Sozialarbeiter:innen Sophie Beier-Saidy und Mahmoud Bargouth (Quelle: rbb)

Berlin Unterkunft für Geflüchtete in Berlin: Wer ankommen will, muss zu Sophie und Mahmoud

Stand: 16.02.2025 08:15 Uhr

Im Wahlkampf ist Migrationspolitik das entscheidende Thema. Wie kommt das bei denen an, die täglich mit Geflüchteten Menschen arbeiten? Und wie wirkt sich die Diskussion auf Schutzsuchende aus? Zu Besuch in einer Sammelunterkunft in Berlin-Tempelhof. Von Hasan Gökkaya

Madonna O. zeigt ihrer Sozialarbeiterin ein Schreiben. Ein wenig Deutsch kann die Georgierin schon, aber es sitzt eben noch nicht so gut, dass sie die Mail, die von einer Berliner Behörde kam, versteht. Und weil ihr Asylantrag nicht durchgegangen ist, weil sie derzeit in Deutschland nur geduldet wird, blickt Madonna O. nervös zu Sophie Beier-Saidy, der Sozialarbeiterin. Sie muss helfen.
 
"Ich glaube, die sind verwirrt, weil dein Nachname hier anders geschrieben ist als auf deiner Geburtsurkunde", resümiert Beier-Saidy. Das müsse geklärt werden. "Ich schreibe morgen eine E-Mail und wir schicken die Geburtsurkunde mit." Madonna O. wirkt erleichtert. Sie und ihr Ehemann leben seit drei Jahren hier in einem etwas mehr als 20 Quadratmeter großen Raum. Inzwischen mit zwei kleinen Töchtern. "Vielen Dank. Du bist super, Sophie!", kommt es noch bei der Verabschiedung aus ihr raus.

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Erst einmal beruhigen

Die Familie aus Georgien lebt hier an der Colditzstraße in Berlin-Tempelhof in einer Sammelunterkunft, das Gebäude ist für 430 Menschen ein Zuhause auf Zeit. Die Duschkabinen und Küchen, die an ein Hostel erinnern, sind frei zugänglich für die Bewohner. Wer Hilfe im Alltag oder in der Kommunikation mit den Behörden braucht, muss früher oder später zu Sophie Beier-Saidy und ihrem Kollegen Mahmoud Bargouth.
 
Die beiden haben ein eigenes Büro in der Unterkunft, das früher, bevor Menschen aus Syrien, Afghanistan, aus dem Balkan, aus Afrika und anderen Teilen der Welt kamen, Büroflächen bot. "Sprechstunde" bei den Sozialarbeitern ist an diesem Morgen von bis 11:30 Uhr. Die beiden Schreibtische sind eine Anlaufstelle für die Bewohner, die sich in der deutschen Bürokratie zurechtfinden wollen oder müssen. "Neulich wurde ihr die Duldung weggenommen. Es drohte die Abschiebung. Sie kam ins Büro, gab mir das Baby und sagte: 'Sophie, was soll ich machen?'", erzählt Beier-Saidy über eine erst kürzlich erlebte Situation mit Madonna O. Für Beier-Saidy hieß das: Erst einmal beruhigen, neue Anträge ausfüllen und wieder beruhigen.
 
Weil die Familie nur eine Duldung hat, sei es fast aussichtslos, eine Wohnung zu finden. "Dabei ist die Familie sehr fleißig, sie und ihr Mann sind ehrenamtlich aktiv." Trotzdem: Madonna O. hatte auch viel Glück. Sie fängt in Kürze eine Ausbildung als Sozialassistentin an. "Das ist ihre einzige Chance, hierbleiben zu dürfen", sagt Beier-Saidy.

Keine zu große Hoffnung machen

Ihr Kollege Mahmoud Bargouth spricht fließend Arabisch, weshalb er gerade einer Syrerin im Büro hilft. Die Frau will wissen, was auf dem Zeugnis ihrer beiden Kinder steht, die in Berlin zur Schule gehen. "Es gibt ein Problem mit der Handschrift. Ich habe ihr erklärt, dass ihr Sohn nicht so gut schreibt. Sie sagte, doch, er schreibe schön. Aber es geht nicht darum, wie schön er schreibt, sondern wie lesbar es ist", sagt Bargouth. Die Mutter nickt, bedankt sich, als es schon wieder klopft. Ein Syrer zeigt Bargouth sein Handy, die Mail-App ist geöffnet. "Du hast eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung bekommen", sagt der Sozialarbeiter.
 
"Wo? Harzer Straße? Ist gut, da wohne ich auch", sagt seine Kollegin am Tisch weiter. Zwei Zimmer in Neukölln, eine gute Chance? Die Freude bei dem syrischen Geflüchteten hält sich in zumindest Grenzen. "Ich mache jetzt die Bewerbungsunterlagen für ihn fertig", sagt Bargouth im ruhigen Ton, als wollte er dem jungen Mann nicht zu große Hoffnungen machen. "Er muss solche Einladungen immer erst bei den Behörden einreichen. Bis die Anträge bearbeitet sind, dauert das 14 Tage oder länger. Die Wohnungen sind dann schon oft weg," sagt Bargouth. Der junge Mann nickt und bedankt sich.

