach müssen wir uns organisieren und alle Oppositionsparteien, Institutionen und Organisationen vereinen, um eine neue Regierung aufzubauen.

Natürlich kann Israel das Regime nicht stürzen – kein anderes Land kann das. Das muss das iranische Volk selbst tun.

Was wird Ihrer Meinung nach geschehen, wenn Trump in den Krieg eintritt?

Das ist schwer zu sagen, denn die Propaganda beider Seiten ist Teil der Kriegsindustrie - man kann keiner von ihnen glauben.

Ihr neuer Dokumentarfilm "Surviving the Death Committee" feierte gerade in Berlin Premiere. Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen, deren Leben durch die Massenhinrichtungen im Iran der 1980er-Jahre für immer geprägt wurde – und ihre Suche nach Gerechtigkeit. Das islamische Regime herrscht nun schon seit über 40 Jahren. Wie konnte es sich so lange an der Macht halten?

Dieses Regime ist keine traditionelle Regierung. Es stützt sich auf Tausende Familien, die in verschiedenen Regionen Einfluss ausüben – das ist ein Grund. Ein weiterer: Der Iran ist ein religiöses Land. Ich wurde als Muslim geboren, habe aber nie an den Islam oder an Gott geglaubt. Auch damals waren viele nicht gläubig – und vertrauten trotzdem Chomeini als islamischen Führer.

Aber dann brachte Chomeini Terror und Angst.

Von dem Moment an, als er an die Macht kam, ließ sein Regime Menschen töten, in der Öffentlichkeit erhängen. Es startete einen acht Jahre andauernden Krieg [zwischen Iran und Irak Anm. d. Red], in dem viele junge Menschen getötet wurden. Die Bevölkerung verlangte nach Demokratie, aber das Regime verweigerte sie. Stattdessen zettelte es hinter den Kulissen einen Krieg an. In Kriegszeiten darf man nichts gegen das Regime sagen. Viele führende Persönlichkeiten wurden inhaftiert und viele andere ins Exil gezwungen. Gleichzeitig wurde das Regime vom Westen, den USA und anderen Ländern wirtschaftlich unterstützt – das sicherte sein Überleben.

Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die sehr gelitten haben und denen bis heute keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Können Sie deren Trauma beschreiben?

Im Sommer 1988 wurden innerhalb von 26 Tagen mehr als 4.000 junge Gefangene gehängt, nur weil sie an ihre Überzeugungen glaubten. Die Welt muss verstehen, warum manche Menschen froh sind, dass Israel und andere Länder diese Führer im Iran heute umbringen. Im Film sieht man viele meiner Freunde im Gerichtssaal sitzen Ich wäre froh, wenn die Führer beseitigt würden, unabhängig davon, wer es macht.

Rauch steigt aus einem Öllager auf, nachdem es am Samstag offenbar von einem israelischen Angriff im iranischen Teheran getroffen wurde. (Quelle: dpa/Vahid Salemi)
Deutsch-Israelische Literaturtage in Berlin wegen Eskalation im Nahen Osten abgesagt
In den 1980er-Jahren, insbesondere ab 1988, kam es im Iran zu systematischen Massenhinrichtungen. Die Exekutionen trafen vor allem politische Gefangene, darunter zahlreiche Mitglieder oppositioneller Gruppen. Schätzungen zufolgen wurden Tausende Menschen ohne faire Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diese Ereignisse gelten bis heute als schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte.mehr

Was erwarten Sie in einem Jahr?

Ich nehme an, dass dieses Regime noch in diesem Jahr verschwinden wird. Aber was danach passieren wird, ist schwer vorherzusagen. Natürlich hoffe ich, dass wir eine Demokratie werden. Nach 45 Jahren dieses Regimes ist alles zerstört worden. Aber wir verlieren nie die Hoffnung.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Petra Dorrmann für rbbKultur – das Magazin. Es wurde aus dem Englischen übersetzt.
Redaktionelle Mitarbeit: Alexandra Steinberg.
 
Sendung: rbbKultur – das Magazin, 21.06.2025, 18:30 Uhr