Symbolbild: Ein Musikunterricht. (Quelle: dpa/Robert Michael)

Berlin Streit um Festanstellung: Berlins Musikschullehrer wollen nicht länger warten

Stand: 23.02.2025 11:47 Uhr

Berlin müsste alle Lehrkräfte an den Musikschulen fest anstellen, aber das Land hat kein Geld. Immer mehr Musikschullehrer wechseln jetzt den Job - viele andere wollen die Situation nicht mehr kampflos hinnehmen. Von Pauline Pieper

Das Schlimmste für Katja Jovasevic: morgens krank aufwachen. "Ich rechne gleich im Kopf, was das kosten würde. Ist es wirklich so schlimm, dass ich absagen muss oder nehme ich eine Ibu und gehe hin."
 
Als freie Gesangslehrerin verdient Katja Jovasevic nur Geld, wenn sie tatsächlich arbeitet. Das ist seit Jahrzehnten Realität für fast 90 Prozent der Lehrkräfte an den öffentlichen Berliner Musikschulen. Von rund 2.420 Lehrkräften waren im Jahr 2023 laut Senat gut 2.100 nicht fest angestellt, sondern nur auf Honorarbasis beschäftigt – obwohl das eigentlich nicht rechtskonform ist.

Katja Jovasevic. (Quelle: rbb/Pauline Pieper)

Gesangslehrerin Katja Jovasevic

Bundestag gewährt Aufschub

Jetzt hat der Bundestag einen neuen Aufschub gegeben: Bis Ende 2026 müssen Musikschullehrkräfte nicht sozialversicherungspflichtig angestellt werden – sofern sie ihrer selbstständigen Beschäftigung zustimmen. Diese Übergangsregelung, die Ende Januar beschlossen wurde, betrifft nicht nur Musikschulen, sondern auch viele andere Bildungsstätten, die mit Honorarkräften arbeiten – beispielsweise die Volkshochschulen. Sie alle sind durch das sogenannte Herrenberg-Urteil von 2022 in Schwierigkeiten geraten.
 
Damals hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass die Arbeit in Musikschulen keiner selbstständigen Tätigkeit entspricht. Denn Lehrkräfte arbeiten oft für nur eine Schule, sind fest in die Abläufe eingebunden und müssen Weisungen befolgen.
 
Viele andere Städte und Kommunen haben ihre Musiklehrkräfte nach dem Herrenberg-Urteil fest angestellt. Berlin kann sich das nicht leisten, sagt Kultursenator Joe Chialo (CDU). Denn das würde nach seiner Rechnung circa 20 Millionen Euro kosten.

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Von einer Übergangsregelung zur nächsten

Dass der Betrieb an den Berliner Musikschulen trotzdem weitergeht, liegt an verschiedenen Initiativen. So hatte sich etwa die Rentenversicherung auf ein Moratorium eingelassen: Arbeitsverhältnisse wurden vorerst nicht geprüft, Musikschulen so vor Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen bewahrt.
 
Im September 2024 stellten Politiker der Regierungskoalition drei Millionen Euro für Festanstellungen in Aussicht. Das Geld sei allerdings nicht geflossen, teilt die Senatsverwaltung für Kultur auf rbb-Anfrage mit. Stattdessen brachte der Senat eine Bundesratsinitiative auf den Weg , die am 14. Februar 2025 beschlossen wurde. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, den rechtssicheren Einsatz von selbstständigen Lehrkräften in Bildungseinrichtungen weiterhin zu ermöglichen. Also keine Festanstellungen, dafür mehr Rechtssicherheit in der aktuellen Situation. Umgesetzt wird wohl frühestens, wenn eine neue Bundesregierung im Amt ist. So lange bleibt die Situation wahrscheinlich ungeklärt.

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Von der Musikschule zur Stadtreinigung

Nicht alle Musiklehrkräfte haben die Nerven für diese Unsicherheit. Immer mehr von ihnen würden über einen Berufswechsel nachdenken – oder diesen auch vollziehen, sagt Ulrike Philippi, die die Leo Kestenberg Musikschule des Bezirks Tempelhof-Schöneberg leitet. Einige wechselten zum Beispiel als Musiklehrer an die Regelschule. Ein Kollege sei sogar zur Berliner Stadtreinigung gegangen: "Er meinte, da sei er festangestellt und könne wenigstens am Nachmittag noch Gitarre spielen."
 
Philippi versucht, ihre freiberuflichen Lehrkräfte im Gespräch zu überzeugen, noch etwas durchzuhalten. "Die verabschieden sich ja von dem Beruf, den sie eigentlich wirklich wollen." Als Musikschulleiterin sind ihr die Hände gebunden, denn das Geld kommt über die Bezirke vom Senat.

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Unterricht könnte teurer werden

Die zuständige Senatsverwaltung für Kultur erklärt auf Nachfrage, Kultursenator Joe Chialo habe sich gegen eine Reduzierung des Musikschulangebots ausgesprochen, eine Erhöhung der Entgelte scheine aber vertretbar. Anders gesagt: Der Unterricht könnte teurer werden. Momentan kostet eine Stunde Unterricht pro Woche knapp 90 Euro im Monat. Wie viel teurer es werden könnte, teilt die Senatsverwaltung für Kultur nicht mit.
 
Philippi geht davon aus, dass eine Erhöhung des Entgeltes die Musikschulen allein nicht retten kann: "Dann würden wir so teuer, dass sich ganz viele den Unterricht nicht mehr leisten könnten." Auch die Senatsverwaltung für Kultur betont, der öffentliche Musikschulunterricht müsse für Menschen mit niedrigem Einkommen erschwinglich bleiben. Woher bei der ohnehin klammen Haushaltslage das Geld dafür kommen soll, bleibt offen.

Ulrike Philippi. (Quelle: rbb/Pauline Pieper)

Musikschulleiterin Ulrike Philippi

Statusfeststellungen nehmen zu

Zahlreiche Musikschullehrer ergreifen angesichts der Hängepartie offenbar selbst die Initiative und lassen bei der Rentenversicherung prüfen, ob sie nicht eigentlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein müssten. So wollen sie Druck erzeugen. Von dieser Möglichkeit machten laut Landes-Lehrervertretung viele Lehrkräfte Gebrauch.
 
Musikschulleiterin Philippi zufolge gibt es an manchen Musikschulen so viele Statusfeststellungen, dass der Musikunterricht ohne diese Lehrkräfte zusammenbrechen würde.

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Angst vor Konsequenzen

Viele Lehrkräfte haben aber auch Angst, ihren Status überprüfen zu lassen. Karsten Schröder, der an der Musikschule Reinickendorf unterrichtet, überlegt, diesen Schritt zu gehen. Er habe allerdings auch noch eine andere feste Teilzeit-Stelle, sagt er. Viele seiner Kollegen, die nur an der Musikschule arbeiteten, würden das Risiko nicht eingehen, "weil sie einfach um ihr täglich Brot Sorge haben." Da sie nur als Honorarkräfte arbeiten, könnten ihnen die Musikschulen zweimal im Jahr die Schüler entziehen.
 
Deswegen zögert auch Gesangslehrerin Katja Jovasevic sich an die Rentenversicherung zu wenden. Sie will diesen Schritt nur gehen, wenn die Musikschule ihr das empfiehlt. Ihre Schulleiterin Ulrike Philippi macht klar, dass sie sich dazu in ihrer Position als Schulleiterin nicht äußern kann.
 
Katja Jovasevic hofft jetzt erstmal weiter auf eine feste Stelle – und darauf, morgens bloß nicht krank aufzuwachen.