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Die erste Station ist das Ankunftszentrum

In Brandenburg, in Berlin, in Deutschland: Migration ist das Wahlkampfthema dieser Zeit. Während im Fernsehen hitzige Debatten laufen, ob die Asylpolitik verschärft werden muss oder nicht, sind die beiden Sozialarbeiter damit beschäfigt, Briefe zu übersetzen, Anträge auszufüllen, den Menschen in der Unterkunft die ersten Schritte in die Unabhängigkeit zu erleichtern. Mit den vielen Männern komme Mahmoud Bargouth gut klar, Sophie Beier-Saidy betont aber, dass sie nur bis zu einem gewissen Grad helfen können. Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen etwa seien weder die Unterkunft noch der Betreuungsschlüssel gut genug.
 
Geflüchtete, die in Berlin ankommen, durchlaufen zunächst das Ankunftszentrum, wo sie registriert und versorgt werden. In dem Ankunftszentrum in Tegel gibt es zudem eine Notunterkunft, in der Menschen bis zur Verlegung in eine Aufnahmeeinrichtung oder in Gemeinschaftsunterkunft wie die in Tempelhof untergebracht sind. Die Ausstattung in einer Gemeinschaftsunterkunft ist in der Regel etwas besser und die Bewohner haben mehr Privatsphäre.
 
In Berlin sind derzeit rund 41.000 Geflüchtete staatlich untergebracht. Insgesamt gibt es etwa 130 Unterkünfte. Mit den beiden Ankunftszentren in Berlin, welche zur Notunterbringung genutzt werden können, kommt man in der Stadt auf etwa 45.800 Plätze für Geflüchtete. Aktuell sind davon laut dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten 4.815 Plätze frei.

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Anders bei Geflüchteten aus der Ukraine

An diesem Tag sind Menschen aus der Ukraine in der Unterkunft nicht anzutreffen. Laut dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) ist das eher kein Zufall. Denn Menschen aus der Ukraine müssen sich aufgrund einer EU-Richtlinie - anders als zum Beispiel Madonna O. oder der junge Mann aus Syrien - gar kein Asyl beantragen. Zudem dürfen sie in Deutschland direkt Arbeit aufnehmen. Sozialarbeiterin Sophie Beier-Saidy glaubt das aber nicht. Sie kenne Gemeinschaftsunterkünfte, die durchaus auch mehrere Geflüchtete aus der Ukraine beherbergen würden.

So oder so, bis die Menschen aus einer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen, können Jahre vergehen. Aus dieser Sammelunterkunft in Tempelhof ist erst vor kurzem eine Familie ausgezogen, die hier neun Jahre lebte. Das hat auch mit dem angespannten Wohnungsmarkt in Berlin zu tun.

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Den Zimmergrnossen kann man sich nicht aussuchen

Mahmoud Bargouth schaut noch bei Ahmad Ezzo in der Herrenetage vorbei. Mit einem anderen Mann muss der sich das Zimmer teilen. Ezzo hat gerade seine erste Deutschprüfung bestanden. Darauf erst einmal einen Mokka, den Bargouth animmt. Im Gespräch mit rbb|24 erzählt der 29-Jährige, dass es ihm enorm helfe, dass der Sozialarbeiter da ist. Ezzo ist Akademiker, hat in Syrien ein Studium zum Elektroingenieur abeschlossen, wie er sagt, hier braucht er aber Bargouth, um klar zu kommen. "Es macht einen Unterschied, wenn man Arabisch sprechen kann. Das kann natürlich auch ein Übersetzer, aber das ist nicht das gleiche", sagt Bargouth.
 
Noch eine Etage höher ist ein Raum spärlich eingerichtet. Toller Blick aus dem Fenster, im Raum stehen eine Matratze und zwei Stühle, niemand komme hier rein, gut um abzuschalten und seinen Gebetsteppich zu nutzen, erzählt Bargouth. Er sagt, es mache ihn stolz, wenn er sehe, wie aus den Menschen etwas werde. "Manche verdienen heute mehr Geld als ich oder haben die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, ab und zu werde ich zu einer Hochzeit eingeladen", sagt er. Hart an seinem Job seien die Behördengänge, "wo man immer wieder von vorne beginnen muss", immer wieder neue Anträge bei verschiedenene Behörden für die Menschen stellen, immer wieder warten, "statt dass das zentral abgewickelt wird", sagt er.
 
Und er sagt noch etwas: Gewalt habe er in der Unterkunft nicht erlebt. Allerdings ist sein Arbeitgeber, "Albatros gemeinnützige Gesellschaft für soziale und gesundheitliche Dienstleistungen mbH", erst seit mehr als einem Jahr der Betreiber der Unterkunft. Vorher gab es einen anderen Betreiber.
 
In der Unterkunft leben fast nur Familien und alleinreisende Männer. Die würden auch die größten Probleme verursachen. "Er will nicht mit dem im Zimmer sein, der eine raucht, der andere nicht, der eine ist sauber, der andere dreckig. Da haben wir am meisten mit zu tun", zählt Bargouth auf.

Und Madonna O.? Ob sie und ihre Familie in Deutschland bleiben können, kann selbst Sophie Beier-Saidy nicht einschätzen. "Ihre Duldung ist frühzeitig erloschen, das ist auch anderen Familien passiert", sagt sie.
 
Die Sozialarbeiterin denkt, dass der Ton gegenüber Geflüchteten rauer geworden ist. In der Unterkunft selbst käme dies bei den Menschen jedoch kaum an. "Ich glaube nicht, dass die deutsche Politik die Bewohner hier beeinflusst. Dafür haben die meisten einfach zu viel mit ihrem eigenen Überlebem zu tun."

